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MB: Die evangelische Kirche war neben der Schule die wichtigste Institution in den Dorfgemeinschaften. Es galt als selbstverständlich, dass die Kinder der evangelischen Familien getauft und später konfirmiert wurden. Die Konfirmation war ein bedeutendes Familienfest, zu dem auch Paten von auswärts( des Dorfes)- falls es solche gab- eingeladen wurden. Zur Konfirmation habe ich von einer Patin aus Deutschland, die durch den Krieg dortgeblieben war, meine erste Armbanduhr bekommen. Zwar wurde zur Zeit des Kommunismus der Atheismus propagiert, doch auf dem Dorf spielte sich das ganze Leben weiterhin in dem von der Kirche bestimmten Rahmen ab. Nach der Konfirmation wurden die Jungen in eine Bruderschaft, die Mädchen in eine Schwesterschaft aufgenommen und bekamen in der Kirche beim Gottesdienst einen entsprechen Platz bei dieser Körperschaft zugewiesen. Nach der Heirat – meist waren beide Partner aus dem gleichen Dorf – wurde das junge Paar in eine Nachbarschaft aufgenommen. Laut Satzung waren die Nachbarschaften ebenfalls kirchliche Einrichtungen. Von den Mitgliedern der Nachbarschaft erhielt man Hilfe bei schwereren Arbeiten, z. B. beim Hausbau, mit ihnen feierte man Feste und wurde schließlich von der Nachbarschaft zu Grabe getragen. In meinem Dorf haben auch Rumänen und Roma die Einrichtung der Nachbarschaft übernommen. Jede Gruppe hatte ihre eigenen Nachbarschaften. Man lebte getrennt, Mischehen zwischen Deutschen und anderen Ethnien gab es so gut wie keine.
Obwohl diese kirchlichen Einrichtungen alle Mitglieder der evangelischen Gemeinde einbanden und ihnen auch einen gewissen Halt gaben, hinderten sie die Auswanderung nach Deutschland nicht, die bereits in den 60er Jahren einsetzte und sich zusehends intensivierte. Der Krieg hatte dazu geführt, dass viele Familien schon Angehörige in Deutschland hatten. Als es dort dann merklich besser ging als im kommunistischen Rumänien, entstand bei vielen der Wunsch auszuwandern. Er wurde beflügelt durch das Streben nach Freiheit. Die Nachkriegszeit mit der Deportation in die Sowjetunion und der Enteignung der deutschen Landbevölkerung war noch frisch im Gedächtnis. Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft verstärkte das Misstrauen in den Staat, und bei fehlendem Grundbesitz lockerten sich die Bande zur Heimat mehr und mehr. Die oberste Leitung der evangelischen Kirche hat diese Entwicklung zwar nicht gefördert, aber aufhalten konnte sie sie auch nicht. Mehr noch, da auch Pfarrer den Antrag zur Ausreise stellten, gewann die Auswanderungsbewegung an Fahrt.
SB: Sie gelten als großer Kenner der Geschichte und des Brauchtums der Landler- haben Sie etwa eine familiäre Bindung zum Landlertum, zumal Sie in einer der drei landlerischen Gemeinden geboren wurden? Wie haben Sie das Zusammenleben der Sachsen und Landler- das klaren Regeln unterworfen war-persönlich erlebt?
MB: Die Landler sind die Nachkommen der im 18. Jahrhundert im Zuge der Gegenreformation nach Siebenbürgen deportierten evangelischen Österreicher. Zur Zeit dieser Deportationen waren die Siebenbürger Sachsen bereits sechs Jahrhunderte da gewesen. Ich habe sowohl siebenbürgisch-sächsische als auch landlerische Vorfahren, wobei die landlerischen zahlreicher sind. Landlerisch war auch die Mundart, die ich im Haus mit meinen Eltern und Brüdern sprach. So fand ich es selbstverständlich als Jugendlicher, als die Zeit kam, in eine Bruderschaft einzutreten, die landlerische und nicht die sächsische zu wählen. Die andere Wahl wäre allerdings auch möglich gewesen, es war schließlich eine Sache des Bekenntnisses, welcher Gruppe man sich zugehörig fühlte und anschloss. Dabei spielte außer der Mundart auch die Tradition des Hofes, auf dem man aufwuchs, eine Rolle. In Großpold verlief die Entwicklung so, dass die Zahl der landlerisch Sprechenden sich gegenüber jener der Sprecher der sächsischen Mundart immer mehr vergrößerte. Das führte dazu, dass in der Kirche auf der landlerischen Seite Platzmangel herrschte und auf der sächsischen Seite viele Plätze frei blieben. Versuche, die Bruderschaften zu vereinen, gab es, doch sie scheiterten. Die Sachsen fürchteten nämlich, in der größeren Masse der Landler aufzugehen und ihre Identität zu verlieren. Deshalb widersetzten sie sich der Vereinigung.
Heiraten zwischen Sachsen und Landlern gab es aber immer wieder, so dass von der Abstammung her kaum ein Großpolder sagen konnte, er habe nur sächsische oder nur landlerische Vorfahren. Ausnahmen waren die in neuerer Zeit aus anderen Gemeinden zugezogenen Sachsen. Es gab Familien, in denen beide Mundarten gesprochen wurden. Dazu gehörte auch meine Familie. Der Großvater war Sachse, hatte eine Landlerin geheiratet und sprach mit ihr landlerisch. Mit den Kindern sprach aber jeder Elternteil seine eigene Mundart. Nachdem mein Vater auch eine Landlerin geheiratet hatte, sprachen alle im Haus landlerisch, bloß der Großvater sprach mit dem Sohn und mit den Enkelkindern – nicht aber mit seiner Frau und seiner Schwiegertochter – sächsisch. Im Dorf gab es ein interessantes Miteinander von Sachsen und Landlern. Im Allgemeinen verstand man sich gut, auch wenn zuweilen Gegensätzlichkeiten auftraten.
SB: Sie haben in den 1970er Jahren in Klausenburg studiert- wie haben Sie diese Stadt mit einer bedeutenden ethnisch ungarischen Bevölkerung damals erlebt?
MB: Ich habe an der Babeș-Bolyai-Universität Mathematik studiert. Zu jener Zeit war die Mehrheit der Bevölkerung Klausenburgs bereits rumänisch, aber Ungarisch hörte man auch oft sprechen. An unserer Fakultät gab es auch eine ungarische Gruppe- also eine Gruppe, die in ungarischer Sprache unterrichtet wurde. Unterricht in deutscher Sprache wurde damals an der Fakultät nicht angeboten.
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