Sonntagsblatt 2/2019 | Page 24

legenheit von der Bank nicht weiter verfolgt wurde. Seine unbe- strittene fachliche Kompetenz war hier sicher hilfreich, doch das Beispiel zeigt, wie leicht hier Einschränkungen der Meinungsfrei- heit durch Einschüchterung umzusetzen sind. Trotz dieser Nebenwirkungen dominiert die verführerisch einfa- che wirtschaftliche Gleichgewichtslogik sich selbst regulierender Märkte (ursprünglich Ausfluss eines optimistischen deistischen Vorsehungsglauben, der bei Adam Smith noch durch die un- sichtbare Hand, nun des Marktes, repräsentiert wird) weiterhin im akademischen Bereich wie auch in der Öffentlichkeit, wiewohl hochrangige Wirtschaftswissenschafter die Mainstream-Ökono- mik öffentlichkeitswirksam als ideologisch entlarven (so promi- nent Joseph Stiglitz und Jeffrey Sachs). Die Mainstream -Öko- nomik herrscht auch an manchen katholischen Universitäten vor, nicht zuletzt weil da sich dafür leicht finanzkräftige Sponsoren finden lassen. Zu dem wirtschaftstheoretischen Defiziten kom- men beachtliche praktische Schwierigkeiten: Kooperationsab- kommen zwischen den 196 Staaten weltweit mit jeweils höchst unterschiedlichen Interessen auf den Weg zu bringen, um Steu- eroasen auszutrocknen, den Klimawandel zu bekämpfen u. Ä. m. sowie die Überwachung der Einhaltung der Verträge sind bei- nahe unmöglich geworden. Doch gerade hier böte eine koordi- nierte Zusammenarbeit innerhalb der EU gewisse Chancen, die bisher jedoch meist wegen möglicher Wettbewerbsnachteile (so im Falle der bereits beschlossenen Finanz-transaktionssteuer) verhindert wurden. Doch die Folgen dieser ideologischen und wirtschaftspolitischen Einseitigkeiten sind gravierend: Wachsende Staatsverschuldung aufgrund des Ausfalls der Steuereinnahmen von Großunter- nehmen, sinkende Gewinnsteuern aufgrund des Standortwett- bewerbs, aber auch gar nicht marktkonforme Subventionen für Konzerne, um Arbeitsplätze zu sichern und im Land zu halten sowie bail-outs jener Bankinstitute, die zu groß sind, um sie fal- len zu lassen (too big to fail), Externalisierung von sozialen und ökologischen Kosten u. Ä. m., um nur die wichtigsten Kollate- ralschäden zu nennen. Ausgabenreduktionen im Infrastruktur-, Sozial- und Bildungsbereich oder weitere Schulden nicht nur des Staates, sondern auch der Länder und Kommunen sind die Fol- ge, wobei beides zu Lasten der Zukunft unserer Gesellschaften geht. „Lauter kleine Griechenländer“ titelte eine deutsche Tages- zeitung vor einiger Zeit mit Blick auf die deutschen Kommunen. Dass die Vernachlässigung des öffentlichen Raums vor allem in ländlichen Regionen zudem gravierende politische Folgen hat, zeigt sich darin, dass sich hier die meisten rechten Protestwäh- ler finden. Zusammenfassend: Die wirtschaftliche Globalisierung hat manchen Akteuren in den letzten Jahrzehnten riesige Gewin- ne gebracht und generell zu Produktivitätszuwächsen geführt. Doch zugleich wurden und werden die negativen langfristigen Dynamiken unterschätzt. Hier wäre es notwendig gegenzusteu- ern, was jedoch aufgrund der Schwächung der nationalen Politik auch größerer Länder sich als schwierig erweist und zudem wirt- schaftstheoretisch unter Generalverdacht gestellt wurde. In Europa kam hinzu, dass die Globalisierung ebenso wie der sie ergänzende Globalismus in etwa zeitgleich mit dem Fall der Berliner Mauer einsetzte. Sie fällt also mit dem Ende der politi- schen wie ideologischen Nachkriegsbipolarität zusammen. Die Politik in Europa und in der EU war in den Jahren danach we- sentlich damit beschäftigt, die Folgen des annus mirabilis 1989 zu bewältigen. Jemand verglich die Lage einmal mit jener von zwei Kindern, die an einem Strick ziehen: wenn einer loslässt, gerät auch der Andere ins Taumeln. Die EU hat diese Heraus- forderung durch die Integration von 12 (13 mit Kroatien) Ländern nach der Implosion kommunistischer Regime in Ost- und Mittel- europa überraschend gut bewältigt. Aber diese Integration band jene Kräfte, die notwendig gewesen wären, um die zeitgleichen Folgen der Globalisierung aufzufangen und ihr ein menschliches und europäisches Gesicht zu geben. Dazu hätte es eines Mehr an symmetrischer wie asymmetrischer Solidarität bedurft. Dies hätte bedeutet, dass die wirtschaftlich schwächeren Länder und hier vor allem die schwächsten Teile ihrer Bevölkerungen unterstützt worden wären und sich zugleich Europa solidarisch als gemeinsamer politischer Raum angesichts der riesigen neuen globalen Herausforderungen neu positioniert 24 hätte. Das Fehlen einer vergemeinschafteten Wirtschafts- und Sozialpolitik machte die Staaten anfällig für wirtschaftliche Dyna- mik, die in den jetzigen Zustand divergenter Entwicklungen füh- ren. Die heute allgemein als voreilig eingestufte Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung wurde unter diesen Bedingun- gen zu einem gewagten Experiment mit weiterhin ungewissem Ausgang. Die Annahme, dass hier wie in anderen Fällen die europäische Politik nachziehen und der Euro zur Triebkraft einer vertieften politischen Integration Europas werden würde, hat sich jedenfalls angesichts der sich globalisierungsbedingt verstär- kenden zentrifugalen Kräfte, vor allem im Finanzbereich, nicht bewahrheitet. Die Griechenlandkrise mit ihren dramatischen so- zialen Folgen war und ist die tragische Folge. Sie vergiftet das politische innereuropäische Klima bis heute. Vor allem sie kehrt die ursprünglichen Parameter um. Bei einer Tagung von Iustitia in Rom im Jahre 2013 zum Thema Gemeinwohl beschwerte sich ein Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank wie damals en vogue über die unverantwortlichen Griechen. Auf meine Frage nach dem Vortrag, ob es stimme, dass ca. 90% der europäi- schen Finanzhilfen an deutsche und französische Banken zu- rück geflossen seien, meinte er etwas verlegen: Ja, sie haben recht. Die Komplexität dieses Vorgangs mit zwischengeschal- teten Hedgefonds kann hier nicht nachgezeichnet werden und wird, was zusätzlich beunruhigt, selbst von Finanzexperten und Bankmanager nur teils durchschaut. Was sich jedoch hier wie in anderen Fällen zeigt, ist, dass die wirtschaftliche Integration als vorrangiges Instrument zur politischen Integration Europas seit 2008 vielfach zu einem Faktor der Desintegration geworden ist und den Zerfall der EU durch die Entstehung nationalistischer Politk befördert. Doch: Die Wirtschaftspolitik in allen Ländern Europas basiert auf politischen Entscheidungen, die – vor allem wenn innerhalb der EU koordiniert – trotz der Globalisierung bis zu einem ge- wissen Grad steuerbar sind. Es wäre daher möglich, die Idee innereuropäischer Solidarität sechzig Jahre nach Gründung der Europäischen Union angesichts der neuen geopolitischen und geowirtschaftlichen Gegebenheiten neu zu denken. Wie könnten – so die Frage – neue kreative Ideen aussehen, die jenen der Vordenker der europäischen Ordnung entsprechen? Was käme heute der genialen Idee eines Jean Monnet gleich, der bereits in der Zwischenkriegszeit den Plan für eine europäische Nach- kriegsordnung entworfen hat? Diese sah eine Vergemeinschaf- tung der wichtigsten Kriegsmaterialien, Kohle und Stahl vor, um so weitere Kriege zu verhindern. Dies war die Grundlage des Schuman-Plans von 1950, der bereits sechs Jahre (!) nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Gründung der Montanunion als Nukleus einer neuen europäischen Friedensordnung führte. Wie müssten weitsichtige Pläne heute aussehen, um unter den um vieles besseren ökonomischen und politischen Bedingungen der Gegenwart, z. B. durch eine europäische Sozialordnung sich auf- bauende Konflikte zu entschärfen, gemeinsam gegen die Aus- wüchse des globalen Kapitalismus vorzugehen durch EU-Re- geln gegen Steuerevasion, Eindämmung der Finanzspekulation durch die Wiederbelebung des Planes einer Finanztransaktions- steuer, die Bereitstellung öffentlicher Güter vor allem im ländli- chen Raum, eine Drosselung des Energieverbrauchs durch eine stärkere Besteuerung, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und last but not least eine europaweit koordinierte Flüchtlingspolitik. Dies gilt immer mit dem Blick auf die Folgen für sozial Schwäche- re, Arbeitslose, kinderreiche Familien und Pensionisten, also auf eine „Option für die Armen“, wobei die unterschiedlichen Bedin- gungen zu berücksichtigen sind. Der oben zitierte Jeffrey Sachs hat von einem therapeutischen Zugang für einzelne Länder ge- sprochen. Für eine derartige weitsichtige innereuropäische Soli- daritätspolitik gibt es gegenwärtig leider kaum Anzeichen, außer in den Reden des französischen Präsidenten Macron. Doch sei- ne Vorschläge harren bisher der europaweiten Diskussion. Es fehlt über weite Strecken die ideelle und moralische Vision, sowie der politische Wille, diese durchzusetzen, ja Begriffe wie Solidari- tät werden (auch im katholischen Milieu) abgewertet aus Angst, dass der eigene Wohlstand irgendwie geschmälert werden könn- te. Hier ist daran zu erinnern, dass nach christlichem Verständnis Eigentum und Vermögen dem Menschen immer nur anvertraut sind, um seine materiellen Grundbedürfnisse zu decken. Sie be- gründen kein absolutes Recht. In diesem Sinne spricht Gaudium et spes (69) ganz im Sinne der Tradition der gesamten Sozialver- SoNNTAGSBLATT