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„ Geschwür im Körper der Nation”
Monografie mitgewirkt haben. Er betonte, er hätte das Werk nicht zustande bringen können, wenn er nicht lange Jahre hindurch in Ungarn gelebt hätte. Die hiesige Atmosphäre, die unmittelbaren Begegnungen mit den Menschen seien für ihn von besonderer Bedeutung gewesen. In Fünfkirchen begrüßte die Gäste Lorenz Kerner, der Vor- sitzende des Lenau Vereins. Er sagte, er habe sich oft gefragt, warum die Ungarndeutschen nicht fähig waren, ihre Geschichte auf solch hohem Niveau selber aufs Papier zu bringen, er habe aber erkannt, dass zur authentischen Geschichtsschreibung der unbefangene Blick von außen nötig war. Dem Fünfkirchner Publi- kum stellte die beiden Bände Attila Pók vor. Der Historiker und Universitätsdozent hob vor allem die für die Monografie charakteristische ungewöhnliche Betrachtungsweise und die behandelten heiklen Themen hervor. Es kam Seewanns außergewöhnliche Auffassung über die Identität der Deutschen zur Sprache, und Attila Pók erklärte auch, wie ungerecht der bezüglich der Ver- treibung der Ungarndeutschen so oft zitierte Satz des einstigen radikalen Politikers Imre Kovács war, dass nämlich „ die Schwaben mit einem Bündel gekommen sind, und dass sie auch mit einem Bündel gehen sollen”. Die deutschen Ansiedler hätten ja statt „ einen Bündel voll Habseligkeiten” wertvolles Wissen und wertvolle Kultur mit sich nach Ungarn gebracht, wodurch sie Jahrhun- derte lang zur Entwicklung des Landes beigetragen hätten.
„ Erinnert wird, um sich seiner selbst als Wir-Gruppe zu versichern, und diese Erinnerung besitzt zugleich eine identitätsstiftende Funktion. Diese Funktion kann das Handbuch freilich nur dann übernehmen, wenn sein Narrativ von der ungarndeutschen Zielgruppe angenommen wird”, formulierte Gerhard Seewann.
Das rege Interesse für das Buch, sowie auch die Tatsache, dass sein Erscheinen und seine Übersetzung neben der Landesselbst- verwaltung der Ungarndeutschen auch von zahlreichen anderen Organisationen gefördert wurden, zeugt davon, dass die Ungarn- deutschen seine innovative Geschichtsbetrachtung angenommen haben. Die LdU betrachtet die Monografie als ein Standardwerk auf dem Wege zu einer korrekten ungarndeutschen Erinnerungs- kultur.
Bemerkung zu obiger Pressemitteilung
Endlich! Unsere Geschichte mit deutschem Auge gesehen und ob jektiv geschildert! Unsere Geschichte, die jeder Ungarn deut- sche kennen sollte. Prof. Seewann gebührt dafür Dank und Ehre! Lobend soll auch hervorgehoben werden, dass er – sehr richtig- eine Geschichte der Deutschen in Ungarn, also nicht der Ungarndeutschen! geschrieben hat.
Auffallend ist, dass die ungarische Übersetzung so laut publiziert und gepriesen wird. Dagegen wurde das deutsche Original- werk eben nur bekanntgegeben und kaum empfohlen. Richtig, die ungarische Übersetzung hat den Vorteil, dass sie einen viel breiteren Kreis ansprechen kann und sogar auch von den Ungarn- deutschen verstanden wird. Dennoch müsste das deutsche Ori- ginalwerk tonangebend sein! So gesehen ist eben auch die Preis- gestaltung der Bücher falsch! Das deutsche Original( 2 Bände) kann man für 20 000 Forint erstehen, die ungarische Übersetzung dagegen zum( beinah) halben Preis. Sicher kann man den Unter- schied begründen, dennoch ist eine derartige Preisgestaltung ungerecht, – nicht diplomatisch! Es ist doch naheliegend, dass nun auch die Ungarndeutschen überwiegend nach der Übersetzung greifen werden, jetzt nicht nur der Sprachschwierigkeiten wegen, sondern hauptsächlich in Anbetracht des Geldbeutels. Mit einem höheren Preis für die ungarische Variante hätte man die Kosten des Originals teilweise kompensieren und somit den Verkaufspreis niedriger gestalten können. Oder spielt diese Ansicht keine Rolle? – ri –
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VERTREIBUNG und wie es dazu gekommen ist
Jahrzehnte hindurch begann die Beschreibung der Vertreibung der Ungarndeutschen aus ihrer angestammten Heimat mit dem „ Beschluss der Alliierten in Potsdam”. Als Ursache nannte die Politik und als Sprach rohr die Presse „ Vaterlandsverrat” und „ Kriegsverbrecher als 5. Kolonne Hitlers”.
Es hat lange gedauert, bis man die Alliierten( allgemein) von diesem Entscheid – also von dieser Beschuldigung – enthob, und die Haupt- schuld auf die Sowjetunion abwälzte.
Allmählich wurde – ab der Wende 1989 – dann auch die ungarische Regierung der Nachkriegszeit in das böse Spiel mit eingebracht, doch immer mit Erklärungen, die Ungarn als unschuldig hinstellen sollten.
Zuletzt hat Ungarns Prämier Orbán bei der Vertreibungsfeier in Bu- da örs( 19. Januar 2016) diese ungarische Unschuldslegende damit auf den Punkt gebracht, dass er erklärte, nach Kriegsende habe Ungarn keine souveräne Regierung gehabt, quasi: die ungarische Regierung handelte auf Befehl der sowjetischen Besatzer. Unsere Vertreibung hat tiefe Wurzeln – und die Wurzeln haben verschiedenen Nährboden Wir wollen diesem Thema das ganze Jahr hindurch in allen Folgen des Sonntagsblattes nachgehen und machen deshalb unsere geehrten Leser / Interessenten darauf aufmerksam.
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19. Januar 2016 – 70. Jahrestag des Beginns der Vertreibung der Ungarndeutschen
„ Geschwür im Körper der Nation”
Von Reynke de Vos Erschienen in der „ Budapester Zeitung” Februar 2016. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Chefredakteur Jan Mainka.
Ungarndeutsche während der Vertreibung: Sie mussten gehen, weil andere scharf auf ihren Besitz waren.
Man schreibt den 19. Januar 1946. In dem von sechs Hun dert- schaften Polizei umstellten Budaörs, einem Budapester Vorort mit deutschem Ortsnamen Wudersch, werden die „ Schwaben” aus den Betten geholt. Nur das Allernötigste dürfen sie zusammenklauben, bevor sie zum Gemeindeamt getrieben werden, wo man ihre Namen mit auf Listen rubrizierten vergleicht. Weiter geht’ s zum Bahnhof. In bereitstehenden Viehwaggons verlassen 1058 Bewohner die Ortschaft; am 30. Januar kommen sie in Aalen, 80 Kilometer östlich von Stuttgart, an. Ein zweiter Transport mit
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