FOKUS AUF LÄNGERFRISTI- GEN MENTALITÄTEN
Zu einer Kulturtagung mit dem Thema „ 300 Jahre Ansiedlung der Donauschwaben – religiöse Implikationen “ hatte das St . Gerhards-Werk in der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 18 . November 2023 in das Haus der Donauschwaben in Sindelfingen geladen .
Von Stefan Teppert
Dr . Rainer Bendel , Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen ( AKVO ) in Stuttgart , begrüßte die Teilnehmer . Wegen einer parallelen Mitgliederversammlung der Stiftung der Armen Schulschwestern in Bad Niedernau seien einige Interessenten ausgeblieben . Auch zwei Referenten fielen krankheitshalber aus . Zudem hatten sich die Renovierungsarbeiten am Haus der Donauschwaben verzögert , so dass es nur teilweise nutzbar war . Bendel bat die Einschränkungen zu entschuldigen und bedankte sich bei der Stellvertreterin der Geschäftsführung Bettina Schröck und dem Hausmeisterehepaar Zibić für ihre Beiträge zum Gelingen der Veranstaltung . Das grundsätzliche Anliegen des gewählten Tagungsthemas habe darin bestanden , Perspektiven zu der nur ansatzweise aufgearbeiteten „ Kirchengeschichte der Donauschwaben “ zu öffnen und Anregungen dafür zu geben .
Mit Robert Pech M . A . aus Leipzig , der mit seinem Promotionsthema über den donauschwäbischen Historiker Fritz Valjavec zwangsläufig mit einem breiten Themenspektrum zur Kultur- , Geistes- und Kirchengeschichte der Donauschwaben befasst ist , arbeitet Bendel seit einem Jahrzehnt wissenschaftlich fruchtbar zusammen . Pech kommentierte die Relevanz des Themas und moderierte die von ihm vorbereitete Tagung . Ihr Anlass sei nicht nur die 300 . Wiederkehr der Ansiedlung schwäbischer Kolonisten in den Gebieten des Königreichs Ungarn , sondern auch die Notwendigkeit einer donauschwäbischen Kirchengeschichte auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand . Das St . Gerhards-Werk habe diese Kirchengeschichte bereits herausgegeben , sie sei aber ein Torso geblieben . Mangels Personal und Mitteln sei sie nicht auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand . Es sei nun nötig die donauschwäbische Kirchengeschichte mit methodischen Fragestellungen quellengestützt zu eruieren und fortzuführen . Das Christentum habe , so Pech , in den konfessionell geprägten Kirchen in der Geschichte der deutschen Minderheiten von ihrer Ansiedlung im ausgehenden 17 . Jahrhundert bis zur Gegenwart eine Schlüsselrolle gespielt . Dies gilt auf der individuellen wie auf der Gruppenebene im gesellschaftlichen , politischen und kulturellen Bereich . Die Kirchen wirkten nicht allein im spirituellen , sondern auch im verwaltungstechnischen und ökonomischen Bereich mit . Die geistlichen Amtsträger waren Volkslehrer und Erzieher . Sie verstanden sich als Vermittlungsinstanz und übten die integrative Rolle der Sozialdisziplinierung aus . Für die Forschung ergebe sich idealerweise eine binnenreligiöse Perspektive sowie eine von außen . Es müsse u . a . gefragt werden nach der Integration ,
SoNNTAGSBLATT
Assimilation oder Identitätsfindung der Einwanderer , nach dem Unterschied zwischen verordneter und gelebter Religion , nach dem Wechselspiel zwischen Makro- und Mikroebene , nach dem Heimat schaffenden und integrierenden Potenzial von Religion und Glaube sowie nach der Seelsorgegeschichte und ihren Affinitäten zur Alltags- und Mentalitätsgeschichte .
Dr . Franz Eiler von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest widmete sich in seinem Vortrag zwei wichtigen Elementen bei der Identitätskonstruktion der Ungarndeutschen nach ihrer Auswanderung und Ansiedlung : Gruppenbildende Faktoren waren ihre religiös-konfessionelle Identität und die Tatsache der gemeinsamen Herkunft . Die von Zuhause mitgebrachte Mentalität sowie Sitten und Traditionen gehörten nicht nur zum Selbstbild der Deutschen , sondern - unabhängig von ihrer Bewertung – auch zum Eindruck der andersnationalen Nachbarn . Bei einer Analyse der ungarndeutschen Identität reiche es nicht , sich nur auf die Landesebene zu konzentrieren . Ebenso wichtig sei die Mikro-Ebene ( vor allem der Dörfer ). Diese Identität bestehe und bestand – wie alle ethnischen Identitäten – aus kognitiven , affektiven und kulturellen Faktoren und sei dynamisch . So habe sich der Akzent der ungarndeutschen Identität in den letzten drei Jahrzehnten von der deutschen Muttersprache als identitätsbildendem Faktor langsam auf die Zugehörigkeit zu Nationalität und kulturellem Erbe verschoben . Eine kollektive deutsche Identität habe sich im 18 . und 19 . Jahrhundert lediglich auf der Mikroebene entwickelt . Der erste Versuch , die Ungarndeutschen auch auf Landesebene zu organisieren , sei erst in den 20er und 30er Jahren des 20 . Jahrhunderts durch Politiker wie Jakob Bleyer und Franz Basch erfolgt . Die damals gegründeten Organisationen hätten in einer ethnopolitischen Mobilisierung das positive Selbstbild der Deutschen - und besonders der Donauschwaben - mit gezielten Botschaften über zahlreiche Kanäle zu stärken versucht . Dabei erwies sich die konfessionelle Identität der meisten deutschen Dorfbewohner und Gemeinden auch in dieser Zeit als stark . Nach dem Zweiten Weltkrieg sei die in der Zwischenkriegszeit virulente Frage der Ansiedlung als kulturelle Mission trotz Demütigung , Diffamierung , Vertreibung , Auflösung der Dorfgemeinschaften und Verbannung der Muttersprache in die Privatsphäre ein festes Thema bei der Identitätskonstruktion der Ungarndeutschen geblieben – auch in der kommunistischen Ära .
Prof . Dr . Eleonóra Géra von der Eötvös-Loránd- Universität in Budapest beschäftigte sich in ihrem
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