Wie die nationale Unschulds- legende Verbreitung findet
Über einen Geschichtsvortrag im Lenauhaus und eine neue Legende
Ich habe mich an einem nasskalten Märzabend aufgemacht, im Lenauhaus in Fünfkirchen / Pécs an einem Vortragsabend der Pan- europa Union teilzunehmen. Meine Neugier auf die Referentin und mein Interesse am Thema veranlassten mich dazu. Die Re- ferentin, die junge Historikerin Barbara Bank war mir von ihrer Koautorenschaft des Buches A német ügy( Die Deutsche Sache) bekannt, in dem sich Bank mit einem Teilaspekt der ungarndeutschen Geschichte befasst hat. Vor allem der Titel ihres Vortrages machte mich neugierig. Er hieß:
Ungarn von 1945 bis 1948 – Konsolidierung und der Weg in die Diktatur
Nachdenklich machte mich das Wort „ Konsolidierung”. Eine Konsolidierung zwischen 1945 und 1948? Waren es doch Jahre von wirren Bevölkerungsverschiebungen in Ungarn. Deutsche, Ungarn, Slowaken, Serben wurden zwangsweise, wie Ware, über Grenzen geschoben, verjagt, ihrer Heimat und ihres Vermögens beraubt. Bekanntlich brachten gerade diese Jahre die schlimmste Katastrophe in der Geschichte der Deutschen in Ungarn. Wo gab es für uns Schwaben in diesen Jahren der Verfolgung eine Kon- solidierung, eine Entlastung oder auch nur eine Sekunde der Ruhe und Sicherheit in unserem Lande? Gerade in den drei ge- nannten Nachkriegsjahren überzog man die Schwaben mit einer üblen politischen Hetzkampagne in der Presse und im Parlament, und übte eine äußerst repressive psychische und physische Gewalt auf die Ungarndeutschen aus.
Es waren schicksalhafte Jahre mit Verschleppung, Enteignung, Auseinandersiedlung und einer sich über drei Jahre hinziehender Vertreibung aus der Heimat. Für die verbliebenen Ungarndeut- schen mit nachfolgender ethnischer Unterdrückung. Ich war neugierig, wie die in jüngster Zeit mit einem Staatspreis ausgezeichnete Historikerin den positiv belegten Begriff „ Konsolidierung” in jenen Jahren erklären wird. Sie tat es verblüffend einfach. Sie blen dete all das, was ich hoffte von einer Historikerin der Nach- wendezeit unbefangen und objektiv erklärt zu bekommen, einfach aus. Zu meiner Überraschung erwähnte sie von sich aus den antischwäbischen Terror, der schließlich bald eine halbe Million Menschen betraf, überhaupt nicht. Alles, was in Ungarn ab 1945 an Negativem geschah, sei bereits lange vorher in Moskau er- dacht, geplant und genauestens ausgearbeitet gewesen, erfuhren die Zuhörer. Alle politisch – geistigen Akteure der ungarischen Geschichte zwischen 1945 und 1948 waren nur Marionetten der Sowjets und nichts anderes – wenn diese das auch dummgläubig nicht wahrhaben wollten( wie Ministerpräsident Tildy), so Frau Bank. Nachdem die lange Zeit bemühte Potsdamer Legende, nach der die Siegermächte und ihr Beschluss in Potsdam für die Vertreibung der Ungarndeutschen im Wesentlichen verantwortlich sein sollten, nicht mehr haltbar ist, entwickelte man im Zuge der nationalen Überflutung den Unbeflecktheitsmythos der Nation, deren folgerichtige Ausgeburt die jüngste historische Legende ist:
Die Kryptokommunisten-Legende
Ab 1945 gab es nur mehr Kommunisten an den Schaltstellen der Regierung. In Wirklichkeit waren sie schon im Einflussbereich und auf Wellenlänge der Moskauer Kommunisten. Alle Politiker mutierten zu verkappten Kommunisten, zu so genannten Kryp- tokommunisten. Banks Kredo: Alles, was in der Zeit 1945 / 48 in
Ungarn geschah, war genuin nicht ungarischen, sondern kommunistisch – sowjetischen Ursprungs, implizit natürlich auch die Ver- treibung. Die Sowjets bedienten sich ihrer ungarischen Befehls- empfänger. Als Frau Bank so nach 40 Minuten eine Folie auf die Leinwand warf, auf der alle Kategorien der so genannten „ Reak- tio nären” und „ Straffälligen” im politischen Sinne aufgeführt wa- ren( Offiziere der Horthyzeit, Pfeilkreuzler, Kulaken, Großgrund- be sitzer, Fabrikanten, Intellektuelle, Pfarrer usw.), habe ich zum ersten Mal die andachtsvolle Stille des mit ca. 80 Teilnehmern vollen Vortragsraumes irritierend unterbrochen: Ich suche die Schwa ben, sie stünden nicht auf der Liste, rief ich dazwischen, sie seien doch angeblich die schlimmsten Feinde des Landes gewesen. Vorher hatte Frau Bank gerade anklagend vorgebracht, dass in Rumänien die Rumänienungarn in jenen Jahren als Faschisten diffamiert wurden. Dass die Ungarndeutschen zur selben Zeit pauschal als Hitleristen beschimpft wurden, konnte ich als Rekurs nicht mehr vorbringen, denn die Referentin reagierte sichtlich verärgert, und ich merkte, dass ich auf keine Sympathie mehr zählen konnte im Raum, und hielt den Mund bis zum Ende des Vortrages. In der anschließenden Diskussion konnte ich dann die Schwarzweißmalerei des Vortrages( für alles Unrecht waren die Kom munisten verantwortlich) nicht stehen lassen und meinte, mit Zahlen und Fakten überzeugen zu können. Gerade die „ Schwa- benfrage” und deren „ Lösung” sei doch der beste Beweis, dass die damalige ungarische politische Führung sehr wohl selbst, in eigenständiger Initiative, ohne sowjetischen Einfluss, Vorgänge wie die Vertreibung und Enteignung einer ganzen Volksgruppe planen und durchsetzen konnte, versuchte ich zu argumentieren. Frau Bank stand wie ein Granitblock und wies mein Ansinnen entschieden ab. Alle politischen und geistigen Akteure in der „ Schwa- benfrage” waren eigentlich verkappte Kommunisten: Kryp- tokommunisten, belehrte mich die Referentin. Tildy Zoltán, Nagy Ferenc, Monsignore Varga Béla( alle Partei der Klein land wirte, Inhaber der drei höchsten Staatsämter 1945 / 48 und Wort führer der Vertreibung) und andere Politiker und Schriftsteller, die ich als Wegbereiter der Vertreibung aufzählte, tat sie ab als Kryp- tokommunisten! Ihr unausgesprochenes Fazit: In den drei Jah ren der Zerschlagung der über 250 Jahre gewachsenen ungarndeutschen Volksgruppe blieb die politische Weste der wahren Nation blütenweiß! Diese Untaten haben andere, nämlich die Sow jets und ihre vom Kommunismus infizierten Handlanger verübt.
Frau Bank kann als würdige Bardin des Orbánschen nationalen Unbeflecktheitsmythos angesehen werden, dessen aussagekräftiges, großformatiges Denkmal der Regierungschef vor einem Jahr im Zentrum Budapest errichten ließ: Der kniende Erzengel Gab- riel als Symbol des unschuldigen Ungarns, wie er von einem deutschen Raubvogel überfallen wird. Der Orbánsche nationale Un- schuldsmythos, den er sogar in die Verfassung des Landes aufnehmen ließ, wird anscheinend von wohlgelittenen jungen Histo- rikern verinnerlicht und nach außen getragen. Jedenfalls bediente ihn die Historikerin Barbara Bank im Haus der Branauer Schwa- ben an diesem Abend in unbekümmerter Selbstgewissheit und bestürzender historischer Ignoranz. Vor wenigen Monaten erhielt sie auf Vorschlag des Ministerpräsidenten Viktor Orbán eine hohe Auszeichnung wegen ihrer „ faktengetreuen historischen For- schungsarbeit der Jahre 1945 – 1956”, so die Begründung. Ihre Verlautbarungen zur Vertreibungsverantwortung Ungarns ließen von Faktentreue wenig erkennen. Einseitiger, will heißen faktenwidriger, wurde Geschichte auch in der kommunistischen Ära nicht interpretiert. Dabei hätte Frau Bank mit Gelassenheit zugeben können, dass die Konsolidierung zwischen 1945 – 48, wenn es denn eine gegeben habe, auf dem Rücken der enteigneten und vertriebenen ungarndeutschen Minderheit erfolgte. Sie hätte das gelassen zugeben können, denn verantwortlich für die kollektive
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