SB: Seit einigen Jahren verbringe ich das letzte Juniwo-
chenende auf einem Pressburger Festival zusammen mit
einem Freundeskreis. Dessen Mitglieder stammen aus dem
Landkreis Schelle/Šaľa/Vágsellye, Slowaken und Madjaren
gleichermaßen. Was mich überrascht hat, ist der Umstand,
dass jeder von ihnen mehr oder weniger ungarisch spricht.
Inwiefern spiegelt es heutzutage die Realität wider und wel-
che Tendenzen lassen sich auf dem Gebiet der Mehrspra-
chigkeit beobachten?
ZSL: Die Mischehen haben meiner Meinung nach zwei Typen.
Der eine ist die klassische Mischehe, worunter ich eine slowa-
kisch-madjarisch oder madjarisch-slowakische Ehe verstehe, in
der der slowakische Partner keine madjarischen Vorfahren hat,
wir könnten sagen, ein Urslowake. Diese Slowaken sprechen in
der Regel kein Ungarisch. Den anderen Typ von Mischehe nen-
ne ich mehrfache Mischehe. In diesem Fall hat der slowakische
Partner madjarische Vorfahren. Er selbst ist auch in einer Misch-
ehe geboren – womöglich im klassischen Sinne oder in dem der
mehrfachen Mischehe –, aber nicht selten sind beide Eltern Ma-
djaren. Ein Teil dieser Slowaken kann mehr oder weniger Unga-
risch und ist bereit in bestimmten Situationen auch ungarisch zu
sprechen. Das habe ich mehrfach erfahren, zuletzt im Sommer,
auf einer organisierten Reise in Sizilien. Wir waren etwa 20 Per-
sonen. Nur mein Mann und ich sprachen ungarisch, aber als wir
uns etwas nähergekommen sind, fing die Hälfte der Reisegrup-
pe an, ungarisch zu sprechen. Wenn nicht anders, dann in der
Gestalt, dass sie ein-zwei Wörter auf Ungarisch gesagt haben,
gleich hinzufügend, dass sie mit der Oma noch ungarisch ge-
sprochen haben, aber dass es lange her sei und sie sich nur an
diese Wörter erinnern würden. Und das waren nicht nur Men-
schen aus der Südslowakei! Es gibt also sowas, aber ich würde
es nicht Mehrsprachigkeit nennen, weil es unwahrscheinlich ist,
dass diese Menschen in jeder Situation bereit wären, ungarisch
zu sprechen, weil es eine Art Gemeinschaft mit den Madjaren be-
deuten könnte; ich habe auch solche getroffen, die sich schäm-
ten, dass sie nur schlecht oder nur auf Küchensprachniveau
ungarisch sprachen. Im Übrigen sind auch die Madjaren nicht
jederzeit bereit ungarisch zu sprechen: 20% der Befragten der
genannten Umfrage sind der Meinung, dass man nur dann zum
Madjarentum stehen sollte, wenn man sich nicht bedroht fühlt,
7% nur dann, wenn es einem gerade passe, 1% lediglich dann,
wenn daraus Vorteile erwachsen. Aber ungarisch zu sprechen
ist ein Zeichen dafür, dass man sich offen zum Madjarentum be-
kennt.
SB: Der Fall Malina sorgte in Ungarn für viel Wirbel und
scheint immer noch nicht zu einem Ruhepunkt gelangt zu
sein. Wie würden Sie das slowakisch-madjarische Zusam-
menleben charakterisieren in der Slowakei des Jahres 2019?
ZSL: Endlich wurde dieser Ruhepunkt erreicht, denn Oktober
2018 hat die Staatsanwaltschaft in Raab das Verfahren einge-
stellt, denn anhand der Indizien sind sie dazu gekommen, dass
Hedvig Malina keine Straftat begangen hat. Das slowakisch-ma-
djarische Zusammenleben hat mehrere Ebenen. Wenn ich auf
meine bisherige Forschungstätigkeit zurückblicke, dann stellte
es sich stets heraus, dass die Mehrheit der Madjaren dieses Zu-
sammenleben in ihrem persönlichen Lebensumfeld für unproble-
matisch hält und je höher man kommt, desto problematischer wird
dieses Zusammenleben eingeschätzt. Zurzeit werden die madja-
rischen Interessen auf höchster Ebene vertreten, denn die Partei
Most-Híd ist Koalitionspartei in der slowakischen Regierung. Ein
Teil der Madjaren findet es gut, ein Teil nicht bzw. ein Teil ist der
Meinung, dass Híd kein richtiges Interessensvertretungsorgan
ist, denn sie sei keine madjarische, sondern eine Mischpartei.
Jedoch wird von den Menschen das slowakisch-madjarische Zu-
sammenleben vordergründig in ihrem Lebensumfeld, am Wohn-
ort, in den ethnisch gemischten Städten und Dörfern der Slowa-
kei erfahren. Laut Umfrage ist etwa die Hälfte der beliebtesten
Personen, Freunde und Nachbarn Madjare. Unter den einfluss-
SoNNTAGSBLATT
reichsten Menschen, Kommunalvertretern, dem Führungsper-
sonal in den Firmen, den Kollegen und Geschäftspartnern sinkt
der Anteil der Madjaren auf unter 50%. Das überwiegend slowa-
kische oder ganz slowakische Umfeld beschränkt sich auf die
Welt der Arbeit, auch hier allen voran auf die Geschäftspartner,
unter denen jeder Vierte überwiegend slowakisch, zu 8,5 slowa-
kisch ist. Ein Drittel der Chefs sind eher Slowaken oder Slowaken
und dies gilt für fast ein Viertel der Kollegen. Und wie ist dieses
Zusammenleben? Seitens der Madjaren: 7% erachten dies als
schlecht, die anderen finden das Verhältnis gut. Das kann man
auch daran ablesen, dass sich die Mehrzahl der slowakischen
Neuzugezogenen in den madjarischen Gebieten sehr schnell
heimisch fühlt.
SB: Beim Erhalt der Identität spielt die Schule eine Schlüs-
selrolle, wie Sie in Ihrem Buch „A szlovákiai magyarok szo-
ciológiája” (Soziologie der Madjaren in der Slowakei) auch
betonen. Welche Veränderungen gab es seit der Wende im
slowakeimadjarischen Bildungssystem?
ZSL: Ein slowakeimadjarisches Bildungssystem im Sinne eines
eigenständigen Systems innerhalb des slowakischen Bildungs-
systems gibt es nicht. Die Experten sprechen eher von madja-
rischen/ungarischen Bildungs- und Erziehungsanstalten in der
Slowakei. Unter diesen versteht man Institutionen teilweise oder
ganz ungarischer Unterrichtssprache vom Kindergarten bis zur
Universität. Ich bin keine Bildungsfachfrau, deswegen kann ich
auf die Frage nicht ausreichend antworten, deswegen versuche
ich es gar nicht. Aber ich will erneut betonen, dass es ohne unga-
rische Grundschulen keine madjarische Identität gibt. Aus den
Umfragen ging hervor, dass es nicht gleichgültig ist, ob in einer
Mischehe der madjarische Part eine ungarische oder slowaki-
sche Schule besucht hat, denn wenn er eine ungarische Schule
besucht hat, dann ist die Chance größer, dass das Kind vielleicht
Madjare wird. Wenn einer der Partner in einer homogen madjari-
schen Familie allerdings eine slowakischen Schule besucht hat,
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind in die slowakische
Richtung gelenkt wird. Damit ist sich übrigens die Mehrheit der
Eltern im Klaren.
Trotzdem – oder gerade deswegen – gibt es madjarische El-
tern, die für ihr Kind eine slowakische Grundschule wählen und
so sinkt von Generation zu Generation der Anteil der Kinder,
die in ungarischen Schulen eingeschrieben werden. Dies wird
von den Eltern damit begründet, dass die Kinder in den unga-
rischen Schulen das Slowakische nicht erlernen und deswegen
später nicht zurechtkommen würden - dies, obwohl im Grunde
genommen Aufgabe der Grundschulen in erster Linie nicht die
Sprachvermittlung ist, sondern die Übergabe eines Geistes, ei-
ner kulturellen Tradition, einer Kultur. Zu Letzterem gehört natür-
lich auch die Sprache. Also diejenigen Eltern, die ihr Kind auf
eine ungarische Schule schicken, tun das nicht deshalb, damit
das Kind das Slowakische nicht erlernt und später nicht zurecht-
kommt, sondern weil sie es als wichtig erachten, dass es in ihrer
Muttersprache lernt – was, um Comenius zu zitieren, die beste
Alternative ist –, sich der ungarischen Kultur zugehörig fühlt und
hinsichtlich Nationalität und Kultur nicht wurzellos wird. Gleich-
zeitig wünschen sie sich auch, dass das Kind auch das Slowa-
kische erlernt. In der slowakischen Schule hingegen eignet es
sich neben der slowakischen Sprache auch den slowakischen
Geist sowie Kultur und – leider - zum Teil eine gewisse Mad-
jarenfeindlichkeit an, in deren Folge es in der Regel auch kein
Madjare bleiben will. Die ungarische Grundschule erzieht nach
meinen Erfahrungen nicht zur Slowakenfeindlichkeit und bringt
Slowakisch auf einem gewissen Niveau bei beziehungsweise
könnte es noch besser vermitteln, wenn die madjarischen Kinder
das Slowakische von Grund auf lernen würden - genauso, wie
sie und auch die slowakischen Kinder Englisch und Deutsch ler-
nen. Deshalb bitten madjarische Lehrer, Bildungsexperten und
Eltern schon lange darum, dass man in den ungarischen Schu-
(Fortsetzung auf Seite 24)
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