diesen riesigen Gucker, gespannt, wie eine bessere Welt drüben
glänzte.
Der Stipendiat der Lajos-Kossuth-Universität, Csaba F., hat im
Frühling 1973 im Studentenclub der Uni Jena Sabine kennen ge-
lernt. Das Mädchen war zu damaliger Zeit bereits seit zwei Jah-
ren bei der berüchtigten Stasi, dem Geheimdienst für Innen- und
Außenabwehr, beschäftigt - verdeckt. (Csaba F. ist eine reale
Person, seine Geschichte auch, der Name aber ist ein Pseud-
onym, da dessen Träger auch heute – 2009, R. G.- noch lebt.).
Sabine absolvierte offiziell ein Philosophiestudium, im Geheimen
aber diejenigen internen Kurse, die die Stasi hielt, um die jungen,
sehr intelligenten und auch für die Erledigung sensibler Aufträge
geeigneten Kader auszubilden. Ihr Kennenlernen war nicht dem
Zufall geschuldet. Sabine hatte einen Auftrag. Das ausgedehnte
Beziehungsgeflecht von Csaba F. erachtete die Stasi als solches,
über das die Überwachung der ungarischen Stipendiaten in Jena
am effektivsten realisiert werden könnte. 1973 war es der 1968
in die Wege geleitete „Neuer Wirtschaftsmechanismus“ genann-
te Reformversuch, weswegen für die DDR-Parteiführung nicht
nur die Budapester Regierung suspekt wurde, sondern auch die
ungarischen Studenten, die die Stasi als zersetzende Kräfte zu
erkennen meinte und das nicht ohne Grund.
Csaba F. galt auch als eine solche „zersetzende Kraft“, da er
es nie versäumte, seine Lieblingstheorie offen zu propagieren:
Die DDR sei eigentlich ein „Flohzirkus”, ein unbedeutender Pi-
ckel, ein Versuch, der ganz geschwind auf dem Misthaufen der
Geschichte landen würde. Heute wissen wir, dass er nicht ganz
falsch lag. Damals aber in der effektivsten Phase der Bresch-
new-Doktrin, als an die Ewigkeit des Kommunismus nur wenige
nicht glaubten, galten diese renitenten Bekundungen als Kapital-
verbrechen.
Die Überwachungsaktion kam anfangs gut voran, später geriet
sie aus den Fugen. Es kam etwas in die Quere, was die Sta-
si-Chefs nicht erwartet hatten. Sabine und Csaba F. hatten sich
ineinander verliebt. Sabine verbrachte den Sommer 1973 in De-
brezin und im Wohnheimzimmer im Großwald, wo sie übersom-
mert hatten, kam ernsthaft eine Übersiedlung nach Ungarn zur
Sprache. Die Stasi war im Zugzwang. Nicht nur deswegen, weil
ein verliebter Geheimagent kein Geheimagent mehr ist, sondern
auch, weil man mit Sabine konkrete Pläne hatte. Das Mädchen
war wegen seines attraktiven Aussehens, seiner Empathiefä-
higkeiten und nicht zuletzt der überdurchschnittlichen Fähigkeit,
Kontakte herzustellen, für die Erledigung komplizierterer und
gefährlicherer Aufgaben vorgesehen, also für Einsätze in West-
europa. Ein Geheimdienst wäre kein Geheimdienst, wenn er für
unerwartete Situationen keinen Plan B hätte. Die Beziehung wur-
de per Befehl gestoppt. Sabine musste einen „Trennungsbrief”
kreieren.
„Lieber Csaba, (…) ich kann jetzt nicht zu Dir fahren. Ich habe
viel zu tun. Ich helfe Heidi, sie geht ins Krankenhaus und erwar-
tet in 10 Tagen ihr Baby. Ihre Wohnung ist wundervoll, sie haben
diese ansprechend eingerichtet: schmucke Möbelstücke, Kühl-
schrank, automatische Waschmaschine, alles, was das Herz be-
gehrt. Csaba, es ist so gut wie unmöglich, hier wegzukommen.
Es ist traurig, aber wahr. Und Du darfst nicht hierherkommen.
Du weißt es genau, was diese beiden Sachen für uns bedeuten.
Schrecklich! Küsschen, Sabine. Schreib mir!”
„Das Leben des Anderen“ - diesen Titel trägt ein Film, der vor
kurzem in Budapest mit großem Erfolg aufgeführt wurde und der
die Probleme der Grenzen der Allmacht des Staates behandelt.
Das Drehbuch des Regisseurs Florian Henckel von Donners-
marck entstand auf Grundlage der Methoden der Stasi und der
in der DDR unbefriedigenden Lage der Menschenrechte, einer
der obigen entsprechenden realen Lebenslage. Aber was war
denn dieser komische Einparteienstaat, der so hart in den Alltag
der Menschen eingegriffen hat? Inwiefern entsprach die politi-
SoNNTAGSBLATT
sche Praxis in den 40 Jahren seines Bestehens dem soziologi-
schen und psychosozialen Zustand der DDR-Gesellschaft und
den Bedürfnissen und Erwartungen der Gesellschaft? Kann es
lediglich als eine Art „Abbildung” betrachtet werden, was nach
der Pseudowissenschaft bedeutet, dass jede Gesellschaft unter
der Willkürherrschaft eines solchen politischen Systems leidet,
das ihr gebührt? Die politischen Wurzeln der DDR reichen min-
destens bis Bismarck zurück, aber dass sie zustande kam, dafür
liefern die Zustände nach 1945 eine Erklärung: Die Sowjets ha-
ben mit dem Sieg über Deutschland reichlich „übergewonnen”.
Die rote Sowjetunion, die früher von ganz Europa gefürchtet und
verachtet wurde, stand nun in der Mitte Europas. Die DDR, eines
der seltsamsten Staatsgebilde der modernen europäischen Ge-
schichte, ist ein typisches Produkt des Kalten Krieges. Die So-
wjetunion betrachtete den Status quo, der auf der Potsdamer
Konferenz beschlossen wurde, nicht als endgültig, verkündete
offen eine Politik der Expansion bis zum Atlantik und sogar noch
weiter hinaus. Der Wunsch nach russischer Herrschaft über dem
Kontinent hat eine seit Zarin Katharina der Großen währende
Tradition. 1945 wurde Deutschland in vier Besatzungszonen ge-
teilt und die östliche sowjetische nannte man SBZ, ebenso die
anderen im Westen Britische, Amerikanische und Französische
Zone. Die Potsdamer Bestimmungen betrachteten das besetzte
Deutschland – um menschliche Katastrophen abzuwenden – als
einheitlichen Wirtschaftsraum. Quelle des Übels war, dass man
die Potsdamer Bestimmungen nicht umgesetzt hat. Ab 1946
stockte die Zusammenarbeit zwischen den Besatzungszonen,
es entstanden große Versorgungsprobleme. Parallel dazu be-
gann eine Rivalität zwischen Ost und West, die Bipolarität des
aufgeteilten Europas verfestigte sich. Der eigentliche große
Bruch wurde durch die Währungsreform im Jahre 1948 besie-
gelt, deren Ziel es war, in der Westzone die Wirtschaft in Gang
zu bringen, und der darauf folgenden Berliner Blockade, als die
Sowjets West-Berlin, das die Westwährung annahm, militärisch
umzingelten, und die Versorgung der Stadt ein gutes Jahr über
die Luftbrücke erfolgte. Die Westalliierten leisteten eine logis-
tische Wunderleistung, die ihresgleichen sucht: Die 195.000
Frachtflüge schafften 1,5 Tonnen Lebensmittel in das umzingelte
West-Berlin, aber auch Kohle, Öl und Baumaterial gelangten auf
dem Luftweg in die Stadt.
Während dessen begannen beide Zonen (West- und Ostzone)
sich staatsrechtlich und verwaltungstechnisch zu trennen. Am
23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Trizone im Westen
Deutschlands, die nun den Namen Bundesrepublik Deutschland
trug, verkündet. Im August wurden die ersten Bundestagswahlen
abgehalten. Parallel dazu rief im Mai auf der östlichen Seite der
2. Deutsche Volksrat die Provisorische Volkskammer ins Leben,
die später als Parlament der Ostzone arbeitete. Zu dieser Zeit
entstand auch die Verfassung der DDR und mit dem Akt der An-
nahme am 7. Oktober 1949 entstand auch die DDR. Staatsprä-
sident wurde ein Mann der Sowjets, der ehemalige Emigrant in
Moskau, Wilhelm Pieck, Ministerpräsident wurde Otto Grotewohl.
Das neue Staatsgebilde musste sich gleich zu Beginn großen
Schwierigkeiten stellen - allen voran der rasanten wirtschaft-
lichen Entwicklung des Westteils und der darauf basierenden
Lebensniveauexplosion, die man das „deutsche Wirtschafts-
wunder” nennt. Die DDR war nicht imstande, die vom westlichen
Wunder generierte Krise zu bewältigen: Massen verließen die
Ostzone und die Regierung sah sich genötigt, die Fluchtwege
abzusperren. Die Ostdeutschen wurden zu Geiseln ihres eige-
nen Landes und seiner Regierung. Die Junikrise des Jahres
1953 in Berlin vermochte die DDR-Führung noch mit Hilfe sowje-
tischer Tanks zu beherrschen, aber danach entwickelte sich auch
die Geschichte der DDR zur Behandlung kleinerer und größerer
Krisen wie in den anderen Ländern des sowjetischen Lagers,
bei den Polen oder in Ungarn. Die Sowjets konnten sich diese
Leichtsinnigkeit nicht leisten. In der DDR musste eine Friedhofs-
ruhe herrschen.
(Fortsetzung auf Seite 16)
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