Sonntagsblatt 2/2015 | Page 28

tigsten in Form kulturellen Vorwärtsstrebens und gemeinschaftlicher Opferwilligkeit. Dieser urwüchsige Drang nach Selbster- haltung des eigenen Volkstums schlug nach dem Kriege mit einem Male breite und feste Wurzeln. Diese herrliche Wandlung unseres getreu seinen Idealen nachlebenden Volkes eröffnet auch ein neues Blatt in der Geschichte des Deutschtums in Ungarn.
Es behütet und schirmt mit – man möchte sagen – sagenhafter Treue und Zähigkeit sein Ahnenerbe, seinen christlichen Glau ben, seine Heimatliebe und sein Volkstum und lebt und wirkt für etwas, wofür es sich allein lohnt zu arbeiten und kämpfen: für die Zukunft seines eigenen Blutes.

„ Tief in meine Seele eingebrannt”

Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und emeritierte Harvard-Professor Dr. János Kornai erzählt im SB-Gespräch über die Geschichte seiner Familie, seinen beruflichen Wer de- gang und sein Verhältnis zur deutschen Sprache und Kultur
SB: Herr Professor, Sie sind an der Harvard University offiziell 2003 in den Ruhestand verabschiedet worden. In den Vereinigten Staaten gilt – im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Tradition – die Er- nen nung zum Hochschullehrer „ lebenslang”. Warum haben Sie sich also für die Pensionierung entscheiden? Und führen Sie tatsächlich ein ruhiges Rentnerleben? JK: An der Harvard-Universität werden keine Stellen für ordentliche Professoren( mit der englischen Terminologie: full professor) ausgeschrieben, sondern die Universität lädt denjenigen – nach einem gründlichen Auswahlprozess – ein, den sie als geeignet erachtet. Das war für mich eine große Ehre, aber ich nahm diesen Auftrag mit der Bedingung an, dass ich lediglich die Hälfte der Zeit dort verbringe, in der anderen Hälfte wollte ich weiterhin in Ungarn zugegen sein. So bin ich zusammen mit meiner Frau gut zwei Jahrzehnte zwischen Cambridge, Massachusetts und Buda- pest gependelt. 2003 bin ich 75 geworden und wir waren der Mei- nung, dass dieses Leben eines Pendlers zu anstrengend geworden ist: Das veranlasste mich dazu, in den Ruhestand zu treten. Aber auch seitdem bin ich aktiv geblieben, allen voran als Forscher und Verfasser von Studien und Büchern. Ich habe die Lehrtätigkeit auch nicht aufgegeben, bis es meine Kräfte mir erlaubten, hielt ich Vorlesungsreihen und leitete Oberseminare. Neuerdings be- schrän ke ich mich darauf, der jungen Generation, Studenten, Schülern und jungen Lehrern individuell mit Rat zur Seite zu stehen, im offiziellen Rahmen, dauerhaft oder informell, wie über indi viduelle Treffen. Ohne den kontinuierlichen Kontakt zur Ju- gend könnte ich mir mein Leben gar nicht vorstellen. SB: Kehren wir in die Vergangenheit zurück: Sie sind in einer bilingualen jüdischen Akademikerfamilie aufgewachsen. Welche Rolle spiel te in der Familie die deutsche Sprache? JK: Wir, unsere Eltern und Geschwister, sprachen untereinander ausschließlich ungarisch.
Wenn Vater und Mutter bei uns erreichen wollten, dass das Kind nicht versteht, was sie untereinander sagen, konnten sie die Sprache nicht wechseln, vom Ungarischen zum Deutschen, nach der altbekannten Formel „ Nicht vor dem Kind”, denn jedes Kind sprach gut deutsch. Ich hatte deutsche Erzieher, die ich über alles liebte, von dem letzten Kindermädchen, Fräulein Liesl, die sich um mich und meinen Bruder Tomi kümmerte, bis wir die Ado- leszenz erreichten, war ich regelrecht begeistert, was deutlich über eine Begeisterung hinausging, es war ja eher die Jugendliebe eines
Heranwachsenden, und verspürte großen Schmerzen, als sie uns verließ. JB: Ab 1933 haben Sie die Reichsdeutsche Schule in Budapest be- sucht: Hatten Sie ungarndeutsche, also schwäbische Klassenkamera- den? JK: Die Zusammensetzung der Schülerschaft – hinsichtlich Staats- angehörigkeit und ethnischer Zugehörigkeit – war durch Vielfalt gekennzeichnet. Das war eine der Besonderheiten und Anzie- hungskräfte der Schule. In meiner Klasse gab es Ungarn / Mad- jaren, die sich zum Ungartum / Madjarentum bekannten, aber auch solche Kinder, deren „ Muttersprache” deutsch war, aber deren Vor fahren seit Generationen in Ungarn lebten und die man damals Schwaben nannte. Es gab auch solche deutsche Kinder, de ren Eltern als Diplomaten oder Geschäftsleute in Ungarn arbeiteten. Aber es gab in der Klasse auch amerikanische, türkische und brasilianische Kinder. SB: Sie schreiben in Ihrer Biographie, dass anfangs( bis 1941) der nationalsozialistische Geist kaum Einzug in der Schule gehalten hat. Gab es keine Anfeindungen seitens der reichsdeutschen Schüler und Lehrer den jüdischen Mitschülern gegenüber? JK: Bevor ich auf die Frage antworte, möchte ich gerne etwas über Qualität und Stellenwert der Schule sagen. Wir genossen einen Unterricht, der sich durch ein hohes Niveau und durch Freigeist auszeichnete, selbst im Rückblick denke ich nicht, dass unsere Lehrer ihre Vorträge auf Doktrinen, von höchster Befangenheit gekennzeichnet, basierend hielten. Als ich nach der achten Klasse – von den insgesamt zwölf Jahrgangsstufen auf der Reichs deut- schen Schule – auf eine ungarische Schule wechselte, versuchte mein Klassenleiter, der die wichtigsten humanistischen Fächer unterrichtete, von Anfang an – um diesen modernen Begriff zu benutzen- zu indoktrinieren.
Mit Dankbarkeit erinnere ich mich daran, dass ich in meiner Gymnasialzeit die Werke der Geistesgrößen der deutschen Literatur im Original kennen lernen durfte. Es ist nicht allzu lange her, da verfasste ich einen Artikel mit der Überschrift „ Ígéretek megszegése”( Das Brechen der Versprechen). Es ging um ein ak- tu elles Thema wie zum Beispiel um die Verletzung von Verträgen bezüglich des Schuldendienstes, um den schmerzhaften Wert- verlust des gegebenen Wortes. Eingangs habe ich Schillers Ballade „ Die Bürgschaft” zitiert, in der es um einen Freund geht, der alle Gefahren auf sich nimmt und nach Hause rennt, um sein Ver- sprechen gegenüber dem Freund, der für ihn unter der Be- reitschaft sein eigenes Leben zu opfern bürgt, einzulösen. Damals kannte ich dieses Gedicht auswendig, ich wurde sogar ausgefragt.
Um Ihre Frage zu beantworten: In der Reichsdeutschen Schule Budapest habe ich weder seitens meiner Lehrer noch meiner Schulkameraden antisemitische Anfeindungen erfahren. SB: Ihr Vater wurde in Auschwitz ermordet: Inwiefern beeinflusste dieses tragische Ereignis Ihr Verhältnis zu Deutschland und zu den Deutschen oder gar zur deutschen Kultur? JK: Über die Todesumstände meines Vaters möchte ich mehr als einen Satz sagen. Mein Vater ist in Trentschin( slowakisch Tren. in) geboren, das damals, 1881, Teil Oberungarns war. Er wuchs trilingual auf, er sprach ausgezeichnet deutsch und ungarisch, aber beherrschte auch die slowakische Sprache. Er wurde Rechts- anwalt und früh spezialisierte er sich auf die wirtschaftsjuristische Vertretung von deutschen Firmen vor ungarischen Gerichten. Als Anerkennung seiner Arbeit erhielt er den Titel „ Rechtsanwalt der Deutschen Gesandtschaft”. Zahlreiche bedeutende deutsche Groß firmen nahmen im vollen Vertrauen die Dienste eines Anwalts in Anspruch, der sowohl auf dem Gebiet des deutschen als auch des ungarischen Rechts bewandert war. Während sein Beruf ihn an die deutsche Wirtschaft band, war er ein bekennender Patriot. Er ließ sich stolz in seiner ungarischen Haupt-
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