Sonntagsblatt 1/2024 | Page 10

aber auch alle – und das ist am wichtigsten – Eltern und Großeltern , die dafür sorgen können , dass Identität kein leeres Wort bleibt , dass Zugehörigkeit von „ Innen “ kommt , auch dann , wenn damit kein Vorteil verbunden ist .
Ich weiß , dass Sie / Ihr hier in Deutschland ebenfalls damit kämpft , wie Ihr die Jugendlichen , die Nachfahren der Heimatvertriebenen an der eigenen Vergangenheit interessiert machen könntet . Eure Sorge ist auch unsere Sorge . Die beiden Seiten der gleichen Medaille , Heimatvertriebene und Heimatverbliebene verbindet viel : die gemeinsame Geschichte , das gleiche Schicksal , das sich im gemeinsamen Wappen und in einem engen Kontakt auf offizieller Ebene widerspiegelt . Nur das Persönliche wird auch hier immer weniger : Auf familiärer Ebene verschwinden die Beziehungen genauso wie damals nach der Ansiedlung : Die zweite Generation hat jeden Bezug zu den zu Hause Gebliebenen verloren , nur dass heute unsere Möglichkeiten mit denen von früher nicht verglichen werden können .
Die 15 Jahre alte Urenkelin von der Schwester meiner Oma in Deutschland ( in Hessen ) hat für ihre Präsentation im Fach Geschichte das Thema „ Vertreibung der Ungarndeutschen “ gewählt - mit dem Schwerpunkt „ Welche Auswirkungen hat sie auf die Vertriebenen und ihre Nachfahren ?“

POLENDEUTSCHE IN NOT

Wir , die Familie in Ungarn , haben sie bei ihrem Vorhaben unterstützt und in ihrer Widmung formuliert sie den Schlüssel für alle unserer Bestrebungen , indem sie schreibt : „ Auch nach mehr als 70 Jahren der Trennung hält uns das Band der Familie zusammen . Ich werde mein Bestes dafür geben , dass unsere Geschichte nicht vergessen wird und das Band zwischen uns bestehen bleibt .“ Ich wünsche uns allen , dass es noch viele solche Bänder gibt !
Ich bin , was ich auch öfters betone , trotz allem sehr zuversichtlich unsere Zukunft betreffend . Diese Zuversicht sollte jedoch durch entschlossenes und bewusstes Handeln - vor allem im Alltag untermauert werden .
Im Frühjahr haben wir die Möglichkeit , ein Zeugnis über unser Dasein und über unsere Identität abzugeben , indem wir uns in großer Zahl bei den Nationalitätenwahlen im Juni zu unserer Herkunft bekennen und dadurch eine starke Interessenvertretung durch die deutschen Selbstverwaltungen ermöglichen . Wir , die LdU , rufen alle zur Wahlbeteiligung auf , durch die wir zeigen können , dass wir doch nicht weniger geworden sind !
Wir brauchen Ereignisse , die in uns Empfindungen wecken und die uns stärken . Ein solches ist auch die Gedenkveranstaltung hier am Konsulat .
Von Dr . Bruno Burchhart
Die im polnischen Staat nach 1945 trotz Flucht , Vertreibung und Genozid verbliebenen Deutschen hatten es nie leicht . Sie wurden zuerst einer massiven Polonisierung unterzogen . Unter Strafandrohung durfte weder deutsch gesprochen oder gesungen werden . Von Unterricht in deutscher Sprache konnte keine Rede sein . So wuchs bis zum Ende der Kommunismus-Diktatur – nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Fall des Eisernen Vorhanges – eine ganze „ sprachlose “ Generation heran . Erst mit dem Drängen der ehemaligen Ostblockstaaten in die Europäische Union mussten diese die Kopenhagener EU-Kriterien akzeptieren , die unter anderem auch das Anerkennen der jeweiligen Minderheiten forderten . Erst nach 1991 gelang demgemäß eine Sammlung und Organisation der Deutschen : Ein Wunder nach der jahrzehntelangen Drangsalierung .
Eine bedrohliche Situation für die Volksdeutschen in Polen ist entstanden , da der polnische Staat ein Drittel der für den Deutsch-Unterricht zugesicherten Finanzmittel gestrichen hat . Das bedeutet , dass statt bisher drei Wochenstunden Muttersprachen-Unterricht nur mehr eine finanziert werden kann .
In dem Verband der deutschen sozialkulturellen Gesellschaften ( VdG ) sind die inzwischen gebildeten etwa 65 Orts- und Regionalverbände zwischen Danzig / Gdańsk und Kattowitz / Katowice zusammengeschlossen . Die meisten Deutschen leben in der Woiwodschaft Oppeln / Opole . Aber es gibt solche auch im Ermland , in den Masuren , in Großpolen , dem früheren Posen , usw . Dieser Verband , kurz VdG genannt , hat viele verschiedene Funktionen zu erfüllen : Er ist der wichtigste Sammelpunkt der Deutschen , nimmt auch viele gesellschaftliche Funktionen wahr . Nicht zuletzt widmet er sich auch der politischen Vertretung in Gemeinden , Bezirken , Woiwodschaften und im Sejm , dem polnischen Parlament . Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Erhaltung und der Ausbau des deutschen Erziehungs- und Unterrichtswesens für ihre Volksangehörigen .
Die genannte Kürzung der Finanzmittel für den Deutsch-Unterricht ( diese wurde Anfang Februar zurückgenommen , Red .) ist eine deutliche Diskriminierung , da sich das nur auf die deutsche , nicht aber auf die anderen Volksgruppen in Polen bezieht . Dadurch werden nicht nur die Sprachkenntnisse in Frage gestellt . Es geht dabei auch um das Kennenlernen und Weitergeben der eigenen Kultur , Tradition , Geschichte und Identität in der eigenen Muttersprache . Nicht nur in den zweisprachigen Grundschulen und den fünf Mittelschulen mit zumeist bilingualem deutschen Sprachunterricht kommt es zu großen
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