Sonntagsblatt 2/2016 | Page 15

auch die Mitglieder des als „ nationalsozialistische Organisation” gebrandmarkten Volksbunds. Deren Kollektivbestrafung fußte auf der „ Verordnung über die Volksgerichtsbarkeit” vom 27. April 1945, der zufolge in die Liste derer, die ein „ volksfeindliches Ver- brechen” begangen haben sollten, aufzunehmen war, wer, „ ohne dass ihm gegenüber Zwang ausgeübt wurde, als Mitglied in den durch die Deutschen in Ungarn gegründeten Volksbund eingetreten ist”. Darauf wiederum gründete die am 30. Juni 1945 erlassene Regierungsverordnung 3820 betreffend „ Überprüfung der Treue zur Nation”. Sie lieferte die Handhabe zur Entrechtung, Enteignung sowie Aburteilung und kategorisierte: nach „ Volks- bund” – respektive „ Pfleilkreuzler-Führern” sowie „ Angehörigen der Waffen-SS”, nach „ einfacher Mitgliedschaft bei Volksbund und Pfeilkreuzlem” sowie nach „ Nicht-Mitgliedern und Abseits- ste henden, die keine vaterländische Gesinnung zeigten”. Dem am 10. Mai 1945 eigens eingerichteten „ Volkswohlfahrt- samt” war aufgegeben, „ Aufgaben im Zusammenhang mit der Aussiedlung der faschistischen Deutschen” zu übernehmen.
Kollektivverantwortung?
Innenminister Erdei plädierte für eine getarnte Lösung: Grad der Schuld und Personenkreis seien „ so auszuweiten, dass praktisch doch der größte Teil der Deutschen ausgesiedelt werden könnte”. Außenminister János Gyöngyösi von der Kleinlandwirte-Partei warf ein, die Vertretung der Sowjetunion habe „ auf das Entschie- denste erklärt, dass sie die Frage der Deutschen als internationale behandeln” wolle. Zur Vorsicht riet der Sozialdemokrat Árpád Szakasits: Die Frage der Kollektivverantwortung „ könnte auch gegenüber dem Ungartum aufgeworfen werden”. Dagegen stellte der Kommunist Rákosi eine mögliche Verknüpfung mit den in der Tschechoslowakei von Vertreibung bedrohten Ungarn in Abrede, „ besonders, wenn wir festlegen, dass wir sie nicht als Deutsche, sondern als Faschisten verfolgen”. Zoltán Tildy von der Kleinlandwirte-Partei befürwortete die Aussiedlung der Volksbündler in Gebiete, von wo aus sie nicht nach Ungarn hineinwirken können sollten. Und fügte hinzu: „ An das schwäbische Vermögen müssen wir über die Bodenreform herankommen.” Unterrichtsminister Geza Teleki, Sohn des früheren Regierungschefs, und Vilmos Zentai( ursprünglicher deutscher Familienname: Zuschlag), Sozialdemokrat aus Pécs( Fünf- kirchen), beurteilten den von Kovács unterbreiteten Vorschlag, „ die Unbelasteten zum freiwilligen Weggang zu bewegen” skeptisch. Teleki befand: „ Ich halte die magyarische Rasse für gesund genug, um mit diesem Rest von Deutschen fertig zu werden, das heißt, sie ins Ungartum einzuschmelzen. Die Volksbündler sollten wir in Arbeitslagern für uns nutzbar machen, die Tüchtigeren wür- de ich auf karge Böden setzen, wo sie infolge ihrer hohen Arbeitskultur noch etwas für uns herauswirtschafteten. Die Zer- siedlung der Schwaben ist notwendig, und ich glaube, sie gehen in zehn bis zwanzig Jahren im Ungartum auf” Kovács widersprach: Die, die endgültig blieben, müssten in geschlossene Siedlungen, damit habe man sie besser unter Kontrolle.
200 000 bis 250 000 Ungarndeutsche sollten nach Deutschland ausgesiedelt werden.
„ Nationale Homogenisierung”
Aus den von Erdei in der folgenden Regierungssitzung vorgetragenen Ergebnissen, in deren Sinn sodann Gyöngyösi mit Woro- schilow die „ Schwaben-Frage” erörterte, resultierte schließlich die am 26. Mai formell an die Sowjetunion gerichtete Note: „ Die ungarische Regierung ist zu dem Entschluss gelangt, dass es notwendig ist, jene Deutschen, die die Sache Ungarns verrieten und in den Dienst Hitlers traten, aus dem Lande zu entfernen, weil nur auf diese Weise sicherzustellen ist, dass der deutsche Geist und die deutsche Unterdrückung nicht mehr darin Herr werden.” Sie ersuche die Sowjetunion um ihr Einverständnis, die zu entfernenden Deutschen – 200 000 bis 250 000 an der Zahl – nach Deutsch- land auszusiedeln.
Neben der von den tonangebenden Parteien der Regierungs- koa lition verfolgten nationalen Homogenisierung, die bruchlos an die Tradition forcierter Magyarisierungspolitik seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts anknüpfte, traten die Sorge und Ob- hutspflicht für die aus den Nachbarländern einströmenden ethnischen Ungarn als zweites, schließlich die Bodenreform als drittes Vertreibungsmotiv. Dabei deckten sich Interessen der Nationalen mit den Intentionen von Sozialdemokraten und vor allem Kommunisten. Imre Nage tat kund, die Bodenreform entspreche „ der Auffassung sämtlicher demokratischer Parteien”, wenngleich er hinzufügte, sie stütze sich „ in erster Linie auf den Entwurf der Bauernpartei”, wonach „ der Grundbesitz von Volksverrätern, Kollaborateuren, Pfeilkreuzlern und Angehörigen der deutschen ‚ fünften Kolonne’ konfisziert” werde. Großgrundbesitz von mehr als 100 Joch( 56 Hektar) – sei er privat, kirchlich oder staatlich – werde „ aufgelöst und an Millionen von Kleinbauern und landlose Agrarproletarier verteilt”.
Platz für Magyaren
In Ungarn, das sich infolge des Kriegsergebnisses wieder auf Trianon-Größe von 1920 gestutzt sah – in den Wiener Schieds- sprüchen 1938 und 1940 hatte es Teile der damals verlorenen Gebiete zurückerhalten –‚ war auch Platz zu schaffen für Madja- ren aus Siebenbürgen, aus der Karpatoukraine, der Moldau, aus der Batschka sowie der Vojvodina und nicht zuletzt auch aus der Slowakei. Zwar sah das am 27. Februar 1946 unterzeichnete „ Ab- kommen über Bevölkerungsaustausch” vor, dass Prag und Preß- burg, wo die Benes-Dekrete nicht nur für die Sudetendeutschen, sondern auch für die Magyaren galten, nur so viele austreiben sollten, wie Angehörige der slowakischen Minderheit Ungarn verließen. Infolgedessen gingen 60 000 ethnische Slowaken vertragsgemäß aus Ungarn fort, während 90 000 Magyaren aus der Slowakei dorthin transferiert wurden. Hatte noch am 17. Juni das Parla- ment in Preßburg die Ungarn zur „ Rückkehr ins slowakische Volk” aufgefordert, so wurde am 19. November 1946 mit der De- por tation der ungarischen Bevölkerung aus der südwestslowakischen Großen-Schütt-Insel in die von Deutschen gesäuberten Sudetengebiete begonnen, die bis zum 25. Februar 1947 anhielt. Die Um- und Aussiedlungsmaßnahmen zwischen der Tschecho- slowakei und Ungarn, die ungeflihr 200 000 Menschen entwurzelten, endeten erst 1948, dem Jahr der totalen Machtübernahme der Kommunisten in beiden Staaten.
( Fortsetzung auf Seite 16)
15