Sonntagsblatt 2/2019 | Page 14

Wie bekannt, zu jener Zeit strebte Ungarn sehr nach Freund- schaft mit dem Deutschen Reich, da nur mit dessen Hilfe eine Revision des Trianoner Schandvertrags zu erhoffen war. Darü- ber schreibt Gerhard Seewann in seinem großartigen Werk „Ge- schichte der Deutschen in Ungarn”: „Nach dem ersten Revisions- erfolg durch den Ersten Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 (Wiedereinverleibung der südlichen Gebiete der Slowakei – d.h. Felvidék) begriff schließlich auch die ungarische Regierung, dass sie ihren Dank dafür auf dem Gebiet der Minderheitenpolitik abzustatten hatte und legalisierte die Volksdeutsche Kamerad- schaft = VK in ihrer neuen Organisationsform des Volksbundes der Deutschen in Ungam (VDU).” Zur Gründung des Volksbundes schreibt Seewann: „Die Gründungsveranstaltung des Volksbundes fand am 26. Novem- ber 1938 in Budapest unter ziemlich improvisatorischen Begleit- umständen statt. Die Organisatoren hatten lediglich zwei Tage für die Vorbereitung zur Verfügung. Dennoch kamen aus über 150 Gemeinden etwa tausend Teilnehmer. Nachdem die ungari- sche und ungarndeutsche Hymne („Seid gegrüßt ihr deutschen Brüder!“) verklungen waren, hielt Dr. Franz Basch seine Fest- ansprache: „Volksgruppen müssen ihr Volkstum allein schützen. Sie müssen sich für ihren Volkstumsschutz eigene völkische Bollwerke schaffen“ – und beteuerte, genau diese Rolle wolle der Volksbund übernehmen. Deshalb versprach er „nicht einmal mit unseren Widersachem zu rechten oder gar zu hadern, denn der Volksbund soll die Heimstätte aller Deutschen in Ungam wer- den“. – „Dabei bestimmen wir keine Altersgrenzen und kein Ge- schlecht, keine Konfession und keine standes-, keine Stammes- und Klassenunterschiede“ - berichtete der Deutsche Volksbote im Dezember 1938. Die Gründungsveranstaltung wurde mit dem „ungarischen Cre- do, dem Bekenntnis zur „Auferstehung Großungams“, (d.h. zu seiner Revision = Hiszek egy Istenben…) und der akklamatori- schen Wahl von Franz Basch zum Vorsitzenden beendet. Die Botschaft der Festansprachen war deutlich: Der Volksbund ist die Sammelstelle der deutschen Minderheit Ungarns und seine Gründung erfolgt im Einvernehmen mit der Budapester Regierung. Die neue Organisation war keine Kampfansage an Andersdenkende innerhalb der Volksgruppe. Vielmehr sollte sie nach der Mention ihrer Gründer alle Deutschen in Ungarn unter einem Dach versammeln. Sie sollte integrieren und nicht pola- risieren. Deshalb war auch kein parteipolitisches Engagement vorgesehen. Erstes öffentliches Auftreten des Volksbundes war die Groß- kundgebung, nämlich der „Fahnenaufzug von Cikó“ im Komitat Tolna am 30. Apríl 1939. Wie viele Teilnehmer unter der weißen Sonnenradfahne aufmarschierten, ist schwer festzustellen, da die zeitgenössischen Berichte sehr unterschiedliche Angaben machten. Die Volksbundpresse schrieb von über 30 000 Schwa- ben, nach dem Bericht des deutschen Gesandten waren es nicht mehr als 20 000. Die meisten Teilnehmer kamen aus den Dörfern Südost-Transdanubiens. Der Fahnenaufzug wurde mehrere Wo- chen lang von den Cikóer Volksbundanhängern sorgfältig vorbe- reitet. Auf der Ochsenwiese, dem Übungsgelände der örtlichen Leventemannschaft, errichtete die Jugend aus weiß angestriche- nen Holzklötzen ein riesiges Sonnenrad. Am Morgen trafen die auf Fahrrädern und mit dem Zug anreisenden Teilnehmer ein. Um 10 Uhr erschien die Volksbundführung. Alle Teilnehmer wur- den auf dem Hauptplatz der Gemeinde mit ,,Heil-Rufen“ und dem „deutschen Gruß“ empfangen, wobei aus historischen Fotogra- fien klar ersichtlich ist, dass nicht jedem bekannt war, wie dieser auszusehen hatte. Die Mädchen trugen ihre schwäbische Fest- tracht, die Ordnung wurde von uniform gekleideten Burschen aufrechterhalten: weißes Hemd, schwarze Krawatte, schwarze Hose in Stiefeln, rote Armbinde mit der Aufschrift „V.D.U“… Es folgten Begrüßung und Ansprachen. Danach versammelten sich die Teilnehmer in der Kirche. Nach der Heiligen Messe gaben 14 Blasmusikkapellen ein öffentliches Konzert. Am Nachmittag mar- schierten die Teilnehmer jeweils in Gefolgschaft ihrer Ortstafel im strömenden Regen auf und paradierten an der kleinen Tribü- ne, auf der sich die Volksbundführung präsentierte, vorbei. Nach dem Aufmarsch sangen die Versammelten die ungarische Natio- nalhymne. Studenten trugen zusätzlich zu den Volksbundfahnen (in roter Farbe und in der Mitte ein weißer Kreis mit einem gold- farbenen Sonnenrad) noch zwei ungarische Nationalflaggen. Aufbau des VDU Von Anfang an verfolgte der Volksbund das Ziel, die Organisation aller Deutschen in Ungarn zu sein, die sich die politische, ge- sellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Emanzipation dieser Minderheit im ungarischen Umfeld zum Ziel setzte. Schon die Versammlungen zur Gründung einzelner Ortsgruppen sollten durch ihren Massencharakter diesen Anspruch deutlich machen. So nahmen beispielsweise an der Gründung der Volksbund-Orts- gruppe in Pecsvárad am 10. November 1940 über 1 000 Men- schen teil, von denen allerdings nur an die 300 tatsächlich aus Pécsvárad stammten. Für die Gründungsversammlung des we- sentlich kleineren Ortes Majs wurden 800 Teilnehmer aufgebo- ten. Großangelegte Massenveranstaltungen wie der Schwaben- ball in Fünfkirchen am 15. Februar 1939 mit 3 000 Teilnehmern oder die regional ausgerichtete Volksbundversammlung am 11. August 1940 in Hidas mit gleichfalls 3 000 Teilnehmern sollten demonstrieren, welche Massenbasis der Volksbund binnen kür- zester Zeit für sich erobert hatte. Es gab Orte, deren Bevölkerung bis zu 90 Prozent dem Volksbund angehörte wie in Mágocs oder Görcsönydoboka oder zu 70 Prozent wie in Szederkény und Somberek. Ins Gewicht fiel hier die gegenüber dem Ungarlän- dischen Deutschen Volksbildungsverein Bleyers (UDV) wesent- lich günstigere Regelung, dass laut Statut, das der Innenminister am 13. April 1939 genehmigte, die männliche Bevölkerung ab 18 und die weibliche Bevölkerung ab 15 Jahren als Mitglied aufge- nommen werden konnte (bei dem UDV war die Altersgrenze ab 24 in Geltung), was die Mobilisierung der leicht zu begeisternden Jugend wesentlich erleichterte. So betrug das Durchschnittsalter der neu gegründeten Volksgruppen beispielsweise in Majs 22,7 Jahre, in fünf anderen Gemeinden der Baranya (Versend, Na- gynyárád, Nyomja, Máriakéménd und Palotabozsok) 37,5 Jah- re. Die 1941 gegründete Deutsche Jugend unter Führung von Matthias Huber nahm mit Zustimmung der Eltern als „außeror- dentliche Mitglieder“ auch Jugendliche unter 18 Jahren in ihre Organisation auf, die am 28,/29 Juni 1941 in Mágocs ihre erste landesweite Großveranstaltung abhielt. Ende 1939 zählte der Volksbund bereits über 25 000 Mitglieder. (Auszug aus G. See- wanns „Geschichte…”) (Fortsetzung folgt) Die Geschichte fuhr einem entgegen (Szembejött a történelem) Vor zwanzig Jahren fiel die Berliner Mauer Von Zoltán Tefner Erschienen am 17. November 2009 in der Tageszeitung „Ma- gyar Nemzet”. Aus dem Ungarischen von Richard Guth. Die einzige Farbe – zum großen Kummer von Honecker und seinen Getreuen – brachten die Westsendungen. In der abend- lichen Dunkelheit richteten sich die Antennen auf den Balkonen der Plattenbausiedlungen auf den Westen und diese bewusst- seinsgespaltene Gesellschaft beobachtete im Fernsehen, über SoNNTAGSBLATT