mannuniform fotografieren, an seiner Brust mit einer hohen
Auszeichnung, die er während des Ersten Weltkriegs erhielt. Nach
der Machtergreifung durch Hitler wurde seine Ernennung zum
Rechtsanwalt der Gesandtschaft zurückgenommen, er verlor den
Großteil seiner deutschen Mandanten.
Wenige Wochen nach der deutschen Besetzung Ungarns wurde
mein Vater zusammen mit zahlreichen anderen Mitgliedern der
jüdischen Elite in der Hauptstadt zuerst in Budapest, dann im
Horthy-Liget interniert. Einige Mitglieder der deutschen Ge -
meinschaft in Budapest, die meinen Vater als Mandanten kennen
und schätzen gelernt haben, haben Botschafter Veesenmayer auf-
gesucht, der schon damals Gauleiter Ungarns war, und baten ihn
um die Freilassung meines Vaters. Veesenmayer trieb sie erzürnt
hinaus. Wenige Wochen später wurde er und viele andere Mit -
strei ter einwaggoniert und nach Auschwitz gebracht, wo er den
Tod fand. Jahrzehnte hinweg diente er mit Fachkompetenz den
deutschen Wirtschaftsinteressen – und wurde Opfer der deut-
schen Besatzung. Er war ungarischer Patriot, der im Internie -
rungs lager von ungarischen Polizisten und Soldaten festgehalten
wurde und den man auf einen solchen Zug verbrachte, der von
ungarischen Gendarmen auf die Reise geschickt wurde.
Niemals sah ich mich veranlasst, mich wegen der persönlichen
Tragödie und den Demütigungen und dem millionenfachen
Sterben von Juden gegen die deutsche Kultur zu wenden. Aus der
Hausbibliothek meiner Jugend, die ich so leidenschaftlich gesam-
melt habe, blieben lediglich zwei Werke erhalten: Das eine ist
wohlgemerkt ein deutsches Werk, Thomas Manns „Tonio Krö -
ger”. Ich bewahre es noch heute liebevoll auf. Die in deutscher
Sprache verfassten Gedichte und Romane, die Werke der Musik
und bildenden Kunst gehören nicht nur zu den wertvollen, mir lie-
ben kulturellen Schätzen, sondern sie haben sich – weil ich ihnen
in meiner frühen Jugend zuerst begegnete – tief in meine Seele
eingebrannt. Ich möchte hinzufügen: Es ist ein gutes Gefühl, dass
heute sowohl Ungarn als auch Deutschland Mitglied in der EU
sind, wir sind Mitglieder derselben Gemeinschaft, unser gemein-
samer Schatz ist die europäische Kultur, und wir orientieren uns
an dieselben europäischen Werte.
SB: In Ihrer Biografie lesen wir, dass Sie in Cambridge Vorlesungen
auf Deutsch hielten: Wie kam das bei den Zuhörern in England 17
Jahre nach Kriegsende an?
JK: Sie waren ein wenig überrascht, denn alle anderen, sogar die
Franzosen, die an der Konferenz teilnahmen, sprachen englisch.
Ich war der erste, der aus dem Bereich hinter dem Eisernen Vor -
hang in diesem prominenten Kreis auftauchte (aus den 20–25
Teilnehmern erhielten später vier den Nobelpreis). Damals sprach
ich nur bruchstückhaft englisch, ein eigener Dolmetscher wurde
engagiert, damit dieser meine Worte für die Zuhörer übersetzte.
Bei keinem habe ich irgendeine Form von „Deutschfeindlichkeit”
erfahren.
Was meine Sprachkenntnisse anbelangt, so wendete sich das
Blatt. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr sprach ich kaum
deutsch, meine Deutschkenntnisse verrosteten allmählich. Die
Fachsprache habe ich als Wirtschaftsenglisch angeeignet, daran
habe ich mich mit der Zeit gewöhnt. Aber das Gedicht eines deut-
schen Poeten spricht mich viel intensiver an, und nicht nur geistig,
sondern auch emotional, als ein englisches.
SB: Sie waren 1983 Gastprofessor an der Universität von München.
Wie haben Sie Deutschland (der Achtziger) erlebt?
JK: Ich will eine ehrliche Antwort geben: Als Tourist habe ich in
den Sommermonaten, die ich in München verbracht habe, viele
schöne Dinge gesehen. Ich genoss die Kultiviertheit der Stadt und
die Ordnung wie Sauberkeit der Vorstadt, wo wir wohnten. Meine
Frau und ich fühlten uns sehr wohl.
Wenn Sie erlauben, möchte ich die Frage präzisieren: Nicht als
Gastprofessor, der unterrichten sollte, bin ich eingeladen worden.
Ich erhielt eine hohe deutsche Auszeichnung, den Humboldt-
Preis. Dies ermöglichte es mir, die Sommerzeit ohne jegliche
Lehr- und administrative Verpflichtung mit Forschungstätigkeit zu
verbringen. Ich nutzte die Gelegenheit und habe mich voll und
ganz der Forschungstätigkeit gewidmet, und zugegebenermaßen
habe ich mich nicht mit der gesellschaftlichen, politischen und
wirtschaftlichen Verfassung des damaligen Deutschlands beschäf-
tigt. Was dauerhaft aus dieser Zeit und aus der Zeit weiterer
Deutschlandaufenthalte erhalten blieb, sind die beruflichen Kon -
takte, die sich zwischen mir und den deutschen Kollegen entwi-
ckelten. Und was noch wichtiger ist, ist die Tatsache, dass sich
nicht einer dieser Kontakte zu einer aufrichtigen Freundschaft
ent wickelte: Die Freundschaft hielt ich schon damals und halte
weiterhin für einen der wichtigsten Werte.
Herr Professor, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Richard Guth.
Prof. em. Dr. János Kornai
János Kornai (bis 1945 Kornhauser) ist 1928 in einer jüdischen
Juristenfamilie geboren. Er wurde 1944 zum Arbeitsdienst ver-
pflichtet, sein Vater starb im Konzentrationslager von Auschwitz.
Nach dem Abitur arbeitete er als Redakteur bei der Tageszeitung
„Szabad Nép”, der heutigen „Népszabadság”. 1955 wurde er aus
der Zeitung entfernt, das Revolutionsjahr 1956 gilt für ihn als das
Jahr des Bruchs mit der Ideologie des Marxismus. Seine Dis ser -
tation „Die Überzentralisierung der Wirtschaftslenkung”, in der
er Dezentralisierung und mehr Marktmechanismen forderte,
wurde als revisionistisches Werk abgestempelt, Kornai von seinem
Arbeitsplatz entfernt und mit Reiseverbot belegt. Er arbeitete
danach in zahlreichen ungarischen Forschungsinstituten, erhielt
ab Mitte der 1960er Jahre Einladungen aus dem Au sland. Er war
Gastprofessor unter anderem an den Universitäten Stanford,
Princeton, Yale, London und Stockholm, und erhielt im Laufe der
Zeit die Ehrendoktorwürde zahlreicher renommierter Hochschu -
len in der ganzen Welt. Zusammen mit Tamás Lipták führte er die
mathematische Optimierung erstmalig in das System der Plan -
wirtschaft ein. In seinem großen Werk „Economics of Shortage”
(Der Mangel) beschäftigt er sich mit den Strukturdefiziten der
Planwirtschaft. Nach der Wende widmete er sich Fragen des
Übergangs in postsozialistischen Staaten, die der Wohlfahrts -
systeme sowie der vergleichenden Analyse von Wirtschaftssyste -
men wie der Rolle Chinas in der Zukunft. Seine Werke wurden in
viele Sprachen übersetzt. Von 1986 (bis zu seiner Emeritierung im
Jahre 2003) war Kornai Professor für Wirtschaftswissenschaften
an der Harvard-Universität. Er lehrte parallel dazu in Budapest
(Corvinus-Universität, Central Europaen University Budapest)
und war Gründungsmitglied (auf Englisch fellow) des Institutes
for Advanced Studies (Institut für Fortgeschrittene Studien) des
Collegium Budapest. Er saß von 1995 bis 2001 im Vorstand der
Ungarischen Nationalbank. Im Laufe seiner beruflichen Karriere
erhielt er zahlreiche Auszeichnungen wie den Humboldt-Preis
und den Széchenyi-Preis. Kornai ist Mitglied sowie Ehrenmitglied
zahlreicher wissenschaftlicher Akademien und Gesellschaften.
János Kornai ist verheiratet, Vater von drei Kindern und
Großvater von sieben Enkelkindern.
Quellen: Harvard University, Wikipedia
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