Sonntagsblatt 2/2017 | Page 11

Später, schon im beruflichen Erwachsenenalter, hatte ich nochmal das Glück einen beispielhaften schwäbischen Pfarrer näher kennen zu lernen. Pfarrer Franz Galambos-Göller, Domherr zu Fünfkirchen, war auch einer der wenigen unerschrocken volkstreuen Geistlichen aus unseren Reihen. Auch er begrüßte und unterhielt sich bei Begegnungen in seiner Wohnung oder auch öffentlich stets in deutscher Sprache. Es sind jene zwei Geistlichen( ich würde sagen von zehn), die ich näher kennen lernte, mit denen ich auch privat freundschaftlich verbunden war, die sich nicht scheuten – oder schämten – ihre Herkunft, ihre schäbische Identität jederzeit offenzulegen. Die treu geblieben sind zu ihrem angestammten Volk und dafür auch Benachteiligungen in Kauf genommen haben. Es waren, so weit ich das beurteilen kann, beide auch gute Seelsorger und waren wohl deshalb auch sehr angesehen in ihren jeweiligen Gemeinden. Sie waren nicht nur „ Geistliche Herren”, wie wir unsere Pfarrer etwas untertänig ansprachen, sie waren außerdem einfühlsame Seelsorger, auch starke Charaktere. Menschen, mit den wir Schwaben uns verbunden fühlen konnten, denen wir vertrauen konnten, an die wir uns immer hoffnungsvoll wenden konnten, bei denen wir uns in einer ethnisch unwirtlichen Zeit wie zu Hause fühlen konnten: In einem schwäbischen Zuhau- se. „ Sagt mir, wo es heute ist, wo ist es geblieben …” Mit der deutschprachigen Seelsorge für unsere Landsleute in der Gegenwart ist es nicht gut bestellt. Die Versäumnisse oder Gleichgültigkeit der Kirchenführung in Bezug auf eine vorsorgliche auch gute deutschsprachige(!) Ausbildung von Seelsorgern für die noch verbliebenen wenigen schwäbischen Gemeinden wurde nicht den gegebenen Möglichkeiten entsprechend hingewirkt. So ist mir in jüngster Zeit nur ein deutschsprachig gut ausgebildeter schwäbischstämmiger Pfarrer begegnet, der – zwar erst auf Drän- gen und nur in zweiwöchigem Turnus – eine durchgehend deutsch prachige Messe, Liturgie mit Predigt, hielt. Ansonsten sind der Anspruch und das Angebot für uns Schwabenchristen so weit gesunken, dass das Absingen ein-zwei deutscher Kirchenlieder genügt, um die Messe offiziell als „ deutschsprachig” anzukündigen. Sehr glaubwürdig ist das nicht. Zufriedenstellend gewiss nicht. Ob sich die Kirchenleitung Gedanken macht?
SONNTAGSBLATT
Skandalöses Vorgehen bei der Ausstel lung einer Geburtsurkunde in Dombóvár
Am 25. April hatte eine Ungarndeutsche um eine Geburtsurkunde gebeten, die ihren Namen auf Deutsch enthält und deutschsprachig ist( um eine sg. Nationalitätengeburtsurkunde). Derartige An träge werden durch das ungarische Gesetz ermöglicht: Anya- könyvi eljárásról szóló 2010. évi I. tv. 46. §( 1)( Gesetz über das Standesregister).
Die Standesbeamtin von Dombóvár kannte diese Möglichkeit nicht, wobei das noch akzeptabel wäre; leider gibt es immer weniger Anträge, da viele nicht wissen, dass es so eine Möglichkeit gibt. Weder der ungarische Staat, noch die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen werben für diese Art der Geburtsurkunde. Die Standesbeamtin wollte der Ungarndeutschen vom Antrag abraten, da „ diese Möglichkeit nicht existiert”. Als die Antragstellerin um eine schriftliche Erklärung bat, hat sich die Stimmung geändert: Die Beamtin wollte eine Kontaktmöglichkeit der Antragstellerin; sie wollte sich erkundigen, ob es die Möglichkeit einer deutschen Geburtsurkunde überhaupt gibt. Sie hat der Antragstellerin versprochen, sich noch innerhalb derselben Woche zu melden. Nun hat die Antragstellerin keine offiziellen Dokumente mit ihrem neuen Namen. Unglaublich … aber das kann jeden Tag in der ungarischen Bürokratie passieren.
Eine Äußerung, die während des Verfahrens von der Beamtin getätigt wurde, war aber besonders schockierend: Sie hat um eine mündliche Erklärung von der Antragstellerin gebeten, wieso sie eine solche Geburtsurkunde will, da sie ja „ magyar“ geboren ist. Und das geschieht im Jahr 2017 – nicht 1930.

Identität

Von Dr. Jenő Kaltenbach
Die deutsche Selbstverwaltung einer Gemeinde nahe Budapest veröffentlichte auf Facebook einen Aufruf zum herannähernden Faschingsball. Kurz danach konnte man dazu folgenden Kom mentar lesen:
„... entschuldigt, aber wenn ich irgendwo auf der Welt eine ungarische Gemeinschaft besuche erfahre ich dass sie ungarisch reden und, was für ein Wunder, bei euch auch. Wenn ihr hier geboren seid und als Ungarn lebt, spricht, denkt und träumt, warum lässt ihr euch verkrüppeln? Die ungarische Kultur ist doch viel vielfältiger und reicher wie eure, oder ist das für euch genetisch bedingt unerreichbar? Oder warum kehrt ihr nicht nach Hause zurück? Es gibt ja kein Krieg und hier herrscht doch Elend, was wir größtenteils den Deutsch – Römer, den Habsburger, und den Nazis zu verdanken haben. Eure gestörte Identität sollte behandelt werden.”
Mal davon abgesehen, dass dieser Vertreter der so „ vielfältiger und reicher”( sic!) Kultur nicht alle Regeln der Grammatik kennt, konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, weil das, außer dem bodenlosen Unwissen, auch alle Merkmale des Jahrhunderte alten, heute wieder gestärkt auftretenden, falschen, gestörten nationalen Identitätsbewusstseins repräsentiert.( Mangels adäquater Erhe- bun gen weiß man nicht, wie verbreitet diese Denkweise ist, aber sie ist vermutlich keine Rarität.) Nun gehen wir mal schrittweise der Sache nach: 1) Teile der ungarischen Diaspora behält zweifellos ihre Identität, aber es hängt im Wesentlichen davon ab, wo sie beheimatet ist, wann sie das Mutterland verließ, aber dass sie ihre Identität überall behält, ist eine Übertreibung. Ja, es gibt sogar in den Nachbarländern welche mit einem ungarischen Namen, die aber ihre Identität gewechselt haben. Identitätsbewahrung hängt auch davon ab, welche Identitätspolitik das Land verfolgt. Dabei haben die sog. Ungarn oder besser gesagt Madjaren jenseits der Grenze einen Sonderstatus, weil sie in einer zusammenhängenden Siedlungsstruktur zahlreich zusammenleben und auch das Mutterland alles Mögliche für die Bewahrung der Identität unternimmt. Bei der sonstigen ungarischen Diaspora unterscheidet sich die Identitätsbewahrung von anderen Minderheiten keineswegs.
2) Die Ideologie über die kulturelle Überlegenheit ist ein alter, wohlbekannter nationalistischer Irrglauben, der in die ungarischen Köpfe zwar gut eingetrichtert wurde, aber nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Eine Rangordnung der Kulturen ist eine be- kannte rassistische Theorie, die nur den Zweck hat, die Unter- drückung der „ unterlegenen Kultur” zu legitimieren. Daher rührt auch die Infragestellung der Minderheitenidentität bzw. der Anspruch sie von außen, das heißt von der Mehrheit bestimmen zu wollen. Unser Zeitgenosse spricht nicht von Deutschen, nur von „ Deutschtümmlern”, die in Wahrheit natürlich Ungarn sind, ja, sie denken und träumen ja ungarisch. Ob das wirklich so ist, oder ob doch dazu eigentlich die Betroffenen gefragt werden sollen, steht „ natürlich” nicht zur Debatte, wer möchte denn zu einer weniger vielfältigen, ärmeren Kultur gehören? In deutsch – ungari-
( Fortsetzung auf Seite 12)
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