Sonntagsblatt 2/2019 | Page 15

diesen riesigen Gucker, gespannt, wie eine bessere Welt drüben glänzte. Der Stipendiat der Lajos-Kossuth-Universität, Csaba F., hat im Frühling 1973 im Studentenclub der Uni Jena Sabine kennen ge- lernt. Das Mädchen war zu damaliger Zeit bereits seit zwei Jah- ren bei der berüchtigten Stasi, dem Geheimdienst für Innen- und Außenabwehr, beschäftigt - verdeckt. (Csaba F. ist eine reale Person, seine Geschichte auch, der Name aber ist ein Pseud- onym, da dessen Träger auch heute – 2009, R. G.- noch lebt.). Sabine absolvierte offiziell ein Philosophiestudium, im Geheimen aber diejenigen internen Kurse, die die Stasi hielt, um die jungen, sehr intelligenten und auch für die Erledigung sensibler Aufträge geeigneten Kader auszubilden. Ihr Kennenlernen war nicht dem Zufall geschuldet. Sabine hatte einen Auftrag. Das ausgedehnte Beziehungsgeflecht von Csaba F. erachtete die Stasi als solches, über das die Überwachung der ungarischen Stipendiaten in Jena am effektivsten realisiert werden könnte. 1973 war es der 1968 in die Wege geleitete „Neuer Wirtschaftsmechanismus“ genann- te Reformversuch, weswegen für die DDR-Parteiführung nicht nur die Budapester Regierung suspekt wurde, sondern auch die ungarischen Studenten, die die Stasi als zersetzende Kräfte zu erkennen meinte und das nicht ohne Grund. Csaba F. galt auch als eine solche „zersetzende Kraft“, da er es nie versäumte, seine Lieblingstheorie offen zu propagieren: Die DDR sei eigentlich ein „Flohzirkus”, ein unbedeutender Pi- ckel, ein Versuch, der ganz geschwind auf dem Misthaufen der Geschichte landen würde. Heute wissen wir, dass er nicht ganz falsch lag. Damals aber in der effektivsten Phase der Bresch- new-Doktrin, als an die Ewigkeit des Kommunismus nur wenige nicht glaubten, galten diese renitenten Bekundungen als Kapital- verbrechen. Die Überwachungsaktion kam anfangs gut voran, später geriet sie aus den Fugen. Es kam etwas in die Quere, was die Sta- si-Chefs nicht erwartet hatten. Sabine und Csaba F. hatten sich ineinander verliebt. Sabine verbrachte den Sommer 1973 in De- brezin und im Wohnheimzimmer im Großwald, wo sie übersom- mert hatten, kam ernsthaft eine Übersiedlung nach Ungarn zur Sprache. Die Stasi war im Zugzwang. Nicht nur deswegen, weil ein verliebter Geheimagent kein Geheimagent mehr ist, sondern auch, weil man mit Sabine konkrete Pläne hatte. Das Mädchen war wegen seines attraktiven Aussehens, seiner Empathiefä- higkeiten und nicht zuletzt der überdurchschnittlichen Fähigkeit, Kontakte herzustellen, für die Erledigung komplizierterer und gefährlicherer Aufgaben vorgesehen, also für Einsätze in West- europa. Ein Geheimdienst wäre kein Geheimdienst, wenn er für unerwartete Situationen keinen Plan B hätte. Die Beziehung wur- de per Befehl gestoppt. Sabine musste einen „Trennungsbrief” kreieren. „Lieber Csaba, (…) ich kann jetzt nicht zu Dir fahren. Ich habe viel zu tun. Ich helfe Heidi, sie geht ins Krankenhaus und erwar- tet in 10 Tagen ihr Baby. Ihre Wohnung ist wundervoll, sie haben diese ansprechend eingerichtet: schmucke Möbelstücke, Kühl- schrank, automatische Waschmaschine, alles, was das Herz be- gehrt. Csaba, es ist so gut wie unmöglich, hier wegzukommen. Es ist traurig, aber wahr. Und Du darfst nicht hierherkommen. Du weißt es genau, was diese beiden Sachen für uns bedeuten. Schrecklich! Küsschen, Sabine. Schreib mir!” „Das Leben des Anderen“ - diesen Titel trägt ein Film, der vor kurzem in Budapest mit großem Erfolg aufgeführt wurde und der die Probleme der Grenzen der Allmacht des Staates behandelt. Das Drehbuch des Regisseurs Florian Henckel von Donners- marck entstand auf Grundlage der Methoden der Stasi und der in der DDR unbefriedigenden Lage der Menschenrechte, einer der obigen entsprechenden realen Lebenslage. Aber was war denn dieser komische Einparteienstaat, der so hart in den Alltag der Menschen eingegriffen hat? Inwiefern entsprach die politi- SoNNTAGSBLATT sche Praxis in den 40 Jahren seines Bestehens dem soziologi- schen und psychosozialen Zustand der DDR-Gesellschaft und den Bedürfnissen und Erwartungen der Gesellschaft? Kann es lediglich als eine Art „Abbildung” betrachtet werden, was nach der Pseudowissenschaft bedeutet, dass jede Gesellschaft unter der Willkürherrschaft eines solchen politischen Systems leidet, das ihr gebührt? Die politischen Wurzeln der DDR reichen min- destens bis Bismarck zurück, aber dass sie zustande kam, dafür liefern die Zustände nach 1945 eine Erklärung: Die Sowjets ha- ben mit dem Sieg über Deutschland reichlich „übergewonnen”. Die rote Sowjetunion, die früher von ganz Europa gefürchtet und verachtet wurde, stand nun in der Mitte Europas. Die DDR, eines der seltsamsten Staatsgebilde der modernen europäischen Ge- schichte, ist ein typisches Produkt des Kalten Krieges. Die So- wjetunion betrachtete den Status quo, der auf der Potsdamer Konferenz beschlossen wurde, nicht als endgültig, verkündete offen eine Politik der Expansion bis zum Atlantik und sogar noch weiter hinaus. Der Wunsch nach russischer Herrschaft über dem Kontinent hat eine seit Zarin Katharina der Großen währende Tradition. 1945 wurde Deutschland in vier Besatzungszonen ge- teilt und die östliche sowjetische nannte man SBZ, ebenso die anderen im Westen Britische, Amerikanische und Französische Zone. Die Potsdamer Bestimmungen betrachteten das besetzte Deutschland – um menschliche Katastrophen abzuwenden – als einheitlichen Wirtschaftsraum. Quelle des Übels war, dass man die Potsdamer Bestimmungen nicht umgesetzt hat. Ab 1946 stockte die Zusammenarbeit zwischen den Besatzungszonen, es entstanden große Versorgungsprobleme. Parallel dazu be- gann eine Rivalität zwischen Ost und West, die Bipolarität des aufgeteilten Europas verfestigte sich. Der eigentliche große Bruch wurde durch die Währungsreform im Jahre 1948 besie- gelt, deren Ziel es war, in der Westzone die Wirtschaft in Gang zu bringen, und der darauf folgenden Berliner Blockade, als die Sowjets West-Berlin, das die Westwährung annahm, militärisch umzingelten, und die Versorgung der Stadt ein gutes Jahr über die Luftbrücke erfolgte. Die Westalliierten leisteten eine logis- tische Wunderleistung, die ihresgleichen sucht: Die 195.000 Frachtflüge schafften 1,5 Tonnen Lebensmittel in das umzingelte West-Berlin, aber auch Kohle, Öl und Baumaterial gelangten auf dem Luftweg in die Stadt. Während dessen begannen beide Zonen (West- und Ostzone) sich staatsrechtlich und verwaltungstechnisch zu trennen. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Trizone im Westen Deutschlands, die nun den Namen Bundesrepublik Deutschland trug, verkündet. Im August wurden die ersten Bundestagswahlen abgehalten. Parallel dazu rief im Mai auf der östlichen Seite der 2. Deutsche Volksrat die Provisorische Volkskammer ins Leben, die später als Parlament der Ostzone arbeitete. Zu dieser Zeit entstand auch die Verfassung der DDR und mit dem Akt der An- nahme am 7. Oktober 1949 entstand auch die DDR. Staatsprä- sident wurde ein Mann der Sowjets, der ehemalige Emigrant in Moskau, Wilhelm Pieck, Ministerpräsident wurde Otto Grotewohl. Das neue Staatsgebilde musste sich gleich zu Beginn großen Schwierigkeiten stellen - allen voran der rasanten wirtschaft- lichen Entwicklung des Westteils und der darauf basierenden Lebensniveauexplosion, die man das „deutsche Wirtschafts- wunder” nennt. Die DDR war nicht imstande, die vom westlichen Wunder generierte Krise zu bewältigen: Massen verließen die Ostzone und die Regierung sah sich genötigt, die Fluchtwege abzusperren. Die Ostdeutschen wurden zu Geiseln ihres eige- nen Landes und seiner Regierung. Die Junikrise des Jahres 1953 in Berlin vermochte die DDR-Führung noch mit Hilfe sowje- tischer Tanks zu beherrschen, aber danach entwickelte sich auch die Geschichte der DDR zur Behandlung kleinerer und größerer Krisen wie in den anderen Ländern des sowjetischen Lagers, bei den Polen oder in Ungarn. Die Sowjets konnten sich diese Leichtsinnigkeit nicht leisten. In der DDR musste eine Friedhofs- ruhe herrschen. (Fortsetzung auf Seite 16) 15