Sonntagsblatt 1/2020 | Page 25

alle 13 anerkannte Minderheiten vertreten waren. Letztendlich wurde das Minderheitengesetz im Jahre 1993 verabschiedet und die ersten Wahlen der örtlichen Minderheitenselbstverwaltungen fanden im Herbst 1994 statt. Abschließend wurde dann am 11. März 1995 die konstituierende Sitzung der Landesselbstver- waltung der Ungarndeutschen (LdU) veranstaltet. Ich wurde mit großer Mehrheit zum Gründungsvorsitzenden gewählt. (Es gab zum ersten und letzten Mal einen Gegenkandidaten, den frühe- ren Generalsekretär der Verbandes, Géza Hambuch, aber er ist ziemlich eindeutig gescheitert.) Diesen Sieg hatte ich dem jahre- langen Kampf gegen so manche ungarische Politiker, aber auch gegen etliche Leute des alten Verbandes der Ungarndeutschen zu verdanken, die erst von der Richtigkeit dieses Schritts über- zeugt werden mussten. Letztere wollten natürlich ihre „Besitz- tümer“ behalten und räumten nicht immer freiwillig ihren Platz. Dieses Versprechen hat man eigentlich bis heute nicht eingelöst. Die Deutschen verfügen zwar mittlerweile über ein bescheidenes Schulnetz, manche kulturelle Einrichtungen sind aber weiterhin Bittsteller bei den ungarischen Kommunen und beim Staat - vor allem finanziell. Es gab am Anfang viel Hoffnung bezüglich der Ehrlichkeit der ungarischen Politik, die hatte doch angesichts der kleinen, gut integrierten Minderheitengemeinschaften nichts zu befürchten. Diese Hoffnungen wurden dann ziemlich schnell zerschlagen. Aber gehen wir schrittweise vor. Früher propagierten die Minderheiten, naiverweise oder aus Furcht, eine politische Neutralität. Das ist bis heute offiziell so geblieben, aber in der Wahrheit längst überholt. War ja auch nie realistisch! Eine Minderheitengemeinschaft ist eigentlich eine kleine Abbildung der Mehrheitsgesellschaft, mit verschieden An- sichten darin, die dann integriert werden sollen. Im selben Jahr am 30. Juni wurde ich zum ersten Minderheiten- beauftragten des Parlaments (Ombudsman) gewählt, also muss- te ich abdanken. Mein Nachfolger wurde mein Stellvertreter, ein langjähriger Mitstreiter der Sache, Lorenz Kerner - ein früherer Journalist und erfolgreicher Geschäftsmann, der mit großem, für ihn typischen Elan die Arbeit fortsetzte. Lorenz war ein richtiger Ungarndeutscher, ein Macher, aber ein wenig sprunghaft, was seine Popularität nicht unbedingt förderte. Nach einer Zeit wurde klar, dass die LdU eine ruhigere Hand braucht, die eine langfristi- ge Lösung werden kann. So kam mir die Idee, dass ich den Vor- sitzenden des Regierungsamtes für Minderheiten, Otto Heinek, überzeuge, seine berufliche Karriere als Vorsitzender der LdU fortzusetzen. Er wurde dann bei der nächsten Wahl 1999 zum dritten Vor- sitzenden der LdU gewählt und bekleidete dieses Amt bis zu seinem frühen Tod, 2018. Otto war mein guter Freund, und ich setzte viel Hoffnung in ihn. Er war ein ruhiger, zuverlässiger und vorausschauender Mann, der sehr schnell das Vertrauen der Gemeinschaft gewann. Unsere Freundschaft hatte viele Jah- re überdauert, endete aber vor einigen Jahren, als vermutlich bei ihm oder bei einem seiner Ratgeber der Verdacht aufkam, dass ich ihm bei der nächsten Wahl Konkurrenz machen könn- te. Das war zwar nicht meine Absicht, aber ich muss zugeben, dass ich selbst, in meiner Enttäuschung, mit einem unbedachten Zeitungsartikel unsere Freundschaft mitverdarb. Meine Unzufrie- denheit hatte nicht nur persönliche Gründe. Ich war mit der Tätig- keit der LdU immer weniger einverstanden. Und jetzt über die zerschlagene Hoffnung und die - für mich - fal- sche Richtung, der die LdU bis heute folgt: Am Anfang dachten viele, Ungarn ist bereit die in manchen westli- chen Ländern vorhandenen Formen der Minderheitenautonomie - an den ungarischen Verhältnissen angepasst - zu übernehmen. Die Devise war: Man muss die fast klinisch toten Minderheiten- gemeinschaften erst wachküssen, um sie in die Lage zu verset- zen, als Autonomie funktionieren zu können. Sie sind sehr ver- schieden - von winzig klein und zerstreut über mittelgroß wie die Deutschen bis einzig groß wie die Roma. (Letzteres ist aber ein Sonderfall, deshalb lasse ich sie jetzt außer Acht.) Aus den oben genannten Gründen hat man uns gesagt, man würde erst eine Semiautonomie etablieren, in der die Gemeinschaft nur über ihre Organisation und ihr Personal frei entscheiden kann, nicht aber über öffentliche Aufgaben wie z.B. den Unterricht, was im Normalfall eigentlich zum Kernkompetenz gehören würde. Man tröstete uns, dass dies nur der Anfang wäre und später dann die volle, organisatorische, personelle - und noch wichtiger - die finanzielle Autonomie gewährleistet werden könnte. SoNNTAGSBLATT Am Anfang seiner Amtszeit waren Otto und die LdU bemüht be- gründete Interessen der Gemeinschaft durchsetzen zu wollen, aber dieser Elan ebbte immer mehr ab. Letztendlich haben sie kapituliert und ihr Rand-Dasein akzeptiert. Das war besonders der Fall nach dem Wahlsieg von Fidesz 2010 und dem damit verbundenen wachsenden Einfluss des strammen Fidesz-Manns Emmerich Ritter, der die LdU immer näher zur Regierung rückte. Er wurde das Instrument der Regierungspropaganda über die „beispielhafte“ Minderheitenpolitik der Regierung Orbán. Was die Minderheiten nicht verstanden zu haben scheinen oder wollen, ist, dass eine Minderheit nur dann verhältnismäßig ab- gesichert ist, wenn sie kein Inseldasein fristet, sondern Teil des öffentlichen Lebens des Landes ist. Man hat eine gemeinsame Heimat, also muss man auch die Geschicke des Landes nach Kräften mitgestalten und an öffentlichen Diskussionen teilneh- men, weil man sonst überrumpelt bzw. nicht berücksichtigt wird. Vorbild könnten die Auslandsungarn sein, die dies in den Nach- barstaaten seit geraumer Zeit - eigentlich seit der Wende - tun. In Ungarn tun es teilweise nur die Roma; sie sind aber einerseits sehr zerstritten, andererseits mangelt es ihnen an einer schlag- kräftigen Elite. Diese Rolle könnten die Ungarndeutschen erfüllen, wenn sie ein durchdachtes Konzept hätten und die Kapazitäten dies schritt- weise zu erschaffen und umzusetzen. Bei meinem bislang letzten Versuch bei der Wahl 2014, mit Rat und Tat die LdU zu unterstützen, habe ich ein Konzept, ein Programm, erarbeitet und allen Mitgliedern der LdU zugeschickt. Es gab eine ganz be- scheidene Reaktion, aber sie haben einige meiner Vorschläge doch stillschweigend akzeptiert. Die Ungarndeutschen haben jetzt - zumindest auf dem Papier - ein Konzept, aber an ihrem Inseldaseinsverhalten hat sich nichts geändert. Ihre Existenz in der ungarischen Gesellschaft ist nicht wahrnehmbar - trotz der Tatsache, dass man in der Person des bereits erwähnten Emme- rich Ritter, sogar einen eigenen Abgeordneten hat. Ritter hat sich im Parlament schnell - wenn auch nicht formell - der Regierungs- fraktion angeschlossen und vertritt keine eigene Meinung. Wie ich gehört habe, stimmt er sich bei wichtigen Entscheidungen nicht einmal mit der LdU ab. So bleibt die LdU fast unsichtbar. Wenn man z. B. in der unga- rischen Presse Berichte über die Ungarndeutschen sucht, muss man sich ziemlich anstrengen. Man weiß nicht, wofür sie ste- hen oder wogegen sie sich einsetzen. Man glaubt, dass man die Identitätsbewahrung, was richtigerweise zum Hauptziel de- klariert wurde, auch dann erreichen könnte, wenn man sich brav gegenüber der jeweiligen Regierung verhält und so wenig wie möglich auffällt, damit ja keine Konflikte entstehen. … wie die leider jung verstorbene ungarndeutsche Dichterin Va- leria Koch einmal geschrieben hat: „Ungarndeutsch ist das Maß des tüchtigen Aussterbens.“ Na dann, viel Spaß! 25