Wie bekannt, zu jener Zeit strebte Ungarn sehr nach Freund-
schaft mit dem Deutschen Reich, da nur mit dessen Hilfe eine
Revision des Trianoner Schandvertrags zu erhoffen war. Darü-
ber schreibt Gerhard Seewann in seinem großartigen Werk „Ge-
schichte der Deutschen in Ungarn”: „Nach dem ersten Revisions-
erfolg durch den Ersten Wiener Schiedsspruch vom 2. November
1938 (Wiedereinverleibung der südlichen Gebiete der Slowakei –
d.h. Felvidék) begriff schließlich auch die ungarische Regierung,
dass sie ihren Dank dafür auf dem Gebiet der Minderheitenpolitik
abzustatten hatte und legalisierte die Volksdeutsche Kamerad-
schaft = VK in ihrer neuen Organisationsform des Volksbundes
der Deutschen in Ungam (VDU).”
Zur Gründung des Volksbundes schreibt Seewann: „Die
Gründungsveranstaltung des Volksbundes fand am 26. Novem-
ber 1938 in Budapest unter ziemlich improvisatorischen Begleit-
umständen statt. Die Organisatoren hatten lediglich zwei Tage
für die Vorbereitung zur Verfügung. Dennoch kamen aus über
150 Gemeinden etwa tausend Teilnehmer. Nachdem die ungari-
sche und ungarndeutsche Hymne („Seid gegrüßt ihr deutschen
Brüder!“) verklungen waren, hielt Dr. Franz Basch seine Fest-
ansprache: „Volksgruppen müssen ihr Volkstum allein schützen.
Sie müssen sich für ihren Volkstumsschutz eigene völkische
Bollwerke schaffen“ – und beteuerte, genau diese Rolle wolle
der Volksbund übernehmen. Deshalb versprach er „nicht einmal
mit unseren Widersachem zu rechten oder gar zu hadern, denn
der Volksbund soll die Heimstätte aller Deutschen in Ungam wer-
den“. – „Dabei bestimmen wir keine Altersgrenzen und kein Ge-
schlecht, keine Konfession und keine standes-, keine Stammes-
und Klassenunterschiede“ - berichtete der Deutsche Volksbote
im Dezember 1938.
Die Gründungsveranstaltung wurde mit dem „ungarischen Cre-
do, dem Bekenntnis zur „Auferstehung Großungams“, (d.h. zu
seiner Revision = Hiszek egy Istenben…) und der akklamatori-
schen Wahl von Franz Basch zum Vorsitzenden beendet.
Die Botschaft der Festansprachen war deutlich: Der Volksbund
ist die Sammelstelle der deutschen Minderheit Ungarns und
seine Gründung erfolgt im Einvernehmen mit der Budapester
Regierung. Die neue Organisation war keine Kampfansage an
Andersdenkende innerhalb der Volksgruppe. Vielmehr sollte sie
nach der Mention ihrer Gründer alle Deutschen in Ungarn unter
einem Dach versammeln. Sie sollte integrieren und nicht pola-
risieren. Deshalb war auch kein parteipolitisches Engagement
vorgesehen.
Erstes öffentliches Auftreten des Volksbundes war die Groß-
kundgebung, nämlich der „Fahnenaufzug von Cikó“ im Komitat
Tolna am 30. Apríl 1939. Wie viele Teilnehmer unter der weißen
Sonnenradfahne aufmarschierten, ist schwer festzustellen, da
die zeitgenössischen Berichte sehr unterschiedliche Angaben
machten. Die Volksbundpresse schrieb von über 30 000 Schwa-
ben, nach dem Bericht des deutschen Gesandten waren es nicht
mehr als 20 000. Die meisten Teilnehmer kamen aus den Dörfern
Südost-Transdanubiens. Der Fahnenaufzug wurde mehrere Wo-
chen lang von den Cikóer Volksbundanhängern sorgfältig vorbe-
reitet. Auf der Ochsenwiese, dem Übungsgelände der örtlichen
Leventemannschaft, errichtete die Jugend aus weiß angestriche-
nen Holzklötzen ein riesiges Sonnenrad. Am Morgen trafen die
auf Fahrrädern und mit dem Zug anreisenden Teilnehmer ein.
Um 10 Uhr erschien die Volksbundführung. Alle Teilnehmer wur-
den auf dem Hauptplatz der Gemeinde mit ,,Heil-Rufen“ und dem
„deutschen Gruß“ empfangen, wobei aus historischen Fotogra-
fien klar ersichtlich ist, dass nicht jedem bekannt war, wie dieser
auszusehen hatte. Die Mädchen trugen ihre schwäbische Fest-
tracht, die Ordnung wurde von uniform gekleideten Burschen
aufrechterhalten: weißes Hemd, schwarze Krawatte, schwarze
Hose in Stiefeln, rote Armbinde mit der Aufschrift „V.D.U“… Es
folgten Begrüßung und Ansprachen. Danach versammelten sich
die Teilnehmer in der Kirche. Nach der Heiligen Messe gaben
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Blasmusikkapellen ein öffentliches Konzert. Am Nachmittag mar-
schierten die Teilnehmer jeweils in Gefolgschaft ihrer Ortstafel
im strömenden Regen auf und paradierten an der kleinen Tribü-
ne, auf der sich die Volksbundführung präsentierte, vorbei. Nach
dem Aufmarsch sangen die Versammelten die ungarische Natio-
nalhymne. Studenten trugen zusätzlich zu den Volksbundfahnen
(in roter Farbe und in der Mitte ein weißer Kreis mit einem gold-
farbenen Sonnenrad) noch zwei ungarische Nationalflaggen.
Aufbau des VDU
Von Anfang an verfolgte der Volksbund das Ziel, die Organisation
aller Deutschen in Ungarn zu sein, die sich die politische, ge-
sellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Emanzipation dieser
Minderheit im ungarischen Umfeld zum Ziel setzte. Schon die
Versammlungen zur Gründung einzelner Ortsgruppen sollten
durch ihren Massencharakter diesen Anspruch deutlich machen.
So nahmen beispielsweise an der Gründung der Volksbund-Orts-
gruppe in Pecsvárad am 10. November 1940 über 1 000 Men-
schen teil, von denen allerdings nur an die 300 tatsächlich aus
Pécsvárad stammten. Für die Gründungsversammlung des we-
sentlich kleineren Ortes Majs wurden 800 Teilnehmer aufgebo-
ten. Großangelegte Massenveranstaltungen wie der Schwaben-
ball in Fünfkirchen am 15. Februar 1939 mit 3 000 Teilnehmern
oder die regional ausgerichtete Volksbundversammlung am 11.
August 1940 in Hidas mit gleichfalls 3 000 Teilnehmern sollten
demonstrieren, welche Massenbasis der Volksbund binnen kür-
zester Zeit für sich erobert hatte. Es gab Orte, deren Bevölkerung
bis zu 90 Prozent dem Volksbund angehörte wie in Mágocs oder
Görcsönydoboka oder zu 70 Prozent wie in Szederkény und
Somberek. Ins Gewicht fiel hier die gegenüber dem Ungarlän-
dischen Deutschen Volksbildungsverein Bleyers (UDV) wesent-
lich günstigere Regelung, dass laut Statut, das der Innenminister
am 13. April 1939 genehmigte, die männliche Bevölkerung ab 18
und die weibliche Bevölkerung ab 15 Jahren als Mitglied aufge-
nommen werden konnte (bei dem UDV war die Altersgrenze ab
24 in Geltung), was die Mobilisierung der leicht zu begeisternden
Jugend wesentlich erleichterte. So betrug das Durchschnittsalter
der neu gegründeten Volksgruppen beispielsweise in Majs 22,7
Jahre, in fünf anderen Gemeinden der Baranya (Versend, Na-
gynyárád, Nyomja, Máriakéménd und Palotabozsok) 37,5 Jah-
re. Die 1941 gegründete Deutsche Jugend unter Führung von
Matthias Huber nahm mit Zustimmung der Eltern als „außeror-
dentliche Mitglieder“ auch Jugendliche unter 18 Jahren in ihre
Organisation auf, die am 28,/29 Juni 1941 in Mágocs ihre erste
landesweite Großveranstaltung abhielt. Ende 1939 zählte der
Volksbund bereits über 25 000 Mitglieder. (Auszug aus G. See-
wanns „Geschichte…”)
(Fortsetzung folgt)
Die Geschichte fuhr einem entgegen
(Szembejött a történelem)
Vor zwanzig Jahren fiel die Berliner Mauer
Von Zoltán Tefner
Erschienen am 17. November 2009 in der Tageszeitung „Ma-
gyar Nemzet”. Aus dem Ungarischen von Richard Guth.
Die einzige Farbe – zum großen Kummer von Honecker und
seinen Getreuen – brachten die Westsendungen. In der abend-
lichen Dunkelheit richteten sich die Antennen auf den Balkonen
der Plattenbausiedlungen auf den Westen und diese bewusst-
seinsgespaltene Gesellschaft beobachtete im Fernsehen, über
SoNNTAGSBLATT