Sonntagsblatt 2/2015 | Page 4

Wie die nationale Unschulds - legende Verbreitung findet

Über einen Geschichtsvortrag im Lenauhaus und eine neue Legende
Ich habe mich an einem nasskalten Märzabend aufgemacht , im Lenauhaus in Fünfkirchen / Pécs an einem Vortragsabend der Pan - europa Union teilzunehmen . Meine Neugier auf die Referentin und mein Interesse am Thema veranlassten mich dazu . Die Re - ferentin , die junge Historikerin Barbara Bank war mir von ihrer Koautorenschaft des Buches A német ügy ( Die Deutsche Sache ) bekannt , in dem sich Bank mit einem Teilaspekt der ungarndeutschen Geschichte befasst hat . Vor allem der Titel ihres Vortrages machte mich neugierig . Er hieß :
Ungarn von 1945 bis 1948 – Konsolidierung und der Weg in die Diktatur
Nachdenklich machte mich das Wort „ Konsolidierung ”. Eine Konsolidierung zwischen 1945 und 1948 ? Waren es doch Jahre von wirren Bevölkerungsverschiebungen in Ungarn . Deutsche , Ungarn , Slowaken , Serben wurden zwangsweise , wie Ware , über Grenzen geschoben , verjagt , ihrer Heimat und ihres Vermögens beraubt . Bekanntlich brachten gerade diese Jahre die schlimmste Katastrophe in der Geschichte der Deutschen in Ungarn . Wo gab es für uns Schwaben in diesen Jahren der Verfolgung eine Kon - solidierung , eine Entlastung oder auch nur eine Sekunde der Ruhe und Sicherheit in unserem Lande ? Gerade in den drei ge - nannten Nachkriegsjahren überzog man die Schwaben mit einer üblen politischen Hetzkampagne in der Presse und im Parlament , und übte eine äußerst repressive psychische und physische Gewalt auf die Ungarndeutschen aus .
Es waren schicksalhafte Jahre mit Verschleppung , Enteignung , Auseinandersiedlung und einer sich über drei Jahre hinziehender Vertreibung aus der Heimat . Für die verbliebenen Ungarndeut - schen mit nachfolgender ethnischer Unterdrückung . Ich war neugierig , wie die in jüngster Zeit mit einem Staatspreis ausgezeichnete Historikerin den positiv belegten Begriff „ Konsolidierung ” in jenen Jahren erklären wird . Sie tat es verblüffend einfach . Sie blen dete all das , was ich hoffte von einer Historikerin der Nach - wendezeit unbefangen und objektiv erklärt zu bekommen , einfach aus . Zu meiner Überraschung erwähnte sie von sich aus den antischwäbischen Terror , der schließlich bald eine halbe Million Menschen betraf , überhaupt nicht . Alles , was in Ungarn ab 1945 an Negativem geschah , sei bereits lange vorher in Moskau er - dacht , geplant und genauestens ausgearbeitet gewesen , erfuhren die Zuhörer . Alle politisch – geistigen Akteure der ungarischen Geschichte zwischen 1945 und 1948 waren nur Marionetten der Sowjets und nichts anderes – wenn diese das auch dummgläubig nicht wahrhaben wollten ( wie Ministerpräsident Tildy ), so Frau Bank . Nachdem die lange Zeit bemühte Potsdamer Legende , nach der die Siegermächte und ihr Beschluss in Potsdam für die Vertreibung der Ungarndeutschen im Wesentlichen verantwortlich sein sollten , nicht mehr haltbar ist , entwickelte man im Zuge der nationalen Überflutung den Unbeflecktheitsmythos der Nation , deren folgerichtige Ausgeburt die jüngste historische Legende ist :
Die Kryptokommunisten-Legende
Ab 1945 gab es nur mehr Kommunisten an den Schaltstellen der Regierung . In Wirklichkeit waren sie schon im Einflussbereich und auf Wellenlänge der Moskauer Kommunisten . Alle Politiker mutierten zu verkappten Kommunisten , zu so genannten Kryp - tokommunisten . Banks Kredo : Alles , was in der Zeit 1945 / 48 in
Ungarn geschah , war genuin nicht ungarischen , sondern kommunistisch – sowjetischen Ursprungs , implizit natürlich auch die Ver - treibung . Die Sowjets bedienten sich ihrer ungarischen Befehls - empfänger . Als Frau Bank so nach 40 Minuten eine Folie auf die Leinwand warf , auf der alle Kategorien der so genannten „ Reak - tio nären ” und „ Straffälligen ” im politischen Sinne aufgeführt wa - ren ( Offiziere der Horthyzeit , Pfeilkreuzler , Kulaken , Großgrund - be sitzer , Fabrikanten , Intellektuelle , Pfarrer usw .), habe ich zum ersten Mal die andachtsvolle Stille des mit ca . 80 Teilnehmern vollen Vortragsraumes irritierend unterbrochen : Ich suche die Schwa ben , sie stünden nicht auf der Liste , rief ich dazwischen , sie seien doch angeblich die schlimmsten Feinde des Landes gewesen . Vorher hatte Frau Bank gerade anklagend vorgebracht , dass in Rumänien die Rumänienungarn in jenen Jahren als Faschisten diffamiert wurden . Dass die Ungarndeutschen zur selben Zeit pauschal als Hitleristen beschimpft wurden , konnte ich als Rekurs nicht mehr vorbringen , denn die Referentin reagierte sichtlich verärgert , und ich merkte , dass ich auf keine Sympathie mehr zählen konnte im Raum , und hielt den Mund bis zum Ende des Vortrages . In der anschließenden Diskussion konnte ich dann die Schwarzweißmalerei des Vortrages ( für alles Unrecht waren die Kom munisten verantwortlich ) nicht stehen lassen und meinte , mit Zahlen und Fakten überzeugen zu können . Gerade die „ Schwa - benfrage ” und deren „ Lösung ” sei doch der beste Beweis , dass die damalige ungarische politische Führung sehr wohl selbst , in eigenständiger Initiative , ohne sowjetischen Einfluss , Vorgänge wie die Vertreibung und Enteignung einer ganzen Volksgruppe planen und durchsetzen konnte , versuchte ich zu argumentieren . Frau Bank stand wie ein Granitblock und wies mein Ansinnen entschieden ab . Alle politischen und geistigen Akteure in der „ Schwa - benfrage ” waren eigentlich verkappte Kommunisten : Kryp - tokommunisten , belehrte mich die Referentin . Tildy Zoltán , Nagy Ferenc , Monsignore Varga Béla ( alle Partei der Klein land wirte , Inhaber der drei höchsten Staatsämter 1945 / 48 und Wort führer der Vertreibung ) und andere Politiker und Schriftsteller , die ich als Wegbereiter der Vertreibung aufzählte , tat sie ab als Kryp - tokommunisten ! Ihr unausgesprochenes Fazit : In den drei Jah ren der Zerschlagung der über 250 Jahre gewachsenen ungarndeutschen Volksgruppe blieb die politische Weste der wahren Nation blütenweiß ! Diese Untaten haben andere , nämlich die Sow jets und ihre vom Kommunismus infizierten Handlanger verübt .
Frau Bank kann als würdige Bardin des Orbánschen nationalen Unbeflecktheitsmythos angesehen werden , dessen aussagekräftiges , großformatiges Denkmal der Regierungschef vor einem Jahr im Zentrum Budapest errichten ließ : Der kniende Erzengel Gab - riel als Symbol des unschuldigen Ungarns , wie er von einem deutschen Raubvogel überfallen wird . Der Orbánsche nationale Un - schuldsmythos , den er sogar in die Verfassung des Landes aufnehmen ließ , wird anscheinend von wohlgelittenen jungen Histo - rikern verinnerlicht und nach außen getragen . Jedenfalls bediente ihn die Historikerin Barbara Bank im Haus der Branauer Schwa - ben an diesem Abend in unbekümmerter Selbstgewissheit und bestürzender historischer Ignoranz . Vor wenigen Monaten erhielt sie auf Vorschlag des Ministerpräsidenten Viktor Orbán eine hohe Auszeichnung wegen ihrer „ faktengetreuen historischen For - schungsarbeit der Jahre 1945 – 1956 ”, so die Begründung . Ihre Verlautbarungen zur Vertreibungsverantwortung Ungarns ließen von Faktentreue wenig erkennen . Einseitiger , will heißen faktenwidriger , wurde Geschichte auch in der kommunistischen Ära nicht interpretiert . Dabei hätte Frau Bank mit Gelassenheit zugeben können , dass die Konsolidierung zwischen 1945 – 48 , wenn es denn eine gegeben habe , auf dem Rücken der enteigneten und vertriebenen ungarndeutschen Minderheit erfolgte . Sie hätte das gelassen zugeben können , denn verantwortlich für die kollektive
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