ist das Weingut der Familie auf 13,5 Hektar angewachsen. Darü-
ber hinaus besitzt die Familie 1,9 Hektar Boden in Kalasch, den
er im Zuge der Wiedergutmachung Anfang der Neunziger gegen
Wiedergutmachungsscheine erworben hat, und 42 Hektar in Ta-
rian/Tarján. Mit der Erweiterung des Familienbesitzes ging auch
ein Ausbau des Betriebs einher: Zu den bestehenden Gebäuden
kamen unter anderem eine 200 m2 große Küche und diverse
Weinproduktionsräume im Kellerbereich hinzu - nach eigenen
Angaben finanziert aus Eigenmitteln und später aus Fördergel-
dern.
Den Eigentümern liege sehr viel daran, die Familientradition in
Produkte umzumünzen – das sagt bereits der Juniorchef und
meint damit, dass man sich bemühe, traditionelle schwäbische
Speisen wie Sauerkraut und Schinken, die man früher auch
schon selber produziert habe, auf den Teller zu bringen. Man
wolle dabei professionell arbeiten. Schinken und Wurstprodukte
kämen aus der Eigenproduktion, genauso die Getränke, Frucht-
säfte ohne Konservierungsstoffe, die die Erfrischungsgetränke
der Massenproduktion verdrängt hätten: „Wir verkaufen 95 %
eigene Fruchtsäfte und nur 5 % Coca Cola”, berichtet Konrad
Schieszl jun. stolz. Neben Küche, Keller und Weinbau ist Ca-
tering das vierte Standbein: Man veranstalte vor Ort und auch
außerhalb Hochzeiten. Dabei kämen neben den 30 Festange-
stellten noch Aushilfskräfte dazu. Apropos Arbeitskräfte: Wie
anderenorts leide auch dieser Familienbetrieb unter Arbeitskräf-
temangel, was zu steigenden Löhnen in den vergangenen Jah-
ren geführt habe, so dass die Mitarbeiter je nach Position heute
200.000 bis 500.000 Forint (600 bis 1500 Euro) netto im Monat
verdienen würden - Löhne, die aber nicht immer motivierend wir-
ken würden, denn heute sei erste Priorität die Bequemlichkeit,
so die Inhaber einhellig. Der Juniorchef beschrieb die Mehrwert-
steuersenkung von 27 auf 5 % (was einer tatsächlichen Senkung
von 18 % entsprach) und Steuererleichterungen im Rahmen der
Kleingewerbebesteuerung (KIVA) als hilfreich, um die Löhne
der Mitarbeiter zu erhöhen. Der Familienbetrieb habe seit 2001
stets hohe Zuwachsraten beim Umsatz erzielt, die Spanne reiche
nach Angaben des Juniorchefs von vier bis 27 %. Ein Teil dieses
Geldes fließe wieder in Investitionen: So plant man gerade aus
EU-Fördermitteln den Aufbau einer neuen Flaschenabfüllanlage
und aus eigenen Mitteln einen Veranstaltungsraum.
Das Wachstum erfordere aber, dass man Produkte anbiete, hin-
ter denen eine Philosophie stecke. Wenn jemand zweifele, ob
er zu Hause eine Fischsuppe für die Familie kochen soll, dann
würde in solchen Fällen der Juniorchef entgegnen: Nein, man
möge die Zeit lieber in Familiengespräche investieren und den
Rest den Schieszls überlassen – ein Kalkül, was aufzugehen
scheint: Denn in solchen Fällen würden die Anrufer gleich sechs
Portionen bestellen. Nach Überzeugung des Juniorchefs könne
der Betrieb durch das Gefühl der Häuslichkeit punkten, gerade
bei den Stammkunden: Weißwein, Schinken und Weißbrot sei-
en einfache Gerichte, aber würden in Handarbeit gefertigt, was
auch eine Kundschaft mit gehobenen Ansprüchen schätze, gera-
de wenn vom Chef persönlich serviert wird.
Maßvoll zu sein und Ausdauer zu haben – Charaktereigen-
schaften, die für den Juniorchef als typisch schwäbische bzw.
deutsche Tugenden gelten. Er ist nach eigenen Angaben im
Vergleich zu seinem 79-jährigen Vater zwar in einem anderen
Umfeld aufgewachsen: Die deutsche Sprache sei in der Fami-
lie nicht mehr präsent gewesen. Dennoch spricht er wie Ehefrau
und Kinder die Sprache der Ahnen (er arbeitete eine Zeit lang
als Skilehrer in Österreich) und ihm liege sehr viel an der Pfle-
ge der Traditionen, jedenfalls im gastronomischen Sinne. Sein
Vater, „ein schwäbischer Dickschädel”, wie er zu sagen pflegt,
habe zu Hause noch die Mundart gesprochen, dennoch habe
das ungarischsprachige Umfeld in einer Gemeinde, aus der fast
alle Deutschen vertrieben worden waren, stark abgefärbt. Als
er 1965 die westdeutschen Verwandten in Baden-Württemberg
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zum ersten Mal besuchen durfte, verstand er alles, habe aber
Probleme beim Sprechen gehabt. Dies habe sich aber nach zwei
Monaten Arbeit beim Anlagenbauer Nägele in Esslingen gelegt
– hier habe ihm ein Ungar, der 1956 nach Westdeutschland ge-
flohen war, auf die Sprünge geholfen. Seine Sprachkenntnisse
habe er dann auch dank der DDR-Gäste in der Schänke gefes-
tigt, die an manchen Tagen 90% der Kundschaft ausgemacht
hätten. In Kalasch selbst habe er immer weniger Möglichkeiten
die Sprache zu sprechen: Es gebe nur noch wenige, die von zu
Hause aus deutsch sprächen, auch die vielen Mischehen täten
ihr Übriges. Auf dem Gebiet der Pflege der Kultur gebe es viele
Aktive und auch alle vier Fronleichnamskapellen würden Schwa-
ben betreuen, aber bereits bei der Sprache der Liturgie höre die
Traditionspflege auf: Die Messen werden in Ungarisch gehalten.
Die Gemeinde ist in den letzten Jahren enorm gewachsen: Wäh-
rend sie Ende der 1940er Jahre 2700 Seelen zählte, beträgt die
Einwohnerzahl heute etwa 12.500. Vor der Vertreibung stellten
die Deutschen die Hälfte der Bevölkerung, die Serben 35-40%.
Eine Entwicklung, die zum einen Herausforderung, zum anderen
eine Chance darstellt: Schwabensein, das deutsche Erbe be-
wahren in Zeiten ständiger Veränderung. Dies bedarf viel Flexibi-
lität und Kreativität – die fast 125-jährige Familientradition zeugt
ohne Zweifel vom Erfolg dieser Bemühungen.
Ansichten - Einsichten
s
Ein Vierteljahrhundert LdU
Ein sehr subjektiver Rückblick
Von Dr. Jenő Kaltenbach
Ehrlich gesagt habe ich gar nicht daran gedacht, aber wurde da-
ran erinnert, dass es in zirka drei Monaten, ganz genau am 11.
März 2020, zum 25. Jahrestag der Gründung der Landesselbst-
verwaltung der Ungarndeutschen kommen wird, deren Grün-
dungsvorsitzender ich war.
Nun, es wird ein ziemlich subjektiver Rückblick werden – einer-
seits, weil ich gar nicht daran glaube, dass es eine objektive
Geschichtsschreibung gibt. Die Rekonstruktion der Gescheh-
nisse ist schon deshalb unmöglich, weil die Sicht des Betrach-
ters immer die entscheidende Rolle spielt. Kriminalpolizisten und
Staatsanwälte können ein Lied davon singen, dass selbst die Ta-
ten von gestern schwer rekonstruierbar sind, geschweige denn
solche, die Jahre – Jahrzehnte - zurückliegen.
Andererseits habe ich auch nicht den Anspruch objektiv zu sein.
Meine Gefühle, Erlebnisse sind für mich real, aber nicht unbe-
dingt für andere. Also, dann leg‘ ich einfach ´mal los.
Es begann damit, dass der traditionelle ungarische Nationalis-
mus, der in der Kádár-Ära unterdrückt worden war, nach der
Wende wieder hoffähig wurde - im Kern mit dem Trianon-Trau-
ma, das endlich wieder ausgelebt werden konnte. Ein wesentli-
cher Bestandteil der ungarischen Politik war und ist bis heute die
Wiedervereinigung der Nation, das heißt, die sog. Ungarn jen-
seits der Grenze, also die ungarischen Minderheiten der Nach-
barstaaten rückten in die Mitte der Politik. Dieser Politik konnte
man aber nur Glaubwürdigkeit verleihen, wenn Ungarn sich auch
für die Rechte der im Land lebenden Minderheiten einsetzt.
Alles in allem, es begann ein mühsamer Verhandlungsmara-
thon zwischen der ungarischen Regierung und dem sog. Run-
den Tisch der Minderheiten, eine Art Dachorganisation, in der
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