WIE EINE PILGERFAHRT
Interview mit dem Brasiliendeutschen Newton Schner – 200 Jahre deutsche Einwanderung nach Brasilien
SB: Sie sind Mitte / Ende Januar aus einer Europa-Tour nach Brasilien zurückgekehrt- was war der Grund / das Ziel der Reise und welche Eindrücke haben Sie gesammelt?
NS: Jeden Winter verbringe ich einen Monat in Europa – das ist fast schon eine Regel in meinem Leben. Vor allem Deutschland fühlt sich für mich wie eine Winterreise an. Diesmal wollte ich jedoch neben dem Tourismus auch einige Vorträge halten. Ende Dezember war ich in Kamen( Deutschland) und Anfang Januar in Ungarn, immer mit dem Ziel, neue Kontakte zu knüpfen und einen Vortrag über 200 Jahre deutsche Einwanderung in Brasilien zu halten.
Meine Eindrücke sind fast immer positiv. In Europa zu sein, fühlt sich für mich wie eine Pilgerfahrt an. Es ist immer schön, mit den Zügen unterwegs zu sein, Museen und Städte zu besuchen, mit langjährigen Freunden zu wandern und die Atmosphäre der Kneipen zu spüren. Gleichzeitig bekommt man ein noch besseres Gespür für die kulturellen Auseinandersetzungen an jedem Ort. All das gibt mir Kraft und Inspiration. Besonders schön war es dieses Mal, ein paar Tage in Erfurt zu verbringen oder magische Orte wie die Externsteine( gerade zur Wintersonnenwende), das Hermannsdenkmal und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal zu besuchen. Deutschland ist für mich wie ein Stückchen Zuhause.
Was meinen einwöchigen Aufenthalt in Ungarn betrifft: Abgesehen von den wunderschönen Tagen in Budapest, wo ich täglich lange Spaziergänge unternommen habe, konnte ich viel über das Leben der Ungarndeutschen erfahren. Besonders beeindruckt haben mich die deutschsprachigen Fernsehsendungen, die Anerkennung als Minderheit, das große Engagement, die Publikationen in deutscher Sprache sowie die positive Stimmung bei meinen Vorträgen in Wudersch und Fünfkirchen. Das Schönste war die Reaktion des Publikums: Einerseits die Identifikation mit der Lage der deutschen Gemeinde meiner Stadt durch den Dokumentarfilm, den ich gezeigt habe, andererseits die gleiche Sorge – wir verschwinden, und es muss etwas getan werden!
SB: Hatten Sie zuvor irgendwelche Verbindungen zur deutschen Gemeinschaft in Ungarn?
NS: Eines Abends war ich auf Facebook unterwegs, als ich plötzlich auf einen Beitrag der JBG stieß. Die Botschaft sprach mir direkt aus der Seele. Da ich sehr kontaktfreudig bin, schrieb ich am nächsten Tag eine Nachricht, stellte mich kurz vor und erzählte von meiner Absicht, die ungarndeutschen Gemeinden zu besuchen. Nach einigen Absprachen mit Herrn Guth war alles schnell organisiert: zwei Vorträge, ein Konzert und mehrere Ausflüge mit den Ungarndeutschen.
Natürlich hatte ich zuvor hier und da etwas über die Deutschen in Ungarn gehört, aber vor Ort zu sein ist eine ganz andere Erfahrung – viel intensiver und realistischer. Es war sehr spannend, die Mission der JBG kennen zu lernen sowie mehr über die Aktivitäten und die Struktur des Lenau-Hauses zu erfahren. Insgesamt wurde ich herzlich aufgenommen, und das Publikum zeigte großes Interesse am Thema der deutschen Einwanderung in Brasilien.
SB: In Ihrem Vortrag ging es um 200 Jahre Brasiliendeutsche- wie wird dieser Jahrestag in Brasilien begangen?
NS: In vielen Städten gab es das ganze Jahr über Feierlichkeiten – Ausstellungen, Konzerte, Veranstaltungen, Vorträge, Reportagen usw. Doch nicht überall. Der Tag der deutschen Einwanderung in Brasilien wurde vor allem in den Städten gefeiert, in denen die deutsche Kultur präsenter ist. Das 200-jährige Jubiläum wurde jedoch nicht als nationales Ereignis begangen. Leider wird nur selten erwähnt, wie stark der deutsche Einfluss beim Aufbau der brasilianischen Nation war. Und genau das sollte auch unsere Aufgabe sein: das Geschichtsbewusstsein für das deutsche Element als einen bedeutenden Teil Brasiliens zu stärken.
SB: Die deutsche Einwanderung war ein längerer Prozess- so kamen auch Donauschwaben nach Brasilien- was wissen wir darüber?
NS: Die Donauschwaben kamen 1951 nach Brasilien und gründeten Entre Rios im Bundesstaat Paraná. In vielerlei Hinsicht sind sie ein Vorbild für das, was die deutsche Gemeinschaft als Ganzes leisten sollte. Sie sind wirtschaftlich sehr erfolgreich, ohne dabei Sprache, Kultur und Gemeinschaft zu vernachlässigen.
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