Sonntagsblatt 1/2021 | Page 9

auch im Falle von deutschen Muttersprachlern nicht immer der Fall , wie ich jüngst in einer Gesprächsrunde beobachten konnte , wo man ins Ungarische wechselte , obwohl beide Gesprächspartner der deutschen Sprache auf hohem Niveau mächtig sind . Zufall , Komfortgefühl , Gewohnheit ? Wer weiß ? Sprachgebrauch verlangt aber einiges ab von Menschen , die man in der Öffentlichkeit als Multiplikatoren wahrnimmt - oder die auch vorgeben , dafür einzustehen . Eine Verantwortung , der man sich stets bewusst werden soll !
Der dritte Fall ist eigentlich nur deshalb interessant , weil sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt , was für uns , frei nach Donald Johann Trump , an erster Stelle stehen soll ( er pflegte in diesem Kontext den Begriff „ first ”, also zuerst , zu benutzen ). Ist das Deutsch oder Ungarisch , wenn ich zum Beispiel in Form einer durchaus ansehnlichen Heimseite ( Homepage ) vor die Öffentlichkeit trete ? Müsste eigentlich nicht die deutsche Version zuerst da sein und dann erst die ungarische ?! Warum denken wir aber - oder viele von uns - , dass es andersrum „ natürlicher ” wäre ? Hat das damit zu tun , dass im Kreise der unter 40-Jährigen die Muttersprache zu 80 % ( wenn nicht mehr Prozent ) das Ungarische ist ? Und ?, würde ich entgegen . Interessant wäre in diesem Zusammenhang einen Blick auf die madjarischen Gemeinschaften in den Nachbarländern zu werfen – ich glaube dabei kaum , dass dort zuerst die slowakische oder rumänische Version der Internetseite ins Netz geht , sondern eher beide gleichzeitig . Da kommen die um den Fortbestand der genannten Minderheitengemeinschaften besorgten Zeitgenossen aber immer gerne mit dem Hinweis , es sei eine ganz andere Entwicklung gewesen und die Madjaren in den Nachbarländern seien ursprünglich Ungarn gewesen und wir nie Deutsche . Ein netter Versuch der Vernebelung , denn eines muss uns bewusst werden : Wir bestimmen darüber , wie Ungarndeutsch mit Inhalt gefüllt wird . Selbst die großzügigste - oder wie man es in Ungarn sagt : mustergültigste - Minderheitenregelung vermag es nicht , Sprache , Identität , Kultur und Brauchtum der Volksgruppe zu bewahren , zu fördern oder was auch immer , wenn deren Mitglieder nicht gewillt sind , diese Rechte zu nutzen , was durchaus bedeuten kann , dass man über seinen Schatten springt oder , wie es Patrik Schwarcz-Kiefer treffend formulierte , seine Komfortzone verlässt .
„ A megszokás nagy úr “, sagt man im Ungarischen , also „ nichts ist mächtiger als die Gewohnheit “, ein Spruch , den man dem römischen Epiker Ovid zuschreibt , also eine ziemlich alte Binsenweisheit . Das Schöne ist dennoch , dass der Mensch jederzeit fähig ist , sich zu verändern . Man muss nur die Gelegenheit ergreifen . Daher : Nur zu !
Aus aktuellem Anlass
Wenn einem das Gedicht „ Meine zwei Sprachen “ des vor 110 Jahren geborenen Franz Zeltner in den Sinn kommt
Von P . Rieckmann
Während ich Ende Januar 2021 den Artikel „ Für das deutsche Volk in Ungarn – 100 Jahre Sonntagsblatt “ von Herrn Georg Krix studierte ( siehe Leitartikel dieser Ausgabe !), kam mir Einiges , was ich darin las , irgendwie vertraut vor . Bald wurde mir klar , warum : Es war das Bleyer ’ sche Credo , dem ich schon an anderer Stelle begegnet war . Herr Krix formuliert es im Sonntagsblatt so : „ Deutschtum und Ungartum , deutscher Volksangehöriger und ungarischer Staatsbürger .“
Ich grübelte und grübelte , bis ich schlagartig an das 1981 von einem gewissen Franz Zeltner in Brennberg verfasste Gedicht „ Meine zwei Sprachen “ erinnert wurde .
SoNNTAGSBLATT
Es geht so :
Als Mensch bin ich ein Deutscher , Als Bürger ein Madjar ; Wir sprachen , sangen , träumten deutsch , Weil es die Muttersprache war .
Als Kinder , wenn wir spielten , War uns die Sprach ’ egal ; Wir stritten und wir rauften uns , Versöhnten uns auch wieder mal .
Mir ist , in diesen Jahren Hatt ’ ich kein Sprachproblem , Doch als ich in der Schulbank saß , War ’ s oftmals schwer und unbequem .
Da lernt ’ ich schreiben , lesen In Landessprache nur ; Die Mundart war nicht fein genug , galt nur am Schulhof und im Flur .
Als Jüngling und als Freier Mit Mädchen Hand in Hand Da braucht man keine Worte nicht , Die Sprache gilt in jedem Land .
Zwei Sprachen sprech ’ ich heute , Mal Deutsch , mal Ungarisch , Wenn ’ s eilig oder hitzig wird , Ist ’ s oft ein lustig Wortgemisch .
Die eine zum Erzählen , Die zweite Sprach ’ im Amt ; Sollt ’ s einmal nicht ganz richtig sein , So helft ! Und spottet nicht , verdammt !
Als Bürger bin ich Ungar , Als Mensch , so wie ich war ; Ich leb ’ mit beiden Sprachen zwar , doch kann ich eine besser , klar .
Wegen der Wichtigkeit seiner Aussagen und aus aktuellem Anlass – am 18 . Februar 2021 jährte sich sein Todestag zum 29 . Male – möchte ich dem Gedicht und seinem Autor hier einige Zeilen widmen .
F . Zeltner war ein Dichter aus Brennberg ( ungarisch : Brennbergbánya ) bei Ödenburg ( ungarisch : Sopron ), der von 1911 bis 1992 lebte und sowohl in der heanzischen deutschen Mundart als auch in der Hochsprache schrieb .
Das unterhaltsame Gedicht „ Meine zwei Sprachen “ ist ein humorvoll gehaltenes , liebevolles Bekenntnis zur Zweisprachigkeit . Doch das Gedicht enthält noch ein zweites Bekenntnis : das zum Deutschtum .
Dieses eindeutige Bekenntnis , das ohne Herabsetzung Anderer auskommt und ganz im Sinne Bleyers steht , hat etwas so Zeitloses , etwas so erfrischend und entwaffnend Natürliches , dass man für einen Augenblick vergisst , wie wenig opportun ein solches Bekenntnis in heutigen Zeiten ist , wo die politische Korrektheit einschüchtert , Gefühle und Gedanken vorgeben möchte und gerade das Bekenntnis zum Deutschtum als etwas völlig Widersinniges verteufelt . Das Bekenntnis zu einer ethnischen Zugehörigkeit sollte , denke ich , auf freiwilliger Basis erfolgen können und reine Privatsache sein . Doch ich frage mich : Gibt es wohl heute noch ungarische Staatsbürger deutscher Herkunft , die sich - trotz der nationalistisch aufgeladenen , doch relativ unduldsamen öf-
( Fortsetzung auf Seite 10 )
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