Untersuchung von Attitüdenzuständen und die Heraufbeschwö-
rung der eigenen Attitüden in der Vergangenheit sind davon ab-
hängig, wie groß die kognitive Zugänglichkeit des Individuums zu
den Anhaltspunkten der eigenen Attitüden in der Vergangenheit
ist.” Im Falle derjenigen, in deren Identitätsbild die politischen
Präferenzen fest eingebaut sind, ist die kognitive Heraufbe-
schwörung der alten, versunkenen Attitüden stabil und gleichzei-
tig vertraut. Prohászka ist ein Sonderfall: Er wurde von seinem
Beruf in die Ära der Politik getrieben, aber die Präferenzen waren
in sein Ego nur lückenhaft eingebaut. Daher kam die Unsicher-
heit, die Aversion, an etwas teilzunehmen, in einigen Fällen Ab-
stand zu halten und letztendlich die Flucht vor der Wahrnehmung
einer politischen Rolle, was oft zu Rollenkonflikten führte.
„Ich bin kein Kenner der Politik. Im Herrenhaus kehre ich dann
und wann ein. Wegen der Nichtstuerei besuche ich politische Zir-
kel nicht, so habe ich nur eins verdient, dass ich samt noch vielen
anderen aus dem Herrenhause herausgeschmissen werde. Es
würde mir nicht die geringste Sorge bereiten, sogar würde ich
mich darüber freuen. Einem verdirbt sich der Charakter, wenn
man wahrhaftig nicht das ist, wozu man berufen ist und trotz-
dem macht man so, als wenn man das wäre. Was bin ich doch?
Politiker? … Aber ich müsste auch das sein. Nein, nein, was wir
nicht sein können, dessen Farbe müssen wir nicht anhaben!
Allerdings bereue ich, dass mein Leben größtenteils in meinen
vier Wänden abgelaufen ist, so entwickelte sich mein entschlos-
sener, chevaleresker, aufrichtiger, kämpferischer und explosiver
Charakterzug nicht vollständig. Ich habe erfahren, dass ein Cha-
rakter in der Welt gestaltet wird, man muss also ein weltnahes
Leben führen, damit der vollkommen edle, tapfere Charakter
ausgestaltet wird.”
(Fortsetzung folgt)
Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa
s
Deutsche Volksgruppen
Bist du Zigeuner, was ist das für eine
Arbeit? – die Abenteuer ungarischer
Altenpfleger in deutschen Landen
(Te cigány vagy, milyen munka ez? –
Magyar idősgondozók kalandjai német földön)
Ein Beitrag von Tamás Ungár, erschienen am 06. Januar 2020
auf dem Internetportal 24.hu. Veröffentlichung mit freundlicher
Genehmigung von Chefredakteur Péter Pető.
Übersetzung: Richard Guth
Montags, mittwochs und freitags machen sich aus gut 50 süd-
transdanubischen Ortschaften 604 Altenpflegerinnen und Alten-
pfleger mit elf Kleinbussen nach Österreich und Deutschland
auf – sie lösen gleichzeitig andere ab. Überwiegend geht es um
Frauen, die mit häuslicher Pflege ihr Brot verdienen, im Schnitt
50-100 Euro am Tag. Wer sind sie? Warum sind sie bereit fern
der Familie zu sein? Sie erzählen selbst über ihr Schicksal.
Maria Czirják würde gerne nach Hawaii fliegen. Aber vorerst
bleibt ihr die Autofahrt nach München - nicht um sich zu erholen,
sondern um zu arbeiten: als Pflegerin. So muss sie noch etliche
Jahre schaffen, um genügend Reserven zu haben, um sich eine
Reise nach Hawaii leisten zu können.
Die 49-jährige Frau pendelt aus finanziellen Gründen nach
Deutschland. Maria ist im Branauer Boschok/Palotabozsok auf-
gewachsen. Ihre Familie litt nie Not. Ihre Eltern bauten ein großes,
SoNNTAGSBLATT
geräumiges Haus und wirtschafteten wie ihre schwäbischen Ah-
nen vorausschauend. Maria, die Maschinen- und Schnellschrei-
ben und dann Einzelhandelskauffrau gelernt hat, heiratete mit 18
einen deutschen Mann, der sich in Boschok des Öfteren aufhielt.
Die Frau zog nach Deutschland und fand in einem Juwelierge-
schäft eine Anstellung. Die Ehe ist nach einem Jahr in die Brüche
gegangen, Maria blieb aber noch vier Jahre in Deutschland. Bei
einem Heimaturlaub verliebte sie sich in einen Wemender. We-
gen ihm zog sie wieder nach Ungarn. Aus ihrer zweiten Ehe sind
ein Mädchen und ein Junge hervorgegangen. Mit ihrem Mann
betrieb sie zuerst eine Metzgerei, dann eine Kneipe. Auch diese
Ehe wurde geschieden und Maria zog 2006 mit ihren Kindern
ins elterliche Haus in Boschok. Die Frau fand keine Anstellung in
der Umgebung und sah, dass viele Frauen im Ort in deutschen
Landen dem Pflegeberuf nachgehen – für viel mehr Geld als in
Ungarn -: so entschied sie sich auch dafür.
„Das entscheidende Argument war, dass wir ein deutsches Aus-
tauschkind erwarteten und wir bis dahin eine Schlafcouch an-
schaffen mussten. Sie kostete 200.000 Forint (damals etwa 700
Euro, R. G.), aber ich hatte kein Geld dafür”, erinnert sie sich an
die Entscheidung.
Maria Czirják hat zuerst einen 90-jährigen krebskranken Mann
in Hessen betreut, dessen Krankheit sich im Endstadium be-
fand, danach eine 80-jährige Frau. Zwei Wochen verbrachte
sie dort, zwei Wochen zu Hause mit den Kindern. Nach einem
Jahr kehrte sie zurück, weil sie endlich auch zu Hause einen Job
fand: im Callcenter einer ausländischen Firma in Fünfkirchen,
wo deutsche Sprachkenntnisse Voraussetzung waren. Sie blieb
fünf Jahre, aber ihr Gehalt blieb konstant, so dass sie sich des-
wegen und wegen der täglichen Pendelei entschloss, wieder in
Deutschland als Krankenpflegerin zu arbeiten. Sie wollte aber
nicht mehr rund um die Uhr in einem Haushalt arbeiten, sondern
wandte sich an eine Firma, die sich mit häuslicher Pflege be-
schäftigt. Dazu musste sie einen 200 Stunden-Kurs absolvieren.
Seit 2012 pendelt sie nach München, wo sie drei Wochen lang
täglich acht Stunden arbeitet, um sich danach drei Wochen lang
zu Hause auszuruhen. In München besucht sie täglich 27-28
Kunden, die sie wäscht, füttert, mit Medikamenten versorgt, ihre
Wunden behandelt, Spritzen und Infusionen verabreicht sowie
Windeln wechselt. Sie fährt ein Auto zur persönlichen Verfügung
und wohnt in einem Appartement eines Mehrfamilienhauses.
Ihre Nachbarn sind ungarische Altenpfleger; sie sind zu fünft, der
jüngste ist 24, der älteste 62. Sie könnten aufeinander zählen,
oft würden sie zusammen kochen, shoppen, Kaffee trinken oder
Ausflüge machen, sagt Maria Czirják.
Nanu, Nummer 17 ist da!
Für diese Arbeit erhalten sie 50 Euro am Tag, dazu kommen
noch 30 Euro Verpflegungsgeld pro Woche und hin und wieder
Trinkgeld. Für die Unterkunft sowie die Fahrtkosten müssen sie
nicht aufkommen. Ihr Einkommen beträgt etwa 250-280.000 Fo-
rint im Monat (750 - 835 Euro, R. G.). Das ist nicht viel, aber
Maria beklagt sich nicht. Bislang konnte sie nach eigenen An-
gaben kein Geld zurücklegen, weil ihre Tochter früher ein kos-
tenpflichtiges Studium absolviert und man ständig Ausgaben für
das Einfamilienhaus der Eltern aus den 1980ern habe, in dem
sie mit ihrer verwitweten Mutter und ihrem Sohn wohnt, der noch
nicht erwerbstätig ist. Wenn sie bei einer Familie wohnen und
dort jemanden versorgen würde, dann würde sie – weil sie dort
Vollverpflegung erhalten würde – etwas mehr verdienen, aber so
gefalle es ihr besser:
„Ich muss nicht das Leben eines anderen leben. Wenn ich einen
24-Stunden-Bereitschaftsdienst annehmen würde, dann hätte
ich keine Zeit für mich.”
(Fortsetzung auf Seite 20)
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