Die Erinnerungsfeier
„ Unchristliche Akte” Anders als in der Tschechoslowakei und in Polen wurde die Ver- treibung in Ungarn nicht durchweg von Zustimmung begleitet. So erhob Kardinal-Primas József Mindszenty – eigentlich Josef Pehm, Familienname 1941 magyarisiert – seine Stimme: „ Vertrei- bung und Enteignung können keineswegs menschlich und christlich genannt werden.” Bekannt geworden ist auch der „ Aufruf der 26 Aufrechten“. An die Regierung gerichtet, mahnten sie in der Ausgabe der Zeitung Magyar Nemzet vom 18. Januar 1946, im Umgang mit den Deutschen die Menschenrechte zu wahren:
„ Heimat, Umgebung, Dorf, Haus, Ackerland, Brot, Wasser kön nen von niemandem auf humane Weise weggenommen werden.” Zu den Unterzeichnern gehörte auch Béla Zsolt; der Ge- fängnis, Getto und Arbeitslager entronnene jüdische Schriftsteller wollte damit ein Zeichen setzen. Bewirkt hat der Aufruf nichts.
Gedenktag – nur in Ungarn
Was während der kommunistischen Ära in Ungarn tabu war, dafür hat sich sein erstes frei gewähltes Parlament 1990 in aller Form entschuldigt. Das Verfassungsgericht annullierte alle Bestimmun- gen, auf denen die Vertreibung fußte. Andernorts steht derlei weiter aus, ja trotz Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind in der Tschechischen Republik sowie in der Slowakei die Benes- Dekrete und in Slowenien die Avnoj-Bestimmungen nach wie vor Bestandteile der geltenden Rechtsordnungen. Seit 1993 ist in Un- garn ein Minderheitengesetz in Kraft; alle Minoritäten, so auch die deutsche, verfügen seit 1995 über Selbstverwaltungen. Laut Volkszählung von 2011 bekennen sich knapp 186 000 Personen zur deutschen Nationalität( 1,9 % der Gesamtbevölkerung); 92 000 gaben Deutsch als ihre Muttersprache an.( Diese Angaben sind leider falsch! – Bem. d. Red.) 2006 wurde das „ Landesdenkmal der Vertreibung” auf dem
Alten Friedhof zu Budaörs eingeweiht.
Dort legte Viktor Orbán, der weithin im Westen( auch in Deutsch land von der PC-korrekten politischen Klasse von Linken, Sozial demokraten, Grünen, Liberalen bis hin zu manchen Christ- demokraten) verhasste ungarische Ministerpräsident, aus Anlass des von seiner Regierung vor zwei Jahren eingeführten „ Ge- denktags für die Vertreibung der Ungarndeutschen”( den es in keinem anderen ehemaligen Vertreiberstaat gibt!) am 19. Januar 2016 höchstselbst einen Kranz nieder. Mit den Worten „ Im Na men der ungarischen Regierung wünsche ich unseren in Ungarn lebenden deutschen Mitbürgern, dass sie das Andenken ihrer Ahnen bewahren und ihre Kinder als in der deutschen Kultur aufgewachsene gute Un- garn erziehen sollen. Ehrfurcht den Opfern. Gebührende Erinne rung an die Leidenden. Ein Verneigen vor der Erinnerung an die Un- schuldigen. Anerkennung und Ruhm jenen, die den in Not geratenen Ungarndeutschen geholfen hatten. Alles Gute unseren mit uns zusammenlebenden deutschen Mitbürgern”, schloss er seine Ansprache – in Budaörs( Wu dersch), wo vor siebzig Jahren alles begonnen hatte.
KOMMENTAR
Die Erinnerungsfeier
Von Eugen Kaltenbach
Auf meine größte Überraschung habe ich eine offizielle Einla- dung zur Erinnerungsfeier an die Verschleppung und Vertreibung der Deutschen aus Ungarn, die diesmal in Wudersch veranstaltet wurde, bekommen. Anlässlich eines so würdigen Festes gehört es sich eigentlich nicht zu nörgeln, insbesondere, wenn der Haupt- festredner kein geringerer als der amtierende Regierungschef ist, aber dazu später mehr.
Ich war deshalb überrascht, weil mich die hohen Herren von der Regierung zu keiner der Vorgängerveranstaltungen eingeladen haben, sie nahmen sich also das Recht darüber zu entscheiden, ob ich die Einladung zur Erinnerung an die größte Tragödie meiner eigenen Gemeinschaft verdient habe. Vermutlich deshalb, weil ich mir, meinen Grundrechten entsprechend, die Freiheit nehme in manchen Sachen andere Meinung zu haben wie sie. Man sollte sich mal vorstellen, was wohl passieren würde, wenn so etwas einer der führenden Persönlichkeiten der Auslandsmadjaren von Rumänien oder der Slowakei widerfahren würde. Ich liege vermutlich nicht falsch mit der Annahme, dass einige der Sold- schreiber sofort einen deftigen Artikel über die rumänische, slowakische usw. Unverschämtheit veröffentlichen würden oder so- gar der entsprechende Botschafter einbestellt würde. Letzteres ist hoch im Kurs heutzutage.
Obwohl ich momentan, nach einem fünfundzwanzigjährigen Einsatz für die Sache, nur ein einfacher Rentner bin, und das nur, weil das Duo( Trio? usw.), das zurzeit meine Gemeinschaft re- giert, eine von der „ offiziellen” Linie abweichende, eigene Auffas- sung genauso wenig toleriert wie ihre Herren( von der Regie- rung). Selbst wenn diese Meinung( nimmt man die Ergebnisse der letzten Wahl) höchstwahrscheinlich mehrheitsfähig wäre. Meinungsdiktatur ist also kein Privileg der Mehrheitsnation. Aber ich wollte eigentlich nicht darüber schreiben, weil das nur die erste Überraschung war. Die zweite, die größere, war die Liste der Redner bzw. diejenigen, die einen Kranz niedergelegt haben. Merkwürdigerweise war der Präsident des „ unabhängigen” Ver- fassungsgerichts dabei, gleichzeitig waren weder der Präsident der Republik(?) noch des Parlaments anwesend.
Der höchste Gast, nämlich der Regierungschef, war aber nicht nur dabei, er hat sogar eine Rede gehalten( jetzt kommen sie nicht damit, dass dies nicht dem Protokoll entspräche).
Es verursachte mir Kopfzerbrechen, was das alles bedeuten soll!? Aber dann las ich in der Zeitung, dass Orbáns Öffnung nach Osten, also das Hofieren bei den Mächtigen in Kasachstan, Aser- baidschan, China oder bei den Saudis, Putin bzw. Erdogan als Teil des „ Befreiungskampfes” gegen die EU, wie zu erwarten, zum Scheitern verurteilt ist, weil es( außer für einige Privattaschen) nichts bringt, und weil der wichtigste Partner, nämlich Moskau, gerade einsehen musste, dass es besser wäre mit dem Westen Frieden zu schließen.
Nun, ich wäre durchaus nicht überrascht, wenn dieser Geste von Orbán weitere folgen würden, gegenüber Deutschland, oder dem Beispiel von Meister Putin folgend, gegenüber dem Westen.
Nun, bei diesem Stand der Dinge – dachte der große Stratege – sollte man den Anlass nutzen die innenpolitischen Stellungen zu festigen. Seine Rede lässt diese Vermutung zu.
Diejenigen Ungarndeutschen, die zu einer weniger differenzierten Denkweise neigen, waren bestimmt schon von der bloßen Teilnahme des hochwürdigen Herren gerührt, aber noch mehr von Teilen der Rede.
Der Redner würdigte nämlich alle Verdienste des Ungarn-
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