Sonntagsblatt 1/2020 | Page 4

Obergeschosses untergebracht. Präsentiert werden Bilder, Ma- nuskripte und Briefe von Lenau. Im Jahr 1931 wurde die erste Lenau-Gedenkstätte im einstigen Kameralhaus eingerichtet und seither bereits zweimal saniert, restauriert und neugestaltet. Nikolaus Lenau wurde 1802 in Csatád, dem heutigen Lenauheim geboren, er gilt als einer der bedeutendsten Lyriker Österreichs im 19. Jahrhundert. Seine Werke und sein Schaffen gehörten z.B. vor 40 Jahren zum obligatorischen Unterrichtsstoff deut- scher Klassenzüge in ungarischen Gymnasien. Die Puppenausstellung ist als Kirchweihzug gestaltet - eine her- vorragende Idee(!): Es sind 50 Trachtenpaare, die die Festtags- trachten von fast allen – ehemals deutschen – Banater Gemein- den zur Schau stellen. Für die Instandhaltung der Puppen muss immer die jeweilige Ortschaft sorgen. Leider gibt es da bereits Schwierigkeiten, da es keine geschickten Näherinnen mehr gibt, die die Kleider fachgerecht und authentisch auffrischen können. Eine weitere Schwierigkeit hat die Gemeinde mit den Räumlich- keiten im Gebäude, denn zum Teil gehören sie Privatpersonen, die sie selber nutzen möchten bzw. Miete dafür verlangen. „Vergangenheit ist wichtig, aber wir müssen in die Zukunft schauen” – Ibolya Hock-Englender am Gedenktag für die Vertreibung der Ungarndeutschen aus Ungarn in Stuttgart Quelle: LdU-Presse Die Vorsitzende der LdU, Ibolya Englender-Hock, gedachte in diesem Jahr in Stuttgart den Opfern von Verschleppung und Vertreibung. Weitere Redner der Gedenkstunde waren der ungarische Generalkonsul Dr. János Berényi, der Leiter des Ungarischen Kulturintituts, Dr. Dezső Szabó, und der Bundes- vorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn, Joschi Ament. Literarisch-musikalisch wurde die Feierstunde von den Schauspielerinnen Sandra Holczinger und Mariann Molnár umrahmt. Die Rede von Ibolya Englender-Hock können Sie hier lesen: Die römisch-katholische Kirche zur Heiligen Theresa von Ávila steht unweit vom Museum, sie ist gut in Stand gehalten, zum Teil aus deutschen Spenden. Es werden hier immer noch Messen in drei Sprachen (rumänisch, deutsch und ungarisch) abgehalten. Sehr geehrter Herr Generalkonsul (Dr. János Berényi) Sehr geehrter Herr Institutsleiter (Dr. Dezső Szabó), lieber Dezső, Sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender (Joschi Ament), lieber Joschi, werte Anwesende! Ganz anders als der Alte Friedhof in Wudersch sieht der Fried- hof am Rande der Ortschaft aus. Er wird zwar gepflegt, aber er sieht anders aus als wir das erhofft habe: Es gibt keine Bäume, er wird noch aktiv benutzt und die Grabsteine der Deutschen ste- hen vermutlich nur noch, weil die Heimatortsgemeinschaft sich darum kümmert. Aber immerhin sind die Spuren der Schwaben noch erhalten. „Wir feiern mit leisen versöhnenden Tönen, gedenken des Schicksals von Vätern und Söhnen, von missbrauchten Kindern, die wir damals waren, wir wollen der Zukunft jeden Hass erspa- ren“ - schreibt Valeria Koch in ihrem Gedicht „Gedenkzeilen über die Vertreibung“, das sie zum 50. Jahrestag der Vertreibung ver- fasst hat und das an der Mauer des Fünfkirchner Lenau-Hauses als Ermahnung steht. Vom Besuch in Lenauheim hatten wir ursprünglich neue Ideen für die Methoden der Zusammenarbeit mit Zivilvereinen, Ideen für neue Veranstaltungen, Ideen für den musealen Bereich und für thematische und Wander-Ausstellungen oder Ideen zur Netz- werkbildung erhofft. Leider ist auf diesem Gebiet in Lenauheim „nichts mehr zu holen“, da die deutschstämmige Bevölkerung fast völlig verschwunden ist. Wir konnten aber sehen, wie die zurückgelassenen Spuren noch bewahrt und gepflegt werden, wie diese paar Leute alles dafür tun, so lange es geht, das An- denken lebendig zu halten – obzwar das aus den Spenden der ehemaligen Lenauheimer und der Banater Schwaben geschieht. Es ist ein mulmiges Gefühl daran zu denken, was hier passiert, wenn diese Unterstützung aufhört… Ich fühle mich geehrt und bin gleichzeitig auch gerührt, dass ich bei der heutigen Gedenkfeier als unlängst gewählte Vorsitzende der LdU eine der beiden Festansprachen halten darf. Der Bürgermeister, Herr Suciu, ist Rumäne, hat aber in seiner Kindheit auf der Straße von den deutschstämmigen Kindern ein- wandfrei Deutsch gelernt und auch die Achtung und Liebe zur deutschen Kultur verinnerlicht. So lange er Ortsvorsteher ist, wird er bestimmt alles daran setzen, dass das Andenken an die Bana- ter Schwaben erhalten bleibt. Ein zwiespältiges Gefühl hatten wir uns auch beim Besuch in Temeswar. Die volkskundlichen Ausstellungen entstanden im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus dadurch, dass die im sozialen Teil untergebrachten deutschstämmigen Leute ihre Möbel und viele Gebrauchsgegenstände mitbrachten, beziehungsweise der Stiftung schenkten. Einst war es Bedingung für die Aufnahme im Heim „Schwabe“ zu sein, aber mittlerweile nicht mehr, da die Schwaben nach und nach „aussterben“. (Der Verein, der diese Einrichtung betreibt, ist das Hilfswerk der Banater Schwaben e. V.) Durch das Haus geleitete uns Frau Luise Finta, die sich begeis- tert um die Programme im AMG-Haus kümmert und bereits Kon- takte zu Ungarndeutschen pflegt, z.B. nach Elek. Auch auf diesem Wege danken wir dem BMI für die Unterstüt- zung unserer Erfahrungs-Reise, durch die wir einen Einblick in den Nachlass der Banater Schwaben gewinnen konnten. 4 Die vergangenen und kommenden Tage stehen für mich im Zeichen der Erinnerung - nicht nur als Vorsitzende der Landes- selbstverwaltung, sondern auch privat - denn die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn vor 74 Jahren hat auch meine Familie und mein Heimatdorf hart getroffen. Im Juni 1946 hat meine Großmutter die Nachricht erreicht, dass ihre Mutter, Schwester, Schwager, deren 5 Jahre und 8 Monate alten Kinder in Bohl/ Bóly bereits einwaggoniert worden sind und man nicht wissen kann, wann die Fahrt ins Ungewisse losgeht. In ihrer Verzweif- lung und Unentschlossenheit, wie und was sie helfen könnte, hat sie schnell etwas gekocht und hat es dann - die 7 km zu Fuß zurücklegend - zum Bahnhof gebracht. Die Reaktion des 5 Jahre alten Hans wurde dann immer wieder von meiner Oma erzählt und auch an die Kinder und Enkelkinder von ihm weitergegeben, nämlich: „Die Evi Tant hot siewe Gäns deham un brengt gedinste Krumpien un geochtes Schungefleisch“, auf Hochdeutsch: „Die Tante Evi hat sieben Gänse zu Hause und bringt uns gedünstete Kartoffeln und gekochten Schinken!“ Dieser Satz hat sich so sehr in uns eingeprägt, dass er zum Symbol wurde, zum Symbol der Trennung der Familie, zum Symbol eines ganz anderen Lebens in einem fremden Land, dessen Sprache ihre Muttersprache war. Als Kind habe ich natürlich nicht verstanden, warum die Besu- che aus Deutschland so sehr herbeigesehnt waren, warum wir dagegen nur ganz selten nach Deutschland gefahren sind, und dann Kinder und Eltern getrennt, warum wir Angst haben an der Grenze, warum Telegraphe in Blumensprache formuliert werden müssen, warum Onkel Paul immer die ungarische Hymne mit uns singen will, warum Tante Mari immer nur dann uns in Ungarn besuchen will, wenn es eine Arbeit gibt: Kartoffelernte, Weinlese, Schweineschlachten… Mit meinem Verstand konnte ich es nicht nachvollziehen, aber gefühlsmäßig schon. Jetzt weiß ich, dass dies alles ein krampfhaftes Festhalten an all dem war, was für sie die Heimat bedeutete. Nachgelassen hat dieses Gefühl, aber aufgehört nie. SoNNTAGSBLATT