Sonntagsblatt 1/2019 | Page 12

deutsche Muttersprache unserer Vorfahren kennen lernen” wirk- lich nur ein Kennenlernen der Sprache bleiben, ohne diese aktiv oder gar als (zweite) Muttersprache zu beherrschen. davon auszugehen, dass unter den Muttersprachlern diejenigen, die aus dem deutschsprachigen Ausland zugezogen sind, einen immer größeren Anteil ausmachen. Es stellt sich bei ihnen die Frage, inwiefern sie sich als Teil der deutschen Minderheit/Na- tionalität betrachten (selbst unter objektiven Gesichtspunkten ist ihre Zugehörigkeit als „Nichtautochtone” fraglich). Es gibt natür- lich solche, die ungarndeutsche Ehepartner haben und sich auch sonst für die deutsche Nationalität in Ungarn einsetzen. Mikrozensus 2016: 30 000 Menschen weniger bekennen sich zur deutschen Volkszugehörigkeit! Leider ist eine gebietsbezogene Ableitung nur für eine größere Zahl verfügbar, aber auch so spiegelt sie sehr gut wider, dass sich der Rückgang vor allem in den historischen Siedlungsge- bieten vollzogen hat. Während dessen gab es eine große Stei- gerung in den Komitaten, wo normalerweise kaum Deutsche le- ben. Es kann dafür zwei Gründe geben: Zum einen, dass viele Deutsche aus der Tolnau/Tolna in das Komitat Jazygien-Großku- manien-Sollnock umgezogen sind oder, und das scheint realisti- scher zu sein, dass die Zahl der Ungarndeutschen abnimmt und die Zahl solcher, die in einem engeren Kontakt zur deutschen Sprache stehen, steigt. Also, man kann mit 90% Sicherheit sa- gen, dass man die Tendenzen der letzten Jahrzehnte nicht um- kehren konnte: Die Ungarndeutschen werden immer weniger, kulturelle Autonomie und eigenes Schulsystem (mit ihren Män- geln), minderheitenfreundliche Landespolitik hin oder her. Die große Überraschung bei den Zahlen von 2011 war nur ein Vor- hang, hinter den man die wahre Situation verstecken konnte. Und so denken wir an eine Zahl, was weit weg von der Realität ist. 186 000 Deutsche in Ungarn? Lieber rund 100 000… Von Patrik Schwarcz-Kiefer In dieser Artikelreihe werden wir die Ergebnisse des 2016 durch- geführten Mikrozensus vorstellen. Die Erhebung wurde vom Sta- tistischen Landesamt (KSH) unter 10 % der Gesamtbevölkerung durchgeführt. Deswegen kann man sicherlich nur von Tendenzen sprechen. Die letzte Volkszählung fand in Ungarn 2011 statt, die wegen der veränderten Methodik einen großen Durchbruch bei der Anzahl der Angehörigen verschiedener Minderheiten brachte. Damals gab es 185 898 Angehörige der deutschen Nationalität (dies wird als offizielle Zahl überall angegeben, obwohl sie nicht die wahre Stärke widerspiegelt) und 131 951 davon bekannten sich zur deutschen Nationalität (das ist eine realistischere Zahl). Wieso ist die größere Zahl unrealistisch? Es ist wichtig, dass man auf den Unterschied zwischen der Kategorie „Angehörige/r der deutschen Nationalität“ (ung. német nemzetiséghez tartozó) und der Kategorie “sich zur deutschen Nationalität Bekennende/r” (ung. magát német nemzetiségűnek valló) achtet. Zur ersten, größeren Gruppe gehören auch diejenigen, die Deutsch als „Muttersprache“ und „Im Freundes- und Familienkreis benutzte Sprache“ an- gegeben haben und in diese Gruppe (passiv) von KSH ein- geteilt wurden, also potenziell Bundesdeutsche, madjarische Arbeitnehmer im Ausland, die in ihrem Freundeskreis auch deutsch sprechen, oder solche, die in der Schule Deutsch als Fremdsprache gelernt haben und die Sprache benutzen (das Landesamt für Statistik weist darauf auch ausdrücklich hin). Währenddessen steht hinter der kleineren Zahl, der Zahl der „sich zur deutschen Nationalität Bekennenden“, eine aktive Erklärung: Die Befragten haben bei den Fragen „Welcher Na- tionalität fühlen Sie sich zugehörig?“ oder „Neben der zuvor Angegebenen gehören Sie auch einer anderen Nationalität an?“ Deutsch angegeben, wobei Letzteres die Möglichkeit der Mehrfachnennung („doppelte Identität”) eröffnete. 2016 brachte für die Ungarndeutschen einen deutlichen Rück- gang bei der Zahl sowohl der Angehörigen als auch der Be- kenner. Die Zahl der „Angehörigen der deutschen Nationalität“ ist um rund 7000 gesunken, 2016 gab es davon 178 837. Wie in der Infobox erklärt wird, spiegelt diese Statistik die Wahrheit nicht wider. Die bedeutungsvollere Zahl, die Zahl der „sich zur deutschen Nationalität Bekennenden“ ist um 23%, auf 101 662 gesunken. Anders formuliert: In Ungarn leben, laut Mikorzen- sus 2016, etwa 102 000 Bürgerinnen und Bürger, die sich zum Deutschtum bekennen (unter ihnen sicherlich auch Menschen bundesdeutscher Herkunft). Die restlichen 77 000 werden auf- grund anderer Merkmale (Muttersprache und Sprachgebrauch) zu den Deutschen gezählt. Es ist absurd, dass das KSH solche für Angehörige der deutschen Nationalität hält, die die Sprache im Freundeskreis benutzen, auch wenn dies naturgemäß durch- aus als Indiz einer Verbundenheit gewertet werden kann. Bei der Muttersprache ist anzumerken, dass dies durchaus ein Merkmal der Zugehörigkeit zum ungarländischen Deutschtum sein kann, aber angesichts der Sprachsituation im Kreise der Ungarndeut- schen (die Generation der Muttersprachler stirbt langsam aus, die Wiedererlangung der verlorenen (Groß-)Muttersprache be- trifft nur eine kleine Gruppe von meist Akademikerfamilien) ist 12 Schatten der Vergangenheit Debatte um Volkszählung 2021 Von Richard Guth Trotz Bedenken seitens der Landesselbstverwaltung der Un- garndeutschen (LdU) verabschiedete das Ungarische Parlament am 12. Dezember 2018 – nebst anderer umstrittener Gesetze wie die über die Gründung von Verwaltungsgerichten und der Ausweitung der Mehrarbeit auf 400 Stunden im Jahr, was lan- desweit zu einer seit langem nicht erlebten Protestwelle führte – das Gesetz 101/2018 über die Durchführung der kommenden Volkszählung im Jahre 2021, das am 18. Dezember auch in Kraft getreten ist. Zwei Tage vor der Abstimmung erschien auf zent- rum.hu eine Pressemitteilung der LdU, in der auf die Beschlüsse in der Dezember-Sitzung der LdU-Vollversammlung Bezug ge- nommen wird: „Die Vollversammlung knüpfte auch an die, von der Regierung bereits diskutierte und gebilligte Gesetzesvorlage an: Laut dieser müsse man bei der Volkszählung 2021 Vor- und Familiennamen angeben. Die LdU sei besorgt, weil diese Infor- mationen anschließend mit weiteren Datenbanken verglichen werden können und weil man dadurch theoretisch auch an be- stimmte sensible Angaben herankommen kann.“ - „Wir halten das für überaus problematisch! Wenn wir davon ausgehen, dass die Volkszählung immer noch das herkömmliche Ziel des Erstel- lens von Statistiken verfolgt, darf es keine Interessen geben, die wichtiger sind als die Anonymität“, räumte Olivia Schubert, die Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, ein. „Wir dürfen die bei den Ungarndeutschen immer noch vor- handene Angst, die die ominöse Volkszählung im Jahre 1941 verursachte, nicht vergessen: Das Resultat jener Erhebung war nämlich im Falle von Hunderttausenden die Enteignung und die Vertreibung. Wenn diese Gesetzesvorlage nicht schleunigst mo- difiziert wird, müssen wir uns darum Sorgen machen, dass es sehr viele Ungarndeutsche geben wird, die davon nicht über- zeugt werden können, sich zu unserer Nationalität zu bekennen. SoNNTAGSBLATT