tigsten in Form kulturellen Vorwärtsstrebens und gemeinschaftlicher Opferwilligkeit . Dieser urwüchsige Drang nach Selbster - haltung des eigenen Volkstums schlug nach dem Kriege mit einem Male breite und feste Wurzeln . Diese herrliche Wandlung unseres getreu seinen Idealen nachlebenden Volkes eröffnet auch ein neues Blatt in der Geschichte des Deutschtums in Ungarn .
Es behütet und schirmt mit – man möchte sagen – sagenhafter Treue und Zähigkeit sein Ahnenerbe , seinen christlichen Glau ben , seine Heimatliebe und sein Volkstum und lebt und wirkt für etwas , wofür es sich allein lohnt zu arbeiten und kämpfen : für die Zukunft seines eigenen Blutes .
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„ Tief in meine Seele eingebrannt ”
Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und emeritierte Harvard-Professor Dr . János Kornai erzählt im SB-Gespräch über die Geschichte seiner Familie , seinen beruflichen Wer de - gang und sein Verhältnis zur deutschen Sprache und Kultur
SB : Herr Professor , Sie sind an der Harvard University offiziell 2003 in den Ruhestand verabschiedet worden . In den Vereinigten Staaten gilt – im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Tradition – die Er - nen nung zum Hochschullehrer „ lebenslang ”. Warum haben Sie sich also für die Pensionierung entscheiden ? Und führen Sie tatsächlich ein ruhiges Rentnerleben ? JK : An der Harvard-Universität werden keine Stellen für ordentliche Professoren ( mit der englischen Terminologie : full professor ) ausgeschrieben , sondern die Universität lädt denjenigen – nach einem gründlichen Auswahlprozess – ein , den sie als geeignet erachtet . Das war für mich eine große Ehre , aber ich nahm diesen Auftrag mit der Bedingung an , dass ich lediglich die Hälfte der Zeit dort verbringe , in der anderen Hälfte wollte ich weiterhin in Ungarn zugegen sein . So bin ich zusammen mit meiner Frau gut zwei Jahrzehnte zwischen Cambridge , Massachusetts und Buda - pest gependelt . 2003 bin ich 75 geworden und wir waren der Mei - nung , dass dieses Leben eines Pendlers zu anstrengend geworden ist : Das veranlasste mich dazu , in den Ruhestand zu treten . Aber auch seitdem bin ich aktiv geblieben , allen voran als Forscher und Verfasser von Studien und Büchern . Ich habe die Lehrtätigkeit auch nicht aufgegeben , bis es meine Kräfte mir erlaubten , hielt ich Vorlesungsreihen und leitete Oberseminare . Neuerdings be - schrän ke ich mich darauf , der jungen Generation , Studenten , Schülern und jungen Lehrern individuell mit Rat zur Seite zu stehen , im offiziellen Rahmen , dauerhaft oder informell , wie über indi viduelle Treffen . Ohne den kontinuierlichen Kontakt zur Ju - gend könnte ich mir mein Leben gar nicht vorstellen . SB : Kehren wir in die Vergangenheit zurück : Sie sind in einer bilingualen jüdischen Akademikerfamilie aufgewachsen . Welche Rolle spiel te in der Familie die deutsche Sprache ? JK : Wir , unsere Eltern und Geschwister , sprachen untereinander ausschließlich ungarisch .
Wenn Vater und Mutter bei uns erreichen wollten , dass das Kind nicht versteht , was sie untereinander sagen , konnten sie die Sprache nicht wechseln , vom Ungarischen zum Deutschen , nach der altbekannten Formel „ Nicht vor dem Kind ”, denn jedes Kind sprach gut deutsch . Ich hatte deutsche Erzieher , die ich über alles liebte , von dem letzten Kindermädchen , Fräulein Liesl , die sich um mich und meinen Bruder Tomi kümmerte , bis wir die Ado - leszenz erreichten , war ich regelrecht begeistert , was deutlich über eine Begeisterung hinausging , es war ja eher die Jugendliebe eines
Heranwachsenden , und verspürte großen Schmerzen , als sie uns verließ . JB : Ab 1933 haben Sie die Reichsdeutsche Schule in Budapest be - sucht : Hatten Sie ungarndeutsche , also schwäbische Klassenkamera - den ? JK : Die Zusammensetzung der Schülerschaft – hinsichtlich Staats - angehörigkeit und ethnischer Zugehörigkeit – war durch Vielfalt gekennzeichnet . Das war eine der Besonderheiten und Anzie - hungskräfte der Schule . In meiner Klasse gab es Ungarn / Mad - jaren , die sich zum Ungartum / Madjarentum bekannten , aber auch solche Kinder , deren „ Muttersprache ” deutsch war , aber deren Vor fahren seit Generationen in Ungarn lebten und die man damals Schwaben nannte . Es gab auch solche deutsche Kinder , de ren Eltern als Diplomaten oder Geschäftsleute in Ungarn arbeiteten . Aber es gab in der Klasse auch amerikanische , türkische und brasilianische Kinder . SB : Sie schreiben in Ihrer Biographie , dass anfangs ( bis 1941 ) der nationalsozialistische Geist kaum Einzug in der Schule gehalten hat . Gab es keine Anfeindungen seitens der reichsdeutschen Schüler und Lehrer den jüdischen Mitschülern gegenüber ? JK : Bevor ich auf die Frage antworte , möchte ich gerne etwas über Qualität und Stellenwert der Schule sagen . Wir genossen einen Unterricht , der sich durch ein hohes Niveau und durch Freigeist auszeichnete , selbst im Rückblick denke ich nicht , dass unsere Lehrer ihre Vorträge auf Doktrinen , von höchster Befangenheit gekennzeichnet , basierend hielten . Als ich nach der achten Klasse – von den insgesamt zwölf Jahrgangsstufen auf der Reichs deut - schen Schule – auf eine ungarische Schule wechselte , versuchte mein Klassenleiter , der die wichtigsten humanistischen Fächer unterrichtete , von Anfang an – um diesen modernen Begriff zu benutzen - zu indoktrinieren .
Mit Dankbarkeit erinnere ich mich daran , dass ich in meiner Gymnasialzeit die Werke der Geistesgrößen der deutschen Literatur im Original kennen lernen durfte . Es ist nicht allzu lange her , da verfasste ich einen Artikel mit der Überschrift „ Ígéretek megszegése ” ( Das Brechen der Versprechen ). Es ging um ein ak - tu elles Thema wie zum Beispiel um die Verletzung von Verträgen bezüglich des Schuldendienstes , um den schmerzhaften Wert - verlust des gegebenen Wortes . Eingangs habe ich Schillers Ballade „ Die Bürgschaft ” zitiert , in der es um einen Freund geht , der alle Gefahren auf sich nimmt und nach Hause rennt , um sein Ver - sprechen gegenüber dem Freund , der für ihn unter der Be - reitschaft sein eigenes Leben zu opfern bürgt , einzulösen . Damals kannte ich dieses Gedicht auswendig , ich wurde sogar ausgefragt .
Um Ihre Frage zu beantworten : In der Reichsdeutschen Schule Budapest habe ich weder seitens meiner Lehrer noch meiner Schulkameraden antisemitische Anfeindungen erfahren . SB : Ihr Vater wurde in Auschwitz ermordet : Inwiefern beeinflusste dieses tragische Ereignis Ihr Verhältnis zu Deutschland und zu den Deutschen oder gar zur deutschen Kultur ? JK : Über die Todesumstände meines Vaters möchte ich mehr als einen Satz sagen . Mein Vater ist in Trentschin ( slowakisch Tren . in ) geboren , das damals , 1881 , Teil Oberungarns war . Er wuchs trilingual auf , er sprach ausgezeichnet deutsch und ungarisch , aber beherrschte auch die slowakische Sprache . Er wurde Rechts - anwalt und früh spezialisierte er sich auf die wirtschaftsjuristische Vertretung von deutschen Firmen vor ungarischen Gerichten . Als Anerkennung seiner Arbeit erhielt er den Titel „ Rechtsanwalt der Deutschen Gesandtschaft ”. Zahlreiche bedeutende deutsche Groß firmen nahmen im vollen Vertrauen die Dienste eines Anwalts in Anspruch , der sowohl auf dem Gebiet des deutschen als auch des ungarischen Rechts bewandert war . Während sein Beruf ihn an die deutsche Wirtschaft band , war er ein bekennender Patriot . Er ließ sich stolz in seiner ungarischen Haupt -
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