Gegenüber der linksliberalen Tageszeitung „Népszava” stellte
Emmerich Ritter Mitte April klar, dass er die Ungarndeutschen
vertreten und keine von den Nationalitäteninteressen unabhän-
gige parteipolitische Rolle bekleiden werde. Er werde sich be-
mühen stets Rücksprache mit der LdU zu halten, insbesondere
in nationalitätenpolitischen Fragen. In anderen Fragen werde er
sich nach seinem Gewissen entscheiden, mit einer Tendenz zur
Unterstützung von Regierungsvorhaben. In der vergangenen Le-
gislaturperiode hätte Ritter stets den Kontakt zu den Vertretern
der Oppositionsparteien gesucht, dies will er nach eigenen An-
gaben weiter so halten. Als Aufgaben für die nächste Zeit defi-
nierte der Abgeordenete in der Sendung „Ma reggel” der öffent-
lich-rechtlichen Rundfunkanstalt MT VA - in Anlehnung an das
offizielle Wahlprogramm der LdU - die Vereinfachung der Förder-
mechanismen im Falle von Vereinen und Organisationen der Na-
tionalitäten, die Stärkung der eigenen deutschen Nationalitäten-
schulen, denn die Familien alleine wären nicht mehr imstande,
die deutsche Muttersprache zu tradieren, die Pflege der guten
Beziehungen zu Deutschland und die Rückgabe der Mitbestim-
mungsrechte an die Nationalitätenselbstverwaltungen.
Rund zwei Drittel der Ungarndeut-
schen halten das aktuelle Wahlsystem
für diskriminativ
Die Jakob Bleyer Gemeinschaft startete kurz vor der Wahl eine
Online-Meinungsumfrage, mit dem Ziel, das Wahlverhalten der
Ungarndeutschen zu erkunden. Der Fragebogen wurde 386-mal
ausgefüllt, vor allem von Facebook-Nutzern. Aus diesem Grund
kann man von keiner 100%-igen Repräsentativität sprechen,
aber das Endergebnis spiegelt die Ergebnisse der großen Mei-
nungsforschungsinstitute bezüglich der politischen Präferenzen
in der Gesamtbevölkerung wieder und deswegen kann man mit
großer Sicherheit von allgemeinen Tendenzen sprechen.
Rund zwei Drittel der Antwortgeber haben sich dahingehend
geäußert, dass sie ihre Stimme für die deutsche Liste abgeben
werden. Wie wir sehen, ein Drittel von denen, die den Fragebo-
gen ausgefüllt haben, halten es für wichtiger, die verschiedenen
Parteilisten zu unterstützen. Die größte Gruppe unterstützt Fi-
desz-KDNP: das sind 9,2% der Antwortgeber. Die Partei Jobbik
folgt ihnen auf den Fersen mit 8,9%. Oberhalb der 5%-Hürde ist
nur noch eine weitere Partei: die LMP.
Es wurde auch nach der Parteipräferenz der Registrierten ge-
fragt, um ein klares Bild über die Parteipräferenzen der Ungarn-
deutschen zu erhalten. Die Antworten auf die zwei Fragen (wo
die Deutsche Liste eine Wahlmöglichkeit war und wo nach der
Präferenz der Registrieten gefragt wurde) wurden zusammen-
gefügt. So haben wir ein Ergebnis, was unsere Hypothesen
bestätigt. Unter den Ungarndeutschen hat Fidesz-KDNP die
meisten Anhänger: 44% unterstützen sie. Die zweitgrößte Partei
ist Jobbik mit 19%. Die LMP wird von 15% derjenigen befürwor-
tet, die bei unserer Umfrage mitgemacht haben. Wenn nur die
Ungarndeutschen wählen würden, wäre im Parlament nur noch
eine weitere Partei vertreten: die Momentum-Partei mit 6%. Da
die MSZP-Párbeszéd-Wahkoalition „nur“ 8% erzielten, aber zwei
Parteien zusammen die höhere Hürde von 10% erreichen müs-
sen, kämen sie nicht ins Parlament.
Wenn wir die verschiedenen Altersgruppen analysieren, sehen
wir, dass unter den ungarndeutschen Jugendlichen (zwischen
18-24) Jobbik die beliebteste Partei ist: Jeder Dritte von ihnen
würde die Partei von Gábor Vona wählen. 22% unterstützt Fi-
desz-KDNP, 19% LMP und 17% die Momentum-Partei. Obwohl
sonntagsblatt
in vielen Wahlauftritten der LdU kommuniziert wurde, dass die
Jugend eine der wichtigsten Zielgruppen ist, hat sie - unseren
Statistiken nach – nur etwas über die Hälfte der Jugendlichen
dazu überzeugen können: Das ist die geringste Anzahl unter den
Altersgruppen.
Unter den jungen Erwachsenen (25-49) führt Fidesz-KDNP mit
44%, die zweitstärkste Kraft ist Jobbik mit 21% und die dritt-
stärkste Kraft ist LMP mit 20%. 64% der Antwortgeber in dieser
Altersgruppe gibt seine Stimme der Deutschen Liste.
In der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen stimmen 72% derje-
nigen für die Deutsche Liste, die unseren Fragebogen ausgefüllt
haben. Wenn es keine Deutsche Liste gäbe, käme Fidesz-KDNP
auf 52%. Die zweitstärkste Kraft wäre die MSZP-Párbes-
zéd-Wahlkoalition mit 14%, gefolgt von Jobbik, die 12% errei-
chen würde.
Über 65 Jahren sprachen sie ebenfalls 72 % für die Deutsche
Liste aus. Wenn das keine Möglichkeit wäre, stünde Fidesz an
der ersten Stelle mit 58 %, auch hier würde die MSZP-Párbes-
zéd-Wahlkoalition mit 17% den zweiten Platz belegen, und Job-
bik würde ihnen auf dem dritten Platz folgen.
Wenn wir die Statistiken genauer anschauen, können wir klar se-
hen, dass Fidesz-KDNP die größte Verliererin dieses Systems
ist: Rund 75% der Fidesz-KDNP-Anhänger stimmen lieber für
die Deutsche Liste und nur 25% für die „eigene“ Partei. Bei den
anderen Parteien sieht es so aus, dass etwa die Hälfte der An-
hänger für die „eigene“ Parteilisten abstimmen werden und die
andere Hälfte für die Deutsche Liste. Die Anhänger von Jobbik
sind die parteitreuesten: 54% von ihnen stimmt für die „eigene“
Parteiliste ab.
In der Umfrage wurde auch nach der Meinung der Deutsche-Lis-
te-Wähler gefragt, ob sie die heutigen Wahlregeln für diskrimi-
nativ halten oder nicht. Also, dass sie für keine Parteilisten mehr
abstimmen können, wenn sie sich registriert haben. Zwei Drittel
der Antwortgeber halten dies für diskriminativ oder eher diskri-
minativ. Demnach könnte der Listenführer der Ungarndeutschen
bereits jetzt eine wichtige Aufgabe haben: Er müsste erreichen,
dass dieses System geändert wird, denn seine Unterstützer hal-
ten das System für sehr diskriminativ.
„Auch mit einem Parlamentsabgeord-
neten gehen wir unseren eigenen Weg
– wie wir das auch bisher taten” - Ers-
te Tagung der Vollversammlung der
Landesselbstverwaltung der Ungarn-
deutschen nach den Wahlen
23. April 2018 - Quelle: LdU
„Es mag vielleicht komisch klingen, dass wir mit unserem einzigen
Mandat gewonnen haben, aber tatsächlich ist dies der Fall“ – so
fasste der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarn-
deutschen, Otto Heine, das Ergebnis der Parlamentswahlen an
der Sitzung der Vollversammlung am 21. April zusammen. Das
wichtigste Thema der Tagung war die gelungene Parlaments-
wahl, durch welche die Ungarndeutschen einen vollberechtigten
Abgeordneten ins Hohe Haus schicken konnten.
(Fortsetzung auf Seite 6)
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