alition (MKP), der andere als der von Brücke (Most-Híd) an.
Wie nahm die slowakeimadjarische und slowakische Öffent-
lichkeit diese doppelte Nominierung auf (das Interview wur-
de vor den slowakischen Präsidentschaftswahlen im März
geführt, R. G.)?
ZSL: In der Tat, es gibt zwei madjarische Kandidaten, noch dazu
zwei Parteivorsitzende. Seitens der MKP geht József Meny-
hárt, der mitterweie zurückgetreten ist (R.G.) seitens Most-Híd
Béla Bugár ins Rennen. Die MKP hatte in der Person von Gyula
Bárdos früher bereits einen Kandidaten, der 2014 5% erreich-
te. Bezüglich der Nominierungen gab es seitens der Madjaren
unterschiedliche Reaktionen. Einige sagen, dass man einen ge-
meinsamen Kandidaten hätte nominieren sollen, um zu zeigen,
dass es wenigstens in einer Sache eine Art Zusammenschluss
zwischen beiden Parten gibt. Natürlich haben beide Kandidaten
Sympathisanten und Gegner, aber keiner glaubt wirklich daran,
dass die Slowakei einen madjarischen Präsidenten bekommt,
obwohl es bereits einen Nationalitätenpräsidenten gab, denn
Rudolf Schuster entstammt angeblich der karpatendeutschen
Gemeinschaft (aber Herkunft und Nationalität sind zwei Paar
Schuhe und Schuster ist offiziell slowakischer Nationalität). Ein
interessantes Zwischenspiel stellte eine Wortmeldung von Pál
Csáky MdEP dar, der sagte, dass ein anständiger Madjare nicht
für Bugár stimmen könne. Im Übrigen würde nach einer Janu-
ar-Umfrage Bugár 10,5%, Menyhárt 1,5% bekommen. Unter den
16 Kandidaten stünde demnach Bugár auf Platz 5, Menyhárt
Kopf an Kopf mit einem anderen Kandidaten auf Platz 11.
SB: Als Forscherin beschäftigen Sie sich in erster Linie mit
der Soziologie der Slowakeimadjaren. Die Volkszählungen
nach der Wende zeigen, dass die Madjaren kontinuierlich an
Terrain verlieren: Die Zahl der Madjaren betrug 1991 567.000,
zwanzig Jahre später gut 100 000 weniger. Welche Gründe
und Tendenzen stehen hinter den nackten Zahlen?
ZSL: Der Rückgang ist durch das Zusammenwirken von vier
Faktoren zu erklären. Diese sind die unbekannte Nationalität, der
natürliche Bevölkerungsrückgang, die verdeckte Migration und
die Assimilierung. Es gab 2011 382 493 Menschen unbekann-
ter Nationalität, also Bürger, die aus unterschiedlichen Grün-
den ihre Nationalität nicht angegeben haben, das entspricht 7%
der Bevölkerung. Wahrscheinlich gibt es auch Madjaren unter
ihnen, jedoch ist das Verschweigen der Nationalität nicht mad-
jarenspezifisch, denn demografische Kalkulationen zeigen, je
mehr Madjaren in einer Gemeinde leben, desto kleiner ist die
Zahl der Menschen unbekannter Nationalität. Bei der verdeckten
Migration geht es um Menschen, die slowakische Staatsbürger
unterschiedlicher Nationalität sind und aus welchem Grund auch
immer kürzere oder längere Zeit im Ausland verbringen; aber
da ihre Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben wird, hat ihr Aus-
landsaufenthalt statistisch keine Spuren. Laut des Slowakischen
Landesamtes für Statistik arbeiteten im dritten Quartal von 2018
139 000 slowakische Staatsbürger im Ausland, aber wir wissen
nicht, wer unter ihnen madjarischer Nationalität ist. Von einem
natürlichen Bevölkerungsrückgang sprechen wir dann, wenn
es weniger Geburten als Sterbefälle gibt. Dies betrifft die Slo-
wakeimadjaren im besonderen Maße, da die Reproduktion um
15-20 % unter dem Landesdurchschnitt liegt. Das liegt an der ge-
ringen Geburtenrate. Die Slowakeimadjaren können sich weder
biologisch noch ethnisch in genügendem Maße reproduzieren.
Bei der biologischen Reproduktion geht es darum, dass eine ma-
djarische Mutter ein Kind bekommt. Bei der ethnischen, dass sie
ein madjarisches Kind bekommt. Keine ist ausreichend. Und so
sind wir beim letzten Faktor angekommen, bei der Assimilierung,
deren Prozess sich kaum von der Vergangenheit trennen lässt,
nur in deren Kontext zu verstehen ist, in dessen Folge sich ein
Teil der Menschen madjarischer Nationalität veranlasst fühlt, zu-
erst den Slowaken zu ähneln und dann zunehmend slowakisch
zu werden. Nach Berechnung des Demografen László Gyurgyík
tragen die unbekannte Nationalität mit 10%, die verdeckte Migra-
22
tion mit 4%, der natürliche Rückgang mit 26% und die Assimilie-
rung mit 60% dem Rückgang der Zahl der Madjaren bei. Grund
Nummer 1 für den Rückgang ist die Assimilierung.
SB: In Ungarn ist die Zahl der Mischehen in jeder Minderhei-
tengemeinschaft hoch. Wie charakteristisch ist sie im Krei-
se der Slowakeimadjaren und welche Konsequenzen hat sie
hinsichtlich der Identität der Kinder, die in solchen Bezie-
hungen aufwachsen?
ZSL: Das trifft auch auf die Slowakeimadjaren zu. Der Anteil der
Mischehen steigt von Generation zu Generation und wie alle so-
ziologischen Untersuchungen der vergangenen 20-25 Jahre zei-
gen, ist die Mehrheit der Kinder, die in einer madjarisch-slowaki-
schen Familie geboren wurden, slowakischer Nationalität. Da ich
über Slowakeimadjaren forsche, kann ich keine Angaben dazu
machen, wie sich die nationale Identität der Menschen slowaki-
scher Nationalität entwickelt. Jedoch hat der Zustand der natio-
nalen Identität vier Schlüsselfaktoren, und wie sich die nationale
Identität entwickeln wird, hängt vordergründig davon ab, welche
Entscheidungen auf diesen Gebieten jeweils getroffen werden
und wie sich die daraus ergebenden Lebenssituationen kombi-
nieren.
Der erste Faktor ist die Herkunft. Die Entscheidungsfragen hier-
bei lauten, welcher Nationalität das Kind wird, ob es die Nationa-
lität der Eltern weiterträgt beziehungsweise - wenn es sich um
Eltern unterschiedlicher Nationalität handelt - wessen Nationali-
tät es annimmt.
Der zweite Faktor ist die Unterrichtssprache in der Grundschule.
Wenn das Kind in einer slowakischen Grundschule eingeschrie-
ben wird, stärkt das die slowakische Identität. Wohlgemerkt wer-
den die Kinder slowakischer Nationalität auf slowakische Schu-
len geschickt, auch dann, wenn ein Elternteil Madjare ist; es gibt
sogar madjarische Paare, deren madjarische Kinder die slowa-
kische Schule besuchen. Dadurch wird die madjarische Identität
des madjarischen Kindes geschwächt und noch mehr, so Unter-
suchungsergebnisse, auch die madjarische Identität der Eltern
und oft der Großeltern wird schwächer, da das Kind, das eine
slowakische Schule besucht, oft auch zu Hause nicht mehr bereit
ist, ungarisch zu sprechen und die ganze Familie passt sich ihm
an, wodurch auf Generationen zurück die madjarische Identität
geschwächt wird.
Denn der dritte Faktor ist die Muttersprache. „In ihrer Sprache
lebt die Nation” scheint eine Phrase zu sein, aber entspricht auch
der Realität. Die Sprache und im Zusammenhang damit die Iden-
tität können nur dann existieren, wenn man die Sprache verwen-
det und zwar zu Hause, in der Schule, in der Öffentlichkeit, im
Wort und virtuell.
Der vierte Faktor ist die Nationalität des Ehepartners/Lebensge-
fährten. Wie schon erwähnt beeinflusst der Umstand, ob jemand
in einer ethnisch homogenen oder in einer Mischbeziehung lebt,
in besonderem Maße die Entwicklung der nationalen und Natio-
nalitätenidentität des erwarteten Kindes und der ganzen Familie.
Und so sind wir zum Anfang des Prozesses zurückgekehrt.
Als interessantes Detail möchte ich einige Daten aus der jüngs-
ten repräsentativen Umfrage des Fórum-Insituts, die Sommer
2018 im Kreise von 800 slowakeimadjarischen Erwachsenen
durchgeführt wurde, nennen: 73% der Befragten halten es für
wichtig, dass man Madjare bleibt, 72%, dass es in einer madja-
risch bewohnten Gemeinde eine ungarische Schule gibt, 69%,
dass auch ihre Kinder Madjaren bleiben, 63%, dass ihre Kinder
die madjarische Grundschule besuchen. Im Gegenzug halten es
lediglich 39% für sehr wichtig, dass die madjarischen Jugend-
lichen madjarische Partner haben.
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