1054 Menschen erreicht am 1. Februar Göppingen. So geht es
Schlag auf Schlag: Binnen fünf Wochen sehen sich 6753 Wu -
derscher wie Vieh nach Württemberg und Baden verfrachtet.
General Lucius D. Clay will sich persönlich von der Einhaltung
der von der Alliierten Kontrollkommission erlassenen Bestim -
mun gen überzeugen. „Die Ausgewiesenen”, notiert der amerika-
nische Oberbefehlshaber nach Ankunft der ersten Züge in seiner
Besatzungszone, „wurden ohne Proviant und nur mit dem not-
dürftigsten Gepäck versehen, zusammengestellt; hungrig und
arm selig kamen sie an.” Nicht zuletzt auf Clays Protest hin wird
das Transport und Aufteilungsregime etwas gemildert.
Angebliche Verpflichtungen aus dem Potsdamer
Abkommen mussten für die damalige ungarische
Regierung als Notlüge für die Rechtfertigung der
Vertreibung der Ungarndeutschen herhalten
Die Amerikaner schicken bisweilen Züge
zurück, weigern sich schließlich sogar, weitere
Vertriebene in ihrem Besatzungsgebiet aufzu-
nehmen, sodass die Austreibung der Deutschen aus Ungarn ins
Stocken gerät. Erst am 22. Juni und am 23. August 1947 gehen
daher aus Wudersch die beiden letzten Transporte ab, – nach
Hoyerswerda, in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Hernach
ist Budaörs, von dessen 9814 Einwohnern sich 8448 in der Volks -
zählung vom 21. Dezember 1941 zu ihren deutschen Wurzeln
bekannt hatten, „frei von Schwaben”. So auch im benachbarten
Budakeszi: In vier Transporten müssen 3800 „Schwaben” im März
1946 ihr Wudigeß in Richtung Süddeutschland verlassen. Dorf für
Dorf, Komitat (Bezirk) für Komitat, in denen die Schwaben (ung.
„svábok” – klassische Sammelbezeichnung für in Ungarn lebende
Deutsche) seit Generationen leben, leeren sich. In besagter Volks -
zählung hatten 477 057 Personen „deutsch” als ihre Volks- oder
Sprachzugehörigkeit angegeben; 136 847 Staatsbürger deutscher
Nationalität verließen ungarischen Quellen zufolge bis zum 1.
September, weitere 24 789 bis Dezember 1946 Ungarn. General
Clay hielt 168 000 als Zahl der Ankömmlinge in seinem Besat -
zungsgebiet fest. Auf seine Anordnung hin endete am 1. Dezem -
ber 1946 die „Aussiedlung” (ung. kitelepítés) – so der beschöni-
gende amtliche Sprachgebrauch – in den amerikanisch besetzten
Teil Deutschlands. Zwischen Frühjahr 1947 und Sommer 1948
verbrachte man daher gut fünfzigtausend Deutsche aus Ungarn in
die SBZ, von denen viele bald den Weg in die Westzonen wählten.
Vertriebene, Kriegsflüchtlinge und Heimkehrer aus der Sowjet -
union, wohin 64 000 zur Zwangsarbeit deportiert worden und von
denen 16 000 zu Tode gekommen waren, machten insgesamt 225
000 Ungarndeutsche aus, soweit sie in der Bundesrepublik als
Ausgesiedelte amtlich registriert worden waren.
Fragwürdige Rolle der Alliierten
Die Vertreibung selbst war in der Verordnung Nr. 12 330 amtlich
bekannt gemacht und im Ungarischen Staatsanzeiger (Magyar
Közlöny) Nr. 211 vom 29. Dezember 1945 veröffentlicht worden:
„Aufgrund des Beschlusses der Regierung und der Alliierten
Kont roll kommission vom 20. November 1945 über die Umsied -
lung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland wird
verfügt: Zur Umsiedlung sind jene ungarischen Staatsbürger ver-
pflichtet, die sich anlässlich der letzten Volkszählung zur deut-
schen Nationalität oder Muttersprache bekannt haben oder die
ihren magyarisierten Namen wieder in einen deutsch klingenden
umändern ließen, ferner diejenigen, die Mitglied des Volksbundes
oder einer bewaffneten deutschen Formation (SS) waren.” Die
Anordnung berief sich auf die Legitimierung durch die Konferenz
von Potsdam (17. Juli bis 2. August 1945). In Punkt XIII des dort
geschlossenen Abkommens heißt es: „Die drei Regierungen ha -
ben die Frage von allen Seiten beleuchtet und sind zu der Ansicht
gelangt, dass eine Überführung der deutschen Bevölkerung oder
von deutschen Bevölkerungselementen, die in Polen, der Tsche -
choslowakei oder in Ungarn geblieben sind, nach Deutschland
vorgenommen werden muss. Sie sind sich darüber einig, dass dies
auf eine geordnete und humane Weise geschehen soll.” Aus
Sitzungsprotokollen der Alliierten geht gleichwohl hervor, dass
die Vertreibung der Ungarndeutschen ursprünglich gar nicht vor-
gesehen war. Völlig unerwartet für Generalmajor William S. Key,
den Vertreter der Vereinigten Staaten (nach dem 5. Juli 1946
Brigadegeneral George Hatton Weems), sowie für Generalmajor
Oliver P. Edgcumbe, der Großbritannien vertritt, wird das Thema
am 16. Juni 1945 auf die Tagesordnung gesetzt. Sowjet-Marschall
Kliment Jefremowitsch Woroschilow, Leiter der Alliierten Kom -
mission, unterbreitet das Ersuchen der ungarischen Regierung um
„Repatriierung der Schwaben in ein von der Grenze des Landes
weit entferntes Gebiet”. Edgcumbe will das gesamte Vorhaben
genauer definiert wissen, es ähnele eher einer Deportation
(Zwangsverschickung) als einer Repatriierung (Rücksiedlung).
Woroschilow ist einverstanden, in späteren Sitzungen ist stets von
Deportation, bisweilen auch von Vertreibung (expulsion) die
Rede.
Anordnung oder Genehmigung?
Dass die „Aussiedlung der Schwaben” somit nicht, wie in Ungarn
jahrzehntelang offiziell dargestellt, eine Folge der (sie hernach
gutheißenden) Beschlüsse von Potsdam gewesen, sondern von sei-
ner damaligen Regierung in die Wege geleitet worden ist, beweist
auch das alliierte Sitzungsprotokoll vom 25. Januar 1946.
Demnach führte die Formulierung „auf Weisung der Siegermäch -
te” zum Einschreiten. Key trug vor, er habe Klagen gehört über
die Auswahl der zu Deportierenden und über das Verfahren als
solches. Der amerikanische General schlug vor: Da die vom spä-
teren Staatspräsidenten Zoltán Tildy, einem reformierten Pfarrer,
unterzeichnete Verordnung vom 29. Dezember 1945 behaupte,
die Aussiedlung geschehe „auf Anordnung der Alliierten Kont -
rollkommission”, müsse der Text in „mit Genehmigung” derselben
umgeändert werden, denn die ungarische Regierung habe sie von
sich aus beantragt. Woroschilow fand sich sofort zur entsprechen-
den Anweisung bereit und fügte an, er werde „auch in der für die
ungarischen Zeitungen bestimmten Veröffentlichung klarmachen,
dass die Deportation das Ergebnis eines von der ungarischen Re -
gierung gestellten Antrags” sei. Es sind auch nicht, wie häufig
behauptet, die Kommunisten allein gewesen, die die Ungarndeut -
schen kollektiv büßen ließen. Alle den „Schwaben” geltenden
Maßnahmen – Enteignung, Entrechtung, Vertreibung, Umsied -
lung Verbleibender innerhalb Ungarns – wurden zwischen 1945
und 1947 ergriffen, als in der Regierung überwiegend ungarisch-
nationale Parteien das Sagen hatten. Am 4. November 1945 fand
die Wahl zur Nationalversammlung statt. Von den 4 730 409 abge-
gebenen gültigen Stimmen entfielen 2 697 508 auf die Partei der
Unabhängigen Kleinlandwirte (57,03 Prozent), auf Sozialdemok -
ra ten 823 314 (17,41), Kommunisten 802 122 (16,95), Nationale
Bauernpartei 325 284 (6,87), Demokratische Partei 76 424 (1,62)
sowie auf die Radikale Partei 5757 Stimmen (0,12 Prozent). Von
den sechzehn Ministern der ersten Nachkriegsregierung stellten
die Kommunisten vier. Verschwiegen werden darf auch nicht, dass
just mit Beginn der kommunistischen Alleinherrschaft im Lande
(1948) nichtungarischen ethnischen Gemeinschaften erste Er -
leich terungen zuteil wurden. Und ausgerechnet der Stalinist
Mátyás Rákosi sollte 1950 alle von Vorgängerregierungen gegen
die verbliebenen Deutschen erlassenen Gesetze aufheben.
(Fortsetzung auf Seite 14)
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