Sonntagsblatt 1/2024 | Page 20

ich den Dialekt nicht jeden Tag gehört . Aber ich war oft bei meinen Großeltern und konnte auch manche Lieder und Märchen auf Schwäbisch singen und erzählen . Ich bekam keine „ ideologisch fundierte “ Erziehung , es war nur einfach eine natürliche Sache schwäbische Musik , Märchen und Rede zu hören . So war mir die Entdeckung der Geschichte meiner Familie ein besonderes Mysterium , gerade als ich Grundschüler war . Hochdeutsch habe ich in der Schule gelernt , und ehrlich gesagt , es war nie mein Lieblingsfach , obwohl ich gute Lehrer hatte . Aber zum Dialekt fühle ich mich emotional stark hingezogen .
SB : Du vertrittst – Jahrgang 1988 – die jüngeren Generationen – welche Unterschiede erkennst du zu den älteren Generationen hinsichtlich Sprachgebrauch und vor allem Identität ?
PS : Wir sprechen unter uns fast immer ungarisch . Leider ! Ich kenne in meiner Generation keine Ungarndeutschen , deren Muttersprache deutsch ist . Es wäre gut die Benutzung der deutschen Sprache zu verbreiten , aber es ist eine schwere Aufgabe . Mit der englischen Sprache kann man selbst in Deutschland auch überall total gut auskommen … Fast alle Arbeitsstellen erwarten englische Sprachkenntnisse . So sprechen viele Ungarndeutsche besser Englisch als Deutsch . Eine Sprache zu erlernen und die erworbenen Kenntnisse zu nutzen nur aus emotionalen Gründen , ist ein ziemlich anspruchsvolles Vorhaben . Ich bin nicht Sprachwissenschaftler , aber ich habe Angst davor , dass die deutsche Sprache als aktiv genutzte Umgangssprache in den breiteren Schichten der ungarndeutschen Bevölkerung verloren gehen wird . Es ist sehr traurig , und es wäre gut die Benutzung dieser Sprache zu verstärken , aber ich denke , man darf einen anderen Aspekt auch nicht vergessen : Der ausschließliche Gebrauch einer nun Fremdsprache kann ein identitätsstiftender Faktor sein , aber er kann auch der Weg zur oberflächlichen Kommunikation und der Verdrängung der am Ungarndeutschtum interessierten Leute - die Deutsch nicht beherrschen - sein .
Die Generation meiner Eltern spricht auch Ungarisch als Umgangssprache . Viele von ihnen haben die ungarische Sprache nur im Kindergarten erlernt , bis dahin haben sie ausschließlich Schwäbisch gesprochen . Aber jetzt haben sie es in den meisten Fällen vergessen . Sie verstehen Deutsch gut , aber es ist ganz typisch , dass die Mitglieder der jüngeren Generationen besser antworten können , wenn ein deutscher Besucher kommt . Und ich habe es bemerkt , dass bei anderen Faktoren der Identität die jüngeren Generationen auch bewusster sind . Dieses Phänomen hat gesellschaftshistorische Gründe , die für mich als logisch erscheinen .
SB : Du warst auch in der Saarer Kulturarbeit aktiv . Welche Erfahrungen hast du gesammelt , insbesondere bezüglich der Aktivierung der Jugend und der Identität ?
PS : Ich bin sehr dankbar , dass ich dieses Wunder in Saar erleben konnte . Dieses Wunder kam nicht von selbst , dazu benötigte man sehr viel Arbeit .
20
So konnten wir in einem von der Vertreibung gebeutelten , 1700-köpfigen Dorf 170 junge Tänzerinnen und Tänzer zusammenbringen und -halten sowie Veranstaltungen mit 1000 Teilnehmern durchführen . Die Hälfte von diesen Tänzern / Tänzerinnen war aber nicht ungarndeutsch . Die Tänzer / innen mit hundertprozentig schwäbischer Abstammung waren noch weniger : ungefähr 8 – 10 %. Aber sie haben das mit großer Begeisterung gemacht ! Ich kenne einen Saarer Mann , der mir 2018 gesagt hat : „ Ich bin ein Madjare , aber ich sehe eure Arbeit , deswegen habe ich mich in die Deutsche Liste eingetragen .“
SB : Die Volkszählungsergebnisse zeigen einen Abwärtstrend in allen Kategorien - welche Erfahrungen hast du gemacht im Kreise der deutschen Gemeinschaft bezüglich Identität und Sprachgebrauch und was vermisst du ?
PS : In Saar habe ich die Stärke der Kultur persönlich erlebt . Die Menschen brauchen sie , aber sie fehlt oft in ihrem Leben . Deswegen sehe ich in diesem Bereich eine gute Chance für die Zukunft der Ungarndeutschen . Denn die ungarndeutschen Gemeinschaften haben oft eine lebendige , wertvolle , eigene Kultur und da treten Nicht-Ungarndeutsche auch gerne bei . So könnte unser Kreis größer und integrierend sein . Viele Leute haben eine „ latente “ ungarndeutsche Identität . Die Hauptstadt Budapest hat selbst auch eine latente schwäbische-deutsche Identität , die könnten wir mit Hilfe einer systematischen Verbreitung der ungarndeutschen Kultur zum Leben erwecken . Das könnte bei vielen Leuten der erste Schritt zu einem Bekenntnis zum Ungarndeutschtum sein .
Es gibt ja in diesem Bereich auch viele Fragen . Wir haben zum Beispiel eine ganz gut dokumentierte Volkskultur , aber es gibt keine authentischen Bauern mehr dazu . Es gibt eine deutsche Hochkultur in Ungarn , aber die Frage stellt sich immer , wie eine deutsche Hochkultur „ ungarndeutsch “ sein könnte !
Ich habe viele Ideen als Antworten darauf von einem Schwäbischen Tanztheater bis zur schwäbisch-ungarischen Musikband , die auf dem Partyschiff A38 auftritt , sowie die Idee von Stipendienprogrammen für zukünftige professionelle Künstler und Manager für ungarndeutsche Kultur . Aber genauso denke ich an einen landesweiten Kulturplan oder die Gründung einer „ Ungarndeutschen Wissenschaftsakademie “ oder eines Forums für ungarndeutsche Ärzte-Juristen-Ingenieure oder Unternehmer , Fachmänner usw . Aber ich bin jetzt nicht als „ Gemeinschaftsleiter “ tätig , ich kenne nicht alle Möglichkeiten und Zustände . So bleibe ich nur in dem Bereich , wo ich mich persönlich jetzt für unser Ungarndeutschtum einsetzen kann . Es ist die historische Forschung . Ich hoffe , mit meinen Werken und Vorträgen auch einen Beitrag für die Verstärkung und Sichtbarkeit unserer Gemeinschaft zu leisten .
SB : Peter , vielen Dank für das Gespräch !
Das Gespräch führte Richard Guth .
SoNNTAGSBLATT