Sie betreiben Radiosendungen auf Deutsch und Schwäbisch, organisieren deutschsprachige Theaterstücke und zweisprachige Kulturabende, haben ihre eigene Zeitschrift sowie ein wunderschönes, modernes Museum. Ihre Infrastruktur ist beeindruckend – mit einer fantastischen Struktur, schönen Häusern und vor allem einer starken Verbindung zu den Donauschwaben weltweit.
Sie sind zudem ein Beispiel dafür, wie Fördermittel und andere Finanzierungsmöglichkeiten sinnvoll für kulturelle Zwecke genutzt werden können. Die Genossenschaft Agrária in Entre Rios ist mittlerweile der größte Malzproduzent Südamerikas!
SB: Ihre Familiengeschichte ist auch mit diesem historischen Ereignis, 200 Jahre Einwanderung, fest verbunden. Erzählen Sie bitte ein wenig über Ihren familiären Hintergrund.
NS: Ursprünglich stammen meine Vorfahren aus Süddeutschland und wanderten nach Russland und in die Ukraine aus – das war beispielsweise im 18. Jahrhundert. Ich bin bereits die vierte Generation in Brasilien. Zu Hause habe ich so gut wie kein Deutsch gesprochen. Mein Vater beherrschte die Sprache, war aber sehr still. Er hatte damals sogar die Möglichkeit, eine Fortbildung in Deutschland zu machen, doch da er im Militärdienst war, musste er in Brasilien bleiben.
Mütterlicherseits habe ich andere Wurzeln – meine Mutter wuchs beispielsweise in einer polnischen Siedlung auf. Schon seit meiner Jugend verspüre ich ein starkes Interesse an der deutschen Kultur, das mit der Zeit noch gewachsen ist. Deutschland ist nicht allzu fern, wenn man regelmäßig die deutschsprachigen Siedlungen besucht. Das Deutsche hängt nicht zwangsläufig von der alten Heimat ab – für mich ist es auch etwas Geistiges. Die deutschsprachigen Minderheiten können Deutschland zeigen, wie hart, aber zugleich schön es ist, eine Kultur im Ausland zu bewahren.
Die Brücke, die in meiner Familie längst verschwunden war, wurde langsam wieder aufgebaut. Spricht niemand mehr Deutsch in deiner Familie? Dann sei du der Erste! Es gibt keine Ausreden mehr. Wie es im Sonntagsblatt heißt: Unsere Zukunft wird [ wieder ] auf Deutsch geschrieben!
SB: Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch- wo haben Sie die Sprache erworben?
NS: Danke für das Kompliment! Ich bemühe mich sehr. Sogar mein Tagebuch schreibe ich ausschließlich auf Deutsch. Wann immer es möglich ist, pflege ich den Kontakt zu unseren Siedlungen auf Deutsch. Wir organisieren Veranstaltungen in deutscher Sprache oder laden Landsleute nach Brasilien ein. Das ist für mich vor allem eine Frage der Identifikation, denn in meiner Familie wird praktisch nur Portugiesisch gesprochen.
Mein Vater hat mich in meiner Entscheidung, Deutsch zu lernen, stets unterstützt, aber er war sehr still und verstarb, als ich noch jung war. In vielerlei Hinsicht höre ich von Deutschstämmigen den Satz: „ Meine Eltern haben mir kein Deutsch beigebracht, also kann ich es nicht.“ Doch das ist kein Argument – es gibt überall Möglichkeiten.
Der größte Widerspruch der deutschen Sprache in Brasilien lautet: Diejenigen, die sie hervorragend beherrschen( wie etwa Germanistikstudierende), haben oft wenig bis gar kein Interesse an der Pflege deutscher Traditionen. Und
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jene, die sich mit großer Begeisterung als Deutschbrasilianer identifizieren und sich für die Sprache begeistern, verfügen leider nur über begrenzte Deutschkenntnisse.
SB: Sie haben vielfältige Interessen: Neben Geschichte sind Sie leidenschaftlicher Musiker und beschäftigen sich mit Linguistik- woher kommt diese Vielfalt an Interessen?
NS: Es sind einfach Interessen. Ich habe keine genaue Erklärung dafür. Mein Wunsch, Fremdsprachen zu lernen, hängt vor allem mit dem Bedürfnis zusammen, eine gewisse seelische Intimität zu erreichen. Durch meine Norwegischkenntnisse habe ich eine Wunderwelt der Literatur entdeckt. In Schweden ermöglicht mir Schwedisch, auch feinste Nuancen zu verstehen, in Italien das Italienische, und mit Spanisch kann ich mich viel intensiver mit den Zuhörern meines Musikprojekts, vor allem in Südamerika, austauschen.
Ich würde sogar sagen, dass dies etwas mit dem deutschen Wesen zu tun hat. In der Weltgeschichte gab es überall deutsche Erfinder und Forscher, die die Welt entdecken wollten. Heidegger sagte einst: „ Noch sucht der Deutsche sein Ziel – sucht er wirklich noch? Wie, wenn er doch wahrhaft suchte, er hätte es gefunden, denn sein Ziel ist das Suchen selbst.“
Mit der Musik ist es natürlich etwas anderes. Sie drückt das Seelische aus – etwas, das man nicht in Worte fassen, sondern nur transportieren kann. Dank der Musik habe ich in vielen Ländern gespielt, durch sie viele Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen – und all das inspiriert mich, weiter zu komponieren.
SB: Sie sprachen in Ihrem Vortrag von Herausforderungen für die Brasiliendeutschen im Bereich Sprache und Identität. Welche sind diese konkret und wie ver-