zufühlen. Nur ein Volk, das so vorwärtsstrebt, so unausgesetzt und sich selbst niemals schonend arbeitet, und zwar immer nur der Arbeit, diesem herrlichen Triebe selbst zuliebe, konnte sich trotz aller Widerwärtigkeiten böser und bitterer Zeiten behaupten, Hätten die Väter der jetzt lebenden Geschlechter nicht statt dreivier Menschen geschuftet und durch redliches Rackern immer mehr an Hag und Gut zusammengetragen, wie könnten sich da ihre Kinder und Kindeskinder heute noch immer behaupten? Wer mit offenen und gütigen Augen diesem Bauernvolk bei der Arbeit zusieht, die im Sommer oft gegen zehn Uhr nachts aufhört, um in der Früh gegen zwei-drei Uhr wieder zu beginnen, wer zusieht, wie diese Menschen sich von jungen Jahren an bis zum Zusammenbrechen im Schweiße schinden, nur weil sie durch ihr Blut dazu getrieben werden und nicht etwa, weil sie in späten Tagen die Früchte eines wohlverdienten sorgenlosen Lebens genießen wollen, wer sich dessen bewusst wird, dass dieses Volk eigentlich wie die Bienen, nur für sein Geschlecht arbeitet, oft sich ohne Bedenken durch Arbeit aufopfert; der wird dieses einfache, sittenreine, unverdorbene, ewig tätige Volk nicht nur ehren und schätzen lernen, sondern an Leib und Seele auch liebgewinnen. Es ist freilich nicht leicht, an das hart verkrustete Herz des deutschungarischen Bauern heranzukommen. Ist doch der Bauer überall Nachkomme eines jahrhundertelang durch Leibeigen- schaft geknechteten und durch Hörigkeit gebundenen, durch Elend und Leid und Angst misstrauisch und verschlossen gewordenen Standes. Verkörpert der Bauer doch auch heute noch eine Menschenschicht, in der die Saiten von Urgeschlechter-Erleb- nissen noch immer, wenn auch unbewusst, nachklingen. Wer also unter Bauern geht, um sie guten Willens verstehen zu lernen, muss in gewissem Sinne das unverdorbene, von modernen Vorurteilen unbelastete Herz des Bauern in sich verspüren. Um diese eigentümlichste aller Menschenklassen zu verstehen, muss man sich vorerst sein ängstliches Zu- und Vertrauen durch redliches Bemü- hen verdienen. Ist er aber einmal warm geworden, dann glüht er auch schon in seinem Innern. Ja, er wird dann sein so empfindliches Herz öffnen und nicht mehr mürrisch und wortkarg verschließen. Hat man einmal sein Herz gewonnen, so wird er mit einem Male fast kindlich vertrauensvoll. Alles, was man ihm sagt, wird er glauben. Alles, was ihm auf dem Herzen liegt, wird einem ohne Angst, ohne Scham und ohne Argwohn anvertraut. Der schwäbische Bauer Ungarns, besonders der der Schwäbischen Türkei und des Bakonyer Waldes, hat noch viele Eigenschaften einfachen, ja primitiven Gemeinschaftslebens bis auf den heutigen Tag bewahrt. Darin lieg auch vor allem seine Stärke und unvertilgbare Urwüchsigkeit. Weil er ausschließlich von Arbeit lebt, glaubt er, alle Welt lebt nur davon. Darum sind auch alle Men schen, die viel arbeiten und leisten, in seinen Augen gut angeschrieben. Er hat, weil er unverdorben ist, eine gute Meinung vom Leben. Und weil alle Arbeit ihm Freude bereitet, liebt er auch das Leben und geht dem frühzeitigen Tode durch nüchternen Le benswandel klugerweise weit aus dem Weg. Darum verabscheut er anderseits wieder das Alter, weil er da nicht mehr arbeiten kann, sich und andere oft mit den lästigen Plagen von Kränk lichkeit quälen muss, sich überflüssig vorkommt, als jemand, der den Jungen und Lebenskräftigen nur im Weg steht. Darum arbeitet er solange, als es seine Glieder nur vertragen.
Eine oft gerühmte Eigenschaft unseres Volkes ist das ihm angeborene Pflichtbewusstsein. Alt wie Jung hat ein stark ausgeprägtes Pflichtgefühl. Nie gab es unter ihnen einen, der seiner Pflicht dem Vaterlande, der Kirche und den Behörden gegenüber nicht restlos und willig nicht nachgekommen wäre. Seine Treue ist von rührender Tiefe und wird als sprichwörtlich angesprochen.
Seine Lebensweise ist schlicht und natürlich. Wenn er auch den Wein – hat er ihn doch in Überfülle in seinem Keller – liebt, so ist er trotzdem besonnener, ja geradezu nüchterner Sinnesart. Sein ausgeprägtes Empfinden für Kind und Familie lassen ihn ein sehr sittsames und gemütliches Familienleben führen. Im Verkehr mit den Volksgenossen kommt seine gesellige Natur unmittelbar zum Ausdruck. Der Hang zur Geselligkeit lässt ihn auch das Vereinsleben lieben und pflegen. Fast alle deutschen Gemeinden habenihre Vereine, unter denen besonders die der Ortsgruppen des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins eine immer wichtigere Rolle spielen. An den langen Winterabenden zieht Alt und Jung in den Verein, wo man sich mit gleichgesinnten und gearteten Männern zusammenschließt, die Zeit mit Plaudern, Lesen, Debattieren, Spielen und dergleichen verbringt, oft spät bis in den Abend hinein. Aus diesem geselligen Sinn heraus wuchs jenes stramme Zusammengehörigkeitsgefühl und Bewusstsein, das besonders die Ortsgruppen des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins in den letzten Jahren ein bewunderungswertes Volkstumsleben entfalten ließ. Man findet heute bereits in allen diesen Ortsgruppen reichhaltige deutsche Volksbüchereien, wo ein jeder das seinen Bedürfnissen und Neigungen Entspre- chende findet: landwirtschaftliche und gewerbliche Bücher, Volksromane, religiös gerichtete Literatur, Reiselektüre, Kriegsund Heimatbücher usw. Das gab es vor dem Krieg, wo dieses Deutschtum noch keine kulturelle Landesorganisation hatte, nicht. In vielen, sogenannten Musterortsgruppen, wird eine – man möchte gerne sagen – großzügige Selbstbildungsarbeit in der Muttersprache entfaltet. Man hält deutsche Rechen- und Recht- schreibeübungen, veranstaltet Vorlesungsstunden, pflichtgemäße Sing- und Musikabende, bildet Gesangchöre und Musikkapellen. Um das Zusammenarbeiten der Nachbarortsgruppen und dadurch den Gemeinschaftsgedanken zu vertiefen, werden besonders bei festlichen Veranlassungen, rührend wirkende Besuche zwischen den einzelnen Ortsgruppen veranstaltet. Man frischt viele alte Festlichkeiten, wie Ernte und Weinlesefeste, geschwundene Bräuche auf, feiert Gemeinschaftsweihnachten, hält religiöse und vaterländische Feierabende. Und was nicht genügend hervorgehoben werden kann, fast allerorts kommt das dörfliche Theaterspiel immer stärker in Brauch. Nach anfänglich schüchternen Versuchen gelangen heute in vielen deutschen Gemeinden schon Schillers „ Wilhelm Tell” und Anzengrubers „ Meineidbau- er” zur Aufführung. Auch die alljährlich fast in allen Ortsgruppen abgehaltenen „ Schwabenbälle” tragen wesentlich zur Verstärkung und Vertiefung des deutschungarischen Zusammengehörigkeits- ge fühls bei. An und für sich sind diese Leistungen nichts Him- melstürmendes. Bedenkt man aber, dass dieses Streben nach volklich-kultureller Selbstbildung in der Muttersprache bei unserem Volke vor dem( Ersten Welt-) Krieg überhaupt nicht oder nur hie und da vorhanden waren, so muss man mit Befriedigung feststellen, dass hier die wertvollste und edelste Arbeit einer bewussten Volkskulturbewegung geleistet wird, und zwar zumeist von unserem Volke selbst, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Das früher volklich schlummernde schwäbische Bauernvolk macht achtungsgebietende Wandlungen durch, die ihm in den Augen eines jeden Kulturmenschen Anerkennung sichert. Es sieht voll Befriedigung die erreichten Fortschritte volklicher Entwicklung und blickt voll Hoffnung dem weiteren Ausbau entgegen, der – allem Anschein nach – nunmehr einsetzen und die unbefriedigten Wünsche nach und nach erfüllen soll. Was heute also als ein seelischer Zuwachs des im Großen und Ganzen einheitlichen ungarländischen Deutschtums, seines Volkscharakters und seiner Gefühlswelt zu bezeichnen ist, ist das durch den Welt- krieg überall erwachte eigentümliche deutschungarische Volks- bewußtsein. Dieses von tiefer und reiner Vaterlandsliebe durchdrungene Zusammengehörigkeitsgefühl bekundet sich am kräf-
( Fortsetzung auf Seite 28)
27