werden können. Eine andere Art und Weise der außenpolitischen
Haltung lag nicht auf der Hand. Es blieb nichts anderes übrig als
den Krieg zu unterstützen.
Sonst vermischt Prohászka die Funktionen der Kirche nicht mit
den staatlichen Funktionen, seine „Arbeitsteilung”: Der macht so,
der andere anderswie. Ein paar Jahre später, 7. Juli 1919 schreibt
er in sein Tagebuch: „Auch gegenüber dem Staat leite uns nicht
das traditionelle Recht, noch weniger das Machtinteresse. Wer
weiß, was aus dem Recht auf uns bleibt und außerdem, warum
wollen wir uns Machtinteressen durch den Staat, durch den ir-
religiösen [Hervorhebung von mir – Z. T.] Staat sichern? Diese
Machtinteressen können wir uns aus eigenen Kräften, durch das
Volk sichern. Uns leiten nicht die Politik, sondern die großen ge-
meinnützigen Interessen von Staat und Gesellschaft. Wir wissen,
wie wir diesen beiden helfen können und dass die reine Moral
nur wir sichern. Davon sind Staat, Gesellschaft, Ordnung, Diszi-
plin und Glücklichkeit abhängig. Wenn wir Kontakte aufnehmen,
richten wir uns in der Wahrnehmung der Sachen nach diesem
Gesichtspunkt.”
Um noch weiter in die Vergangenheit zu gehen, schlagen wir
den Band seiner „Soliloquia” auf Seite 420 auf: „Ich scheute mich
immer vor der Politik und mein guter Genius ließ mich 1896,
im Jahre der hundsgemeinen Bánffy-Wahlen, an der Wahlver-
anstaltung am Ufer von Vágvecse verlieren. Mein ehemaliger
Schulkamerad, Gyula Markhót, hat gegen mich mit 140 Stim-
men Mehrheit gewonnen und ich bin gleich in meine Kutsche
gesprungen und mit meinem wackeren Freund, Dr. Tóth bin ich
wie ein kleiner Caesar-Kandidat nach einer verlorener Schlacht
weggegangen. Verlassen, noch flammende Hirtenfeuer leuchte-
ten, nachher wartete ich in Tarnóc auf den Zug und etwa eine
Stunde nach Mitternacht gelang es mir in den Zug zu steigen.
Am Morgen im Seminar ist der Gesang der heiligen Messe von
Donnerstag in meine Stube hereingeflogen, um meine Schande
zu lindern. Nota bene! Deo gratias! Die Politik ist nichts für mich;
aber wenn ich auch kein Politiker bin und das Schicksal der Kir-
che nicht mit der Politik verbinden will (Gibt es ja Politik, an der
einmal manches nicht auszusetzten ist, inbegriffen das deutsche
Zentrum und die ungarische Volkspartei?!), verstehe ich aber
die philosophische Erfordernis und ich verstehe die Zeugnisse
der Geschichte und aus diesem Grund bin ich ein Getreuer der
Freiheit, des Fortschritts und des Sozialismus und ich will das
Christentum in diese Richtung beeinflussen. Wir müssen Freiheit
haben! Das ist das Milieu der Freiheit, ohne diese gibt es ein Va-
kuum und wir ersticken. Also Freiheit für die Kirche! Kombinieren
wir die Kirche nicht so sehr mit dem Prinzip der Nicht-Freiheit und
mit der Macht! Ich weiß, dass es gut ist, wenn das Autoritäts- und
Freiheitsprinzip, die Macht, und der Vertreter des Geistes, die
Kirche, einander verstehen und unterstützen. Das ist nämlich der
Lauf der Dinge, dass wir Synthesen unter den unterschiedlichen,
aber trotzdem menschlichen, humanitären Faktoren suchen,
aber dabei möglichst wenige Synthesen - wir würden sagen, nur
so viele, wie man eben braucht. Ich mag nicht die Umschlingung,
wenn der Sohn von Mars die Ecclesia umarmt und wenn die Ec-
clesia zu sehr am Mars hängt!”
Eindeutige und aufrichtige Rede: drei Schritte Entfernung! In
schroffem Gegensatz dazu Richelieu, bei dem die Umschlingung
nur deshalb nicht möglich war, weil in ihm die Macht und die Ec-
clesia in einem Körper zusammen war, lag das im Jahre 1648
geschaffene außenpolitische System, das so genannte „West-
fälische System”, schon vor dem I. Weltkrieg in Ruinen: Europa
war in zwei Lagern gespalten, die Säkularisation vorangeschrit-
ten sowie Verwaltung und Kirche voneinander getrennt. In Eu-
ropa wurde nach Bismarck das außenpolitische Gleichgewicht
endgültig abgeschafft. Aus den maßgebenden Kreisen der deut-
schen Hexenküche kam eine neue Form der Außenpolitik, die
„Machtpolitik” und nach dieser die „Weltpolitik” . Der Griff nach
dem Weltmachtstatus, der sich in Kriegszielen der deutschen
Großindustrie sowie im „Drängen der Nation”, also praktisch in
den pangermanischen Vorstellungen äußerte.
18
Schon ganz früh, drei Jahre vor dem Ausbruch des Krieges er-
scheint in Prohászkas politischer Denkungsart das Missgefühl
gegenüber dem Dreibund gegenüber der Aufrechterhaltung des
Dualismus und überhaupt der damaligen Großmacht- und Welt-
politik, wofür er die regierenden ungarischen Politiker verant-
wortlich machte. „Und jetzt machen wir einen Purzelbaum, und
zwar im ungarischen öffentlichen Leben, [so erblicken wir] die
Absichten von Tisza , einen Abgrund seines Despotismus, sei-
ner Gewalttätigkeit! Mein Gott, wie eine zwergenhafte, hässliche,
zu weit hergeholte, lügenhafte Welt ist das; ein Tartarenzug der
Machtwillkür, der imperialistischen Abgötterei. Wir müssen eine
Armee haben, wir müssen Geld haben – dem alten Ferenc Jóska
wurde in Berlin der Befehl erteilt, dass so und so, das europäische
Gleichgewicht gebrochen wird; der Russe durchstößt mit seinem
panslawistischen Stiefel den Arsch Österreichs!” Obwohl dem
Panslawismus in der spätdualistischen Zeit der Giftzahn schon
gezogen war, hatte er in Form des Gesamtslawismus seine zwei-
te Blütezeit erlebt und die militärische Gefahr war größer als je.
Österreich–Ungarns Ostprovinzen, Galizien und die Bukowina
lebten unter einer hochgesteigerten Spannung, in jeder Stunde
war eine russische Provokation zu erwarten. Galizien nannte
man in der Presse „Spionageparadies”. Als die Deutschen be-
züglich einer beschränkten Modernisierung des Waffenarsenals
Forderungen stellten, hatten sie Recht. Und seitens Prohászka
war die Kritik mit dem Missverständnis der Lage identisch.
Der Episkopat tanzte jedenfalls auf der Messerspitze: Viele Ten-
denzen, Meinungen, Bestrebungen unter einen gemeinsamen
Nenner zu bringen, galt als keine leichte Aufgabe. Nach dem
Zeugnis von Prohászkas Tagebuch begleitete der Bischof von
Stuhlweißenburg dieses Ringen mit den umliegenden politischen
Faktoren und Ebenen mit stoischer Ruhe und mit bitterem Hu-
mor, außerdem mit nicht milder Verachtung. „Nun also, ich bin
kein Politiker, aber ich genieße diese Winkelzüge, die in den Un-
terhandlungen, in den Abweichungen unter den Parteien hin und
her liefen, was sich später in der Anbiederung an die mehrheit-
lichen »Dungos« fortsetzte. Viel ehrlicher ist der auf der Straße
arbeitende Steinbrecher oder auch der allerletzte Lohnarbeiter!”
Und gingen die Abordnungen unter der Leitung von Csernoch
und Glattfelder einmal hier, einmal da; der Primas saß zu Hause
und Csernoch sah klar, dass sich hier die Orientierung nur nach
dem Sacratissima Maiestas ziemt.”
Also man richtete sich nach dem Wiener Machtzentrum: Franz
Joseph, dem gemeinsamen Außenministerium, an dessen Spit-
ze in diesem Jahr der Ungarn, István Burián stand. Prohászka
nimmt eine neutrale Haltung in den Konflikten zwischen der Re-
gierungspartei und den Oppositionellen ein. In der Abstimmung
im Herrenhaus im Juli 1911 saß er auch zu Hause und nahm
keine Partei für oder gegen. (Als Diözesanbischof von Székesfe-
hérvár war seine Herrenhausmitgliedschaft automatisch.) Einige
aus den Reihen der Opposition versuchten ihn zu überreden an
der Abstimmung teilzunehmen – ohne Erfolg. Der Ministerpräsi-
dent István Tisza riet ihm an der Sitzung nicht teilzunehmen oder
nicht abzustimmen – mit Erfolg. Aber er wäre sowieso zu Hause
geblieben. Danach kam das andere Ego in Gang: „Ich habe ein-
gesehen, ich habe nicht richtig getan, dass ich schwieg. Wenn
man Herrenhausmitglied ist, muss man reden, wenn man reden
muss, oder man muss kein Herrenhausmitglied sein.”
Im Laufe seines ganzen Lebens quälte ihn der Argwohn, dass er
einmal infolge der Notwendigkeiten der amtlichen Pflichten am
Charakter Verluste erleidet. Die Charakterlosigkeit hielt er für viel
schädlicher als die Gefahr der Unterbrechung seiner Karriere. Er
beobachtete und analysierte gleichzeitig die Veränderungen sei-
ner politischen Attitüde zwischen zwei oder mehreren Zeitpunk-
ten und hatte Angst, dass diese Attitüde infolge seiner Arbeit als
Seelsorger und insbesondere als Quasi-Politiker zu große Ver-
schiedenheiten aufweist: Er könnte ein anderer Mensch werden,
was er aber nicht gerne akzeptieren würde. Der amerikanische
Soziologe, Gregory B. Markus schreibt: „Die Vertrautheit mit der
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