deutsch tums und kam sogar in landsmännische Höhe, als er be -
haup tete, wenn die Deutschen bei ihrer Vertreibung alles, womit
sie das Land bereichert haben, mitgenommen hätten, wäre nicht
viel übriggeblieben. Zugegeben, ich übertreibe ein wenig, aber nur
ein wenig.
Andererseits hat er – natürlich in einer kodierten Weise – die
Potsdam-Lüge wiederholt, als er behauptete, bei einer starken,
souveränen Regierung jener Zeit hätte die Vertreibung nicht pas-
sieren können. Von hier ist es nicht schwer darauf zu kommen,
dass eine starke, souveräne Regierung auch heutzutage der einzi-
ge Garant für das Gemeinwohl und für die Vermeidung ähnlicher
Tragödien ist.
Nun, Herr Ministerpräsident, ich habe schlechte Nachrichten
für Sie.
Die schwersten, die unmenschlichsten Missbräuche, ja die grau-
samsten Genozids der Menschheitsgeschichte von Hitler, Stalin,
Mao bis Pol Pot wurden von „starken, souveränen Regierungen”
begangen, teils gegen die eigene Bevölkerung oder ausgewählte
Teile davon, teils gegenüber anderen Nationen.
Sie irren sich, Herr Ministerpräsident, solche Tragödien können
nur in rechtstaatlichen Demokratien vermieden werden, wo
Meinungs- und Medienfreiheit herrscht, wo die staatliche Ord -
nung die Alleinherrschaft einer Person bzw. einer Gruppe verhin-
dert und dadurch die Umsetzung der Menschenrechte garantiert.
Dass es bei uns nicht so ist, das wurde schon von der Intensität
des Beifalls nach ihrer Rede demonstriert. Der tosende Applaus
honorierte nicht ihre rhetorische Leistung, sondern war der Be -
weis dafür, dass die Reflexe der längst vergessen geglaubten
Rákosi-Zeit wieder lebendig wurden. Am Ende fehlten nur noch
der „hoty folt” und das Vivat.
Kommentar 2
Die „Potsdamer Legende” über die Vertreibung der Ungarndeut -
schen wird hier von BZ eindeutig widerlegt und klargestellt. Es ist
zum ersten Mal, dass eine Zeitung aus Ungarn dies wagt, trotz des
Widerstandes nationalistischer ungarischer Historiker und Poli -
tiker, die noch immer an ihrer Theorie festhalten und die Schuld
der damaligen ungarischen Politik zurückweisen.
NE
O
Damals – vor 70 Jahren
Aus einem Vortrag von Dr. Agnes Tóth über die Vertreibung der
Ungarndeutschen
„…Erinnerung, Geschichte: zwei Begriffe, die bei weitem nicht
die gleiche Bedeutung haben, wir müssen gar erkennen, dass sie
absolute Gegenteile sind. Die Erinnerung ist das Leben selbst, was
lebende Gruppen in sich tragen…. Die Geschichte hingegen ist
immer problematisch und die vollständige Rekonstruktion dessen,
was nicht mehr existiert.”
Die obigen Gedankenspiele, glaube ich, machen es eindeutig, dass
auch ich einer Meinung mit den Feststellungen des französischen
Historikers Pierre Nora bezüglich der unvollständigen Rekon -
struktion der Geschichte bin. Ich erachte es aber als eine Über-
treibung, dass er das Verhältnis zwischen Erinnerung und Ge -
schichte als absolute Gegensätze beurteilt. Ich betrachte diese
Begriffe eher als solche, die sich gegenseitig ergänzen, annehmen
und erklären.
Um meinen Standpunkt zu untermauern möchte ich Teile aus
zwei ganz unterschiedlichen Dokumenten zitieren. Das eine
Dokument ist der zusammenfassende Bericht von Gábor Péter,
dem gefürchteten Parteiführer, zuständig für die Staatssicherheit,
über die Vertreibung in Wudersch, die am 19. Januar 1946 be -
gann, das andere sind die Erinnerungen eines betagten Schwaben,
der aus Feked vertrieben wurde, aus Deutschland zurückkam, der
dann erneut vertrieben wurde und der erneut nach Ungarn zu -
rückkehrte. Sie beschreiben den gleichen Prozess, indem sie ge -
gen seitig überhaupt nicht ausschließen, sondern vielmehr ergän-
zen, erklären.
„Die Vertreibung aus Wudersch – schreibt Gábor Péter am 26.
Januar 1946 – ist seit drei Wochen im Gange, und es verließen bis-
lang lediglich drei Züge das Dorf, … woraus man bereits den
Schluss ziehen kann, dass diese in einem Desaster endete. Das ist
auf drei Ursachen zurückzuführen: 1. auf die mangelnde Vor -
bereitung, 2. auf die unbeherzte und planlose Umsetzung durch
die Ministerialbeauftragtenstelle für Vertreibung, 3. auf das be -
mit leidenswerte Verhalten der exekutiven Streitkräfte.
… Der größte Schandfleck beim Wuderscher Umzug (kitelepü-
lés, sic!) ist das Verhalten der Wachmannschaften. Die Polizis ten
zeigen keine Disziplin, sie liegen besoffen in Kellern rum, verlas-
sen nachts ihre Wachposten und gehen einen trinken. Wudersch
ist nachts von den Schießereien von betrunkenen Polizisten laut.
Die polizeiliche Umzingelung der Gemeinde ist auch nur theore-
tisch vorhanden, und dann verlässt das Dorf nur derjenige nicht,
der das erst gar nicht vorhat. Die Polizeiführer tolerieren diesen
desolaten Zustand, sie zeigen weder Willen noch Bereitschaft um
diesen zu ändern. Und da sind wir am Punkt angelangt, wo sich
die Situation in Wudersch zu internationalen Verwerfungen füh-
ren könnte.
Es ist daher unverzüglich dahingehend zu verfügen, dass
1) die gegenwärtigen Führungspersönlichkeiten der Ordnungs -
hüter, die herzlos zu sein scheinen und ihre Pflicht nicht gera-
de zu erfüllen in der Lage sind, unverzüglich abgelöst wer-
den.
2) Die Truppen sind in Privathäusern, in den Häusern der Ver -
triebenen untergebracht, wo sie plündern. Das ist dringlichst
einzustellen. Die Truppe ist in ein–zwei größeren öffentli-
chen Gebäuden z. B. Schulen unterzubringen, wo man sie
besser kontrollieren kann.
3) Die plündernden Polizisten sind vors Militärgericht zu stel-
len.
4) Die Polizeioffiziere erhalten besondere und bessere Versor -
gung als die Truppe. Das ist unverzüglich einzustellen.
5) Den doppelten Lohn muss man während des Einsatzes der
Polizei tatsächlich aushändigen.
6) Die Polizeimannschaft ist personell an sich nicht schlecht,
wäre sie aber in besseren Händen – denn es ist eine ausge-
wählte Truppe. Man müsste sich mit ihnen auch politisch
beschäftigen: Die Politgruppe oder andere müssten Vorträge
über die schädliche Rolle des Volksbunds, des hiesigen
Schwabentums, der „Fünften Kolonne” im Leben unserer
Nation halten. Die politische Aufklärung würde der Frater -
nalisierung zuvorkommen, die in der Truppe in Richtung
Schwaben bereits zu beobachten ist und was unumkehrbar in
Korruption mündet. (Gábor Péter, 26. Januar 1946)
„Nachts kamen sie, gegen eins–zwei Uhr, sie haben die Tür ein-
gebrochen, so kamen sie rein. Die telepesek (Neusiedler), die aus
der Nähe von Pest hierher verschleppt wurden, begannen den
Zirkus. Einer von ihnen ging in die Speisekammer, hat ein Stück
Schinken abgehängt, warf es auf den Tisch und sagte: „Esst aus
diesem Schwabenschinken!” Und da stand ein Liter Wein, dann
fragte er: „Was ist das?” Ich sagte: „Wein.” „Darf man daraus trin-
ken?” Ich sagte: „Man darf”. Dann musste ich zuerst trinken,
nicht dass er vergiftet ist. Meine betagten Eltern waren an die 70,
(Fortsetzung auf Seite 18)
17