Sonntagsblatt 2/2019 | Page 10

Mehr Sprache hinter die Schilder Die große Ethnoshow und worauf es eigentlich ankäme Von Richard Guth Der Kindergarten von Oberzemming Neulich war ich wieder auf Reisen: im Slowenischen Raabge- biet im Länderdreieck Ungarn-Slowenien-Österreich (siehe hier- zu meine Reisenotizen). Was mir sofort ins Auge fiel, waren die vielen zweisprachigen Schilder in Oberzemming / Gornji Senik, der „Hauptstadt” der ungarländischen Slowenen. Aber genauso akkurat stehen, hier sogar dreisprachig, Schilder in der Nach- bargemeinde Unterzemming, die einst ein deutsches Dorf war. Die Schilder sind meist nichtkommerziell, aber selbst auch an Geschäften finden sich hin und wieder slowenische oder deut- sche Aufschriften. Und was in Ungarn wahrscheinlich einmalig ist - ein grün-weißer Wegweiser des staatlichen Straßenbetreibers Magyar Közút Kht. in zwei Sprachen: auf Ungarisch und Slowe- nisch. Auf der slowenischen Seite empfängt mich ein etwas anderes Bild: Die Dichte an zweisprachigen „statischen” Schildern ist et- was geringer, dafür, so die Aussagen meiner Gesprächspartner und meine eigenen Erfahrungen, ist die Sprache der madjari- schen Minderheit viel präsenter. Jeder, den wir auf unserer Fahrt angesprochen haben, sprach, auf unterschiedlichem Niveau, Ungarisch – dies galt natürlich für Orte, wo Madjaren in größe- rer Zahl leben. Eine Dame Anfang 60 erzählte mir am Bukov- nica-See, der zum Gemeindegebiet von Dobronack/Dobrovnik gehört, dass sie zweisprachig seien. Mit ihrer Enkelin, die sie begleitete, sprach sie dabei stets ungarisch. Ein Blick auf die In- ternetseite der Gemeinde zeigt, dass Zweisprachigkeit hier eine praktische Funktion besitzt. So stößt man auch am Seeufer auf Schritt und Tritt auf Schilder, stets zweisprachig, die die Besucher informieren. Sie sind aber keine Informationsschilder, die man im Rahmen eines EU-Projekts vor Jahren aufgestellt hat, sondern oft Zettel, die dort scheinbar vor kurzem angebracht wurden - als Zeichen eines lebendigen Sprachgebrauchs. Ganz anders auf der ungarischen Seite: Die Internetseite der Gemeinde Oberzemming ist einsprachig ungarisch. Auch im Dorf selbst finden sich neben den bereits erwähnten Schildern, die vor Jahren angebracht wurden, nichts weiter, was tagesaktuell aussieht. Meine Gesprächspartner bestätigen die Defizite in der funktionalen Bestimmung der slowenischen Sprache in der Öf- fentlichkeit. Es wäre äußerst ungerecht, die Lage der Slowenen als einzigartig darzustellen. Nein, das Beispiel der Slowenen ist symptomatisch und betrifft alle Minderheiten in Ungarn, so auch uns Deutsche. Die Sprache der Minderheit hat nur noch – es war eigentlich in den letzten 150 Jahren in Trianon-Ungarn nie anders – eine, wie soll man sagen, folkoristisch-koloristische Funktion, erscheint in 10 Liedern, Aufschriften, im schulischen Fremdsprachenunterricht und hat keine praktische Funktion, weder in der Öffentlichkeit noch (mittlerweile) in den Familien. Wenn ein Selbstverwaltungs- obmann der deutschen Minderheit auf einer Jubiläumsveranstal- tung des deutschen Chores schmunzelnd ins Ungarische wech- selt, was vom Publikum mit Wohlwollen aufgenommen wird und wenn Absolventen von zweisprachigen Gymnasien der Nationa- lität (und als Hoffnungsträger der deutschen Nationalität in der Öffentlichkeit vorgestellte Jugendliche) einander auf Ungarisch interviewen, dann wissen wir, dass hier etwas falsch läuft. Wo bleibt denn die Vorbildfunktion dieser Elitenleute? Man kann sich wirklich nicht mehr hinter irgendwelcher historischer Entwicklung verstecken, nein, es kommt ganz auf uns an, wie und ob wir der Sprache eine Funktion geben. Das Recht haben wir spätestens seit 1993 dazu. Ich beobachte die Bemühungen der slowakeimadjarischen Initia- tive „Für eine zweisprachige Südslowakei”, die für zweisprachige Schilder im Bahn- und Straßenverkehr kämpft. Sie konnten in den letzten Jahren bedeutende Erfolge erzielen, was auch unse- ren Verein veranlasst hat, die „Schilderfrage” im Bahnverkehr zu stellen (siehe dazu unseren aktuellen Beitrag in „JBG-Nachrich- ten”!). Wir sind also nicht gegen Schilder, bitte nicht falsch verste- hen! Aber wir wollen mehr Sprache hinter den Schildern haben, ganz am Beispiel der Slowakeimadjaren, deren Sprache eine klar definierte Funktion in der Öffentlichkeit hat, die es stets zu verteidigen gilt, die aber existiert - und nicht nur auf dem Papier. Positiv stimmen einen die Worte der slowenischen Jugendlichen in Oberzemming, mit den ich sprechen durfte, die dieses Defizit im Kreise ihrer ungarnslowenischen Landsleute erkennen und betonen, dass es ohne Sprache keine Zukunft gibt. Aber bitte eine Sprache, die wächst und gedeiht und nicht auf Schildern prangt und einem eine falsche Realität vormacht! Wenn ein deutscher Chor auf Ungarisch Jubiläum feiert Von Richard Guth Bilder und Video der Freude und Ausgelassenheit – ein deutscher Nationalitätenchor feiert Jubiläum. Ein Anlass, den sie zu Recht feiern. Stutzig macht mich nur ein Tableau mit den Sängerinnen und Sängern. Dass sie ungarische Vornamen tragen, daran sind wir gewohnt. Aber dass der Name des Chores nur auf Ungarisch aufgeführt ist, wirft doch Fragen auf. Diese habe ich auch prompt geäußert (mit dem Hinweis, dass ja bei einem deutschen Chor wenigstens alles zweisprachig sein sollte) – und prompt unter- schiedliche Antworten bekommen. Manche bedankten sich für den Hinweis, den sie beherzigen wollten, andere verwiesen auf die zweisprachige Internetseite des Chores. Zweisprachig sind in der Tat die Menüpunkte, die Inhalte dahinter aber eher einspra- chig ungarisch. Immerhin, denn die meisten deutschen Kultur- gruppen haben einsprachige (sprich ungarischsprachige) Inter- netseiten. Ein weiteres Chormitglied wies darauf hin, dass man den offiziellen Namen des Chores auf diesem Tableau aufgeführt habe und dieser sei ja auf Ungarisch. Dem habe ich in meinem Antwortkommentar den deutschen Namen des Chores hinzuge- fügt, den das besagte Chormitglied als etwas erkennt, was auf der Chorfahne stehe - aber anscheinend ohne praktischen Nutzen. Dass die deutsche Sprache im Leben des Chores (bis auf die deutschen Lieder, die sie neben ungarischen und lateinischen Lieder singen) kaum eine Rolle spielt, beweist die Videoaufnah- SoNNTAGSBLATT