Dies würde natürlich unsere ungarndeutsche Gemeinschaft be-
deutend schwächen. Darum bat die Vollversammlung unseren
Abgeordneten Emmerich Ritter darum, im Parlament auch dies-
bezüglich unsere Interessen zu vertreten.“ Das Parlament ver-
abschiedete zwei Tage später die vom stellvertretenden Minister-
präsidenten Zsolt Semjén gezeichnete Gesetzesvorlage mit der
umstrittenen Passage der Erfassung von Namen und Vornamen.
Auf Anfrage des Nachrichtenportals index.hu wies das Statisti-
sche Landesamt (KSH) darauf hin, dass diese eine in den übri-
gen EU-Staaten gängige Praxis sei, und sagte, dass man in der
Vergangenheit bis auf die Volkszählungen von 2001 und 2011
auch dieser Praxis gefolgt wäre. Das Gesetz schreibt daten-
schutzrechtliche Mechanismen vor, die in der Praxis bedeuten
sollen, dass die Daten sofort nach der Online-Erfassung automa-
tisch pseudonymisiert würden und eine Verbindung mit anderen
Daten nur bis zum Abschluss des Auswertungsprozesses mög-
lich sein dürften. Bezüglich der übrigens freiwilligen Angaben zu
Nationalität und Religion schreibt das Gesetz vor, dass es eine
Verbindung zum Namen und Vornamen des Erfassten aufgrund
der Pseudonymisierung nicht zustande kommen darf.
Das Landesamt für Statistik, die Vorbehalte ahnend, führte nach
eigenen Angaben im Sommer 2018 eine Meinungsumfrage
durch: Laut KSH hätten 83 % der Befragten Zustimmung zur An-
gabe des Namens geäußert – unter den restlichen 17 % könnten
sich auch Minderheitenangehörige, womöglich in großer Zahl,
befinden, aber das Ergebnis scheint dennoch überzeugend zu
sein, obwohl Datenschutz heutzutage ein heiß diskutiertes The-
ma ist: So führten neulich Pläne der Regierung, sämtliche Video-
überwachungsdaten zentral zu sammeln, für Diskussionen in der
Öffentlichkeit – es finden übrigens nicht nur in Ungarn solche
und ähnliche Big Brother-Diskurse statt. In Deutschland wurde
sie unter dem Begriff „gläserner Bürger” bekannt, was auch die
Pläne der Regierenden betrifft, nämlich auf Internet- und andere
Kommunikationsdaten der Bürger stärker zuzugreifen.
Die LdU-Argumentation geht erstmal in eine andere Richtung:
Die historischen Erfahrungen mit der Vorvertreibungsvolkszäh-
lung von 1941 würden einige, wenn nicht viele davon abhalten,
sich unter Namensnennung zum Deutschtum (und/oder zur
deutschen (Mutter)Sprache) zu bekennen. Durchaus berech-
tigte Befürchtungen, wenn ich daran denke, dass ich Mitte der
1990er Jahre, also 50 Jahre nach der Vertreibung, auf verstei-
nerte Minen stieß, als ich in Schaumar ältere Damen, die ich in
Volkstracht fotografierte, um ihren Namen und ihre Adresse bat,
damit ich ihnen einen Abzug der Aufnahmen zukommen lassen
konnte. Ob diese Angst die Nachkriegsgenerationen, die ja aus
Altersgründen mittlerweile die größte Gruppe unter den Beken-
ner-Deutschen stellen, prägt, bleibt dahingestellt. Ich persönlich
sehe die fehlende Vollanonymität im Kreise anderer Nationali-
täten wie der Roma oder der Rumänen (am Vorabend des Tria-
non-Jubiläums) viel problematischer, denken wir an die ohnehin
großen Vorbehalte in der ungarischen bzw. ungarländischen Be-
völkerung gegenüber den Roma – übrigens auch im Kreise ihrer
„Minderheitenschicksalsgenossen”, der Deutschen in Ungarn.
Das Statistische Landesamt beteuert, diese sensiblen Daten
unter Einhaltung sämtlicher Datenschutzregelungen zu nutzen,
wie es in einem Rechtsstaat üblich ist; angesichts fragwürdiger
Rechtspraktiken in den letzten Jahren zweifeln aber in Ungarn
viele an der Existenz rechtsstaatlicher Strukturen. Diese Dis-
kussion (übrigens werden Volkszählungen auch in Deutschland
seit Jahrzehnten zivilgesellschaftlich hinterfragt) zeigt – so mein
Eindruck - eher unsere - auch wenn unbewusste - gestiegene
Sensibilität in puncto Datenschutz, gerade in einer vernetzten
Welt, die unüberschaubar geworden ist oder zu sein scheint.
Das digitale Zeitalter mit all seinen Datenschutzskandalen in der
jüngsten Vergangenheit hat unser Gefühl der Unsicherheit nur
verstärkt. Aber womöglich ist es auch ein Gefühl des Unbeha-
gens einem Staat gegenüber, der in Zeiten einer weitgehenden
Atomisierung der Gesellschaft unter Verwendung der Errungen-
schaften des technischen Zeitalters um Deutungshoheit ringt. Je
nach Stärke und Schwäche der Zivilgesellschaft sind Mittel und
SoNNTAGSBLATT
Erfolgsaussichten unterschiedlich. Gerade im persönlichen Be-
reich des Bürgers bedürfte es aber mehr Sensibilität und Dialogs
auf beiden Seiten. Damit die Schatten der Vergangenheit nicht
Herr über uns werden.
Unsere Aufgabe: Unterstützen statt
Korrigieren
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
In dem ersten Teil dieser Artikelreihe habe ich mich um die Ein-
führung in die Problematik der gemeinschaftlichen Erwartung
des Sprachperfektionismus gekümmert. Jetzt möchte ich die-
ses Thema vertiefen und diejenigen überzeugen, sich anders
zu verhalten, die über bessere Sprachkenntnisse verfügen.
Wenn jemand in dem ungarndeutschen Bereich sich die Kraft
und den Mut nimmt auf Deutsch zu kommunizieren, kommt im-
mer jemand, der die Sprache besser beherrscht. Oft wird diese
Person jeden Satz, jedes falsch konjugierte Wort ausbessern,
korrigieren. Sie denkt, dass das eine Hilfe für die Zukunft sei und
es fällt ihr dabei überhaupt nicht ein, dass er das Selbstbewusst-
sein der korrigierten Person zugrunderichtet. Es gibt einige, die
nach solchen Fällen weiterhin die deutsche Sprache benutzen.
Aber es gibt solche, die nach solchen Erfahrungen Angst vor der
Sprache, besser gesagt vor der kommenden Demütigung haben.
Deswegen bleiben sie still oder kommunizieren auf Ungarisch.
Wie in einem Artikel des Sonntagsblattes treffend geschrieben
wurde: In unserer Gesellschaft habe man Angst vor der Zuhö-
rerschaft, vor der offenen Kommunikation. Das geschieht in der
eigenen Muttersprache auch und wenn es um eine Fremdspra-
che geht, wozu leider Deutsch für die Mehrheit der Ungarndeut-
schen geworden ist, ist die Situation noch schlimmer. Deswegen
braucht man Unterstützung.
Die Menschen sind egoistisch. Deshalb hat man das Gefühl, dass
man durch die Korrektur beweisen kann, dass man doch besser
als die anderen sei. Der kleine Teufel arbeitet in uns allen. Aber
wenn uns die Situation der deutschen Sprache und dadurch die
Zukunft der Ungarndeutschen am Herzen liegen, müssen alle
diesen inneren Schweinehund besiegen. Wir müssen alle, die
nur ein bisschen Deutsch können, zur Verwendung der Sprache
motivieren und sie nicht immer korrigieren. Es bringt nämlich nix,
man vergisst es in einigen Minuten. Was aber nicht vergessen
wird, ist die peinliche Situation, als allen bewiesen wurde, dass
der Betroffene Deutsch nicht gut genug beherrsche. An dieser
Stelle bitte ich alle darum, die sich in diesem Text wiedererkannt
haben, als Unterstützer zu wirken. Und nicht als Korrektoren.
Verkehrte Welt
Banater Madjare trifft auf ungarländische Schwaben
Von Richard Guth
„Ich verstehe nur eine Sache nicht, lieber Bewohner deutscher
Volkszugehörigkeit, nein, nicht so, eher Bewohner von (…), der
sich der deutschen Gemeinschaft zugehörig fühlt (im Internet
schrieb man es so), warum sprechen Sie nicht ihre Mutterspra-
che? Ich wohne seit zwei Jahren hier und habe noch kein einziges
Wort Deutsch gehört. Ich hielt mich in den Pausen sogar unter
den Schülern des hiesigen deutschen Gymnasiums auf und alle
sprachen ungarisch. Ich habe in Temeswar das ungarische Gym-
(Fortsetzung auf Seite 14)
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