Sonntagsblatt 1/2021 | Page 12

damals für mich eine Riesengelegenheit , als Studentin ein Buch herauszubringen . Ein Großteil der Interviews wurde so „ frei Haus geliefert ”, einen Teil habe ich damals mit Überlebenden geführt .
Wenn du dich so wohlgefühlt hast auf der Andrássy und so zu Hause fühlst im deutschen Sprachraum , warum führte dein Weg nach dem Doktorat zurück nach Fünfkirchen ?
Wie kann man sich auf ein Gespräch vorbereiten , bei dem die andere Seite – mit großer Wahrscheinlichkeit – über traumatische Erlebnisse berichten wird ?
Man kann es nicht wirklich . Ich ging ja zu diesen Gesprächen hin , nachdem ich viel über das Thema und die Oral History-Methodik gelesen habe . Ich dachte , gut vorbereitet in die Gespräche zu gehen … Dann sitzt man einer gegenüber , die bislang nur die alte Bas von nebenan war , die weinend erzählt , dass ihre Kusine zwanzigjährig an Fleckfieber in ihren Armen starb . Und ähnliche Geschichten ! Solche Interviews können sehr erschütternd sein und genauso schwierig ist es dann , dieses Quellenmaterial wissenschaftlich objektiv aufzuarbeiten . Teilweise aus diesem Grund beruhen meine Arbeiten seitdem in erster Linie nicht auf Interviews ; das Buch von 2013 stellt eine Ausnahme dar . Aber es freut mich , dass wir es herausgegeben haben und denen ein Denkmal gesetzt haben , die ihre ( n ) Geschichte ( n ) mit uns geteilt haben – die meisten von ihnen sind nicht mehr unter uns .
Ich nehme an , diese Arbeit half dir auch beim Verfassen deiner Masterarbeit , denn diese – soviel ich weiß - hast du auch über die Verschleppten geschrieben . Nach der Prüfung kam es aber zu einem großen Wechsel : Bachelor und Master hast du an der Uni Fünfkirchen absolviert , die Doktorschule erfolgte bereits an der Andrássy-Universität . Warum hast du dich für einen Wechsel entschieden ?
Richtig , die Masterarbeit habe ich über die Branauer Ereignisse der „ Malenkij Robot ” geschrieben , aber diese beruhte auf Verwaltungsunterlagen , also auf Archivarbeit . Und warum verließ ich dann Fünfkirchen ? Während des Masterstudiums habe ich anderthalb Jahre in Deutschland verbracht – ein Jahr als Erasmus-Studentin in Regensburg und ein halbes mit einem Forschungsstipendium in Tübingen . Es gefiel mir dort sehr gut , aber es fiel danach schwer , nach Fünfkirchen zurückzukehren , ich fand nicht wirklich meinen Platz . Bei der Bewerbung um die Doktorschule bot sich ein Wechsel regelrecht an , damals schwebte mir die Rückkehr nach Deutschland vor Augen , aber es kam anders . Die Andrássy-Universität wurde von meinem späteren Doktorvater Gerhard Seewann empfohlen , von ihrer Existenz wusste ich zuvor so gut wie nicht . Das dortige Gespräch im Rahmen des Bewerbungsverfahrens hinterließ beiderseits einen guten Eindruck . So entschied ich mich für sie und Budapest , was sich als eine sehr gute Entscheidung erwiesen hat .
Warum hältst du diese Entscheidung im Nachhinein für eine sehr gute ?
Die Andrássy-Uni erfüllte in meinem Falle eine Brückenfunktion , wie auch in ihrem Logo zu sehen ist . Eine internationale , deutschsprachige Hochschule mit guten Kontakten , Arbeitsumfeld und Bewerbungsmöglichkeiten - und das alles in Ungarn , was im Hinblick auf meine Forschungstätigkeit relevant ist , denn erfolgt ist sie im Falle meines Themas größtenteils hierzulande . Innerhalb der Doktorschule gibt es im Fachbereich Geschichte ein von Österreich finanziertes Doktoratskolleg , dem ich mich 2015 anschließen konnte . Ich werde ein Leben lang für die dortigen Möglichkeiten und Erfahrungen dankbar sein oder dafür , dass ich an Orten wie Jerusalem oder Kanada Vorträge halten konnte , von denen ich zuvor nicht einmal träumen konnte . Aber vor allem deswegen bin ich dankbar , denn dadurch konnte ich meine Forschungsarbeit durchführen , wozu man neben Fleiß und Entschlossenheit - das soll auch gesagt werden - eine überdurchschnittliche Finanzierung benötigt . Diese wurde mir auch zuteil , man glaubte an mich und an das Projekt . Mir gefiel es ohnehin , dass an einer jungen Universität mit 200 Studenten jeder jeden kennt und schätzt , ich war nicht „ nur ” eine gute Doktorandin unter vielen .
Das Angebot aus Fünfkirchen kam in der letzten Phase des Doktorats . Die damalige Lehrstuhlleiterin Ágnes Tóth kam auf mich zu - mit der ich bis dahin hervorragend zusammenarbeiten konnte - , dass eine Stelle am Stiftungslehrstuhl für Deutsche Geschichte und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa in Fünfkirchen vakant würde , die angesichts der Forschungs- und Lehrschwerpunkte in etwa auf mich zugeschnitten war . Die Rückkehr nach Fünfkirchen war dennoch ein großes Dilemma , ich wusste , was mich dort hinsichtlich materieller und Arbeitsbedingungen erwartete - unabhängig davon , dass die Uni Fünfkirchen unter fachlichen Gesichtspunkten zu den stärksten im Land gehört . Bezüglich dieser Entscheidung schwanke ich immer noch , ob sie im Hinblick auf den eigenen Karriereweg die richtige war , aber es geht dabei nicht nur um mich . Es klingt womöglich etwas überheblich , aber mit den erworbenen internationalen und heimischen Erfahrungen und Möglichkeiten hat der Mensch auch eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung - in meinem Falle sogar auch der Minderheitengemeinschaft gegenüber , der ich mich zugehörig fühle . Fünfkirchen und der Stiftungslehrstuhl bieten eine Chance , etwas von dem zurückzugeben , was ich in den letzten zehn Jahren bekommen , gesehen und gelernt habe , und dass ich bei Dingen , die mir nicht besonders gefallen , eine positive Veränderung erreichen kann . Trotz aller Schwierigkeiten denke ich , dass ich es vielmehr bereut hätte , wenn ich es nicht probiert hätte .
Was verstehst du unter persönlicher Verantwortung ? Dass du als Forscherin die Ungarndeutschen bei der Aufarbeitung der Traumata , die sie nach 1944 / 45 erlitten , unterstützt ?
Auch das , aber diese Tätigkeit darf sich nicht auf das Ungarndeutschtum beschränken ! Die Vergangenheit einer Minderheit ist Teil der Geschichte einer Nation ; meine Forschungsarbeit , mein Buch , handelt von den Deutschen , aber ist nicht ausschließlich für sie gedacht . Die gesellschaftliche Verantwortung sehe ich doch eher in meiner öffentlichen und Lehrtätigkeit , dazu bietet die Universitätsarbeit in Fünfkirchen einen breiten Raum . Fast alle Studenten kommen mit dem gleichen uniformisierten , ungarnzentrierten Geschichtsbild aus dem Sekundarbereich an der Universität an - oft voller Vorurteile . Bei vielen Fragen kommt man gar nicht darauf , dass man darüber auch anders denken könnte . Ich will mein Weltbild keinem aufzwingen , aber als Dozent sehe ich meine Aufgabe darin , den Wissensstand der Lehrer und Historiker der Zukunft zu erweitern und ihnen eine Möglichkeit und Hilfe zu bieten , reflektiert , kritisch mit der Vergangenheit umzugehen . Das kann ich hier umsetzen ! Hätte ich das Land verlassen oder gar den Beruf , dann wäre mir das nicht möglich . Darin sehe ich meine persönliche Verantwortung .
Das – denke ich – können wir als deine Ars Poetica als Lehrperson betrachten . Wie lautet die als Forscherin ?
Ich glaube kaum , dass ich das in einem Satz zusammenfassen könnte . Als Forscher wird man von dem Wunsch nach der Erkenntnis der Vergangenheit oder irgendeiner Wahrheit geleitet , wobei man sich stets vor Augen führen muss , dass egal wie umfangreich und gründlich man Quellenarbeit betreibt , dies letztendlich nur eine Perspektive unter vielen bleibt und man stets offen dafür bleiben muss , dass ein anderer das Gleiche anders sieht . Das ist in Ordnung so , solange ein Forscher ideologiefrei , aber im Bewusstsein seiner eigenen Subjektivität schreibt und nicht zwecks Untermauerung des eigenen Prekonzepts unter den Quellen selektiert , sondern anhand der Quellen seine Hypothesen aufstellt . Das ist heutzutage immer seltener oder nur ich sehe nur so schwarz , weil das Thema „ Malenkij Robot ” in den letzten Jahren zu sehr durchpolitisiert wurde , was ja auf Kosten eines fachlich korrekten Umgangs geschah .
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