deutsche Muttersprache unserer Vorfahren kennen lernen” wirk-
lich nur ein Kennenlernen der Sprache bleiben, ohne diese aktiv
oder gar als (zweite) Muttersprache zu beherrschen. davon auszugehen, dass unter den Muttersprachlern diejenigen,
die aus dem deutschsprachigen Ausland zugezogen sind, einen
immer größeren Anteil ausmachen. Es stellt sich bei ihnen die
Frage, inwiefern sie sich als Teil der deutschen Minderheit/Na-
tionalität betrachten (selbst unter objektiven Gesichtspunkten ist
ihre Zugehörigkeit als „Nichtautochtone” fraglich). Es gibt natür-
lich solche, die ungarndeutsche Ehepartner haben und sich auch
sonst für die deutsche Nationalität in Ungarn einsetzen.
Mikrozensus 2016: 30 000 Menschen
weniger bekennen sich zur deutschen
Volkszugehörigkeit! Leider ist eine gebietsbezogene Ableitung nur für eine größere
Zahl verfügbar, aber auch so spiegelt sie sehr gut wider, dass
sich der Rückgang vor allem in den historischen Siedlungsge-
bieten vollzogen hat. Während dessen gab es eine große Stei-
gerung in den Komitaten, wo normalerweise kaum Deutsche le-
ben. Es kann dafür zwei Gründe geben: Zum einen, dass viele
Deutsche aus der Tolnau/Tolna in das Komitat Jazygien-Großku-
manien-Sollnock umgezogen sind oder, und das scheint realisti-
scher zu sein, dass die Zahl der Ungarndeutschen abnimmt und
die Zahl solcher, die in einem engeren Kontakt zur deutschen
Sprache stehen, steigt. Also, man kann mit 90% Sicherheit sa-
gen, dass man die Tendenzen der letzten Jahrzehnte nicht um-
kehren konnte: Die Ungarndeutschen werden immer weniger,
kulturelle Autonomie und eigenes Schulsystem (mit ihren Män-
geln), minderheitenfreundliche Landespolitik hin oder her. Die
große Überraschung bei den Zahlen von 2011 war nur ein Vor-
hang, hinter den man die wahre Situation verstecken konnte.
Und so denken wir an eine Zahl, was weit weg von der Realität
ist. 186 000 Deutsche in Ungarn? Lieber rund 100 000…
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
In dieser Artikelreihe werden wir die Ergebnisse des 2016 durch-
geführten Mikrozensus vorstellen. Die Erhebung wurde vom Sta-
tistischen Landesamt (KSH) unter 10 % der Gesamtbevölkerung
durchgeführt. Deswegen kann man sicherlich nur von Tendenzen
sprechen. Die letzte Volkszählung fand in Ungarn 2011 statt, die
wegen der veränderten Methodik einen großen Durchbruch bei
der Anzahl der Angehörigen verschiedener Minderheiten brachte.
Damals gab es 185 898 Angehörige der deutschen Nationalität
(dies wird als offizielle Zahl überall angegeben, obwohl sie nicht
die wahre Stärke widerspiegelt) und 131 951 davon bekannten
sich zur deutschen Nationalität (das ist eine realistischere Zahl).
Wieso ist die größere Zahl unrealistisch?
Es ist wichtig, dass man auf den Unterschied zwischen der
Kategorie „Angehörige/r der deutschen Nationalität“ (ung.
német nemzetiséghez tartozó) und der Kategorie “sich zur
deutschen Nationalität Bekennende/r” (ung. magát német
nemzetiségűnek valló) achtet. Zur ersten, größeren Gruppe
gehören auch diejenigen, die Deutsch als „Muttersprache“
und „Im Freundes- und Familienkreis benutzte Sprache“ an-
gegeben haben und in diese Gruppe (passiv) von KSH ein-
geteilt wurden, also potenziell Bundesdeutsche, madjarische
Arbeitnehmer im Ausland, die in ihrem Freundeskreis auch
deutsch sprechen, oder solche, die in der Schule Deutsch als
Fremdsprache gelernt haben und die Sprache benutzen (das
Landesamt für Statistik weist darauf auch ausdrücklich hin).
Währenddessen steht hinter der kleineren Zahl, der Zahl der
„sich zur deutschen Nationalität Bekennenden“, eine aktive
Erklärung: Die Befragten haben bei den Fragen „Welcher Na-
tionalität fühlen Sie sich zugehörig?“ oder „Neben der zuvor
Angegebenen gehören Sie auch einer anderen Nationalität
an?“ Deutsch angegeben, wobei Letzteres die Möglichkeit der
Mehrfachnennung („doppelte Identität”) eröffnete.
2016 brachte für die Ungarndeutschen einen deutlichen Rück-
gang bei der Zahl sowohl der Angehörigen als auch der Be-
kenner. Die Zahl der „Angehörigen der deutschen Nationalität“
ist um rund 7000 gesunken, 2016 gab es davon 178 837. Wie
in der Infobox erklärt wird, spiegelt diese Statistik die Wahrheit
nicht wider. Die bedeutungsvollere Zahl, die Zahl der „sich zur
deutschen Nationalität Bekennenden“ ist um 23%, auf 101 662
gesunken. Anders formuliert: In Ungarn leben, laut Mikorzen-
sus 2016, etwa 102 000 Bürgerinnen und Bürger, die sich zum
Deutschtum bekennen (unter ihnen sicherlich auch Menschen
bundesdeutscher Herkunft). Die restlichen 77 000 werden auf-
grund anderer Merkmale (Muttersprache und Sprachgebrauch)
zu den Deutschen gezählt. Es ist absurd, dass das KSH solche
für Angehörige der deutschen Nationalität hält, die die Sprache
im Freundeskreis benutzen, auch wenn dies naturgemäß durch-
aus als Indiz einer Verbundenheit gewertet werden kann. Bei der
Muttersprache ist anzumerken, dass dies durchaus ein Merkmal
der Zugehörigkeit zum ungarländischen Deutschtum sein kann,
aber angesichts der Sprachsituation im Kreise der Ungarndeut-
schen (die Generation der Muttersprachler stirbt langsam aus,
die Wiedererlangung der verlorenen (Groß-)Muttersprache be-
trifft nur eine kleine Gruppe von meist Akademikerfamilien) ist
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Schatten der Vergangenheit
Debatte um Volkszählung 2021
Von Richard Guth
Trotz Bedenken seitens der Landesselbstverwaltung der Un-
garndeutschen (LdU) verabschiedete das Ungarische Parlament
am 12. Dezember 2018 – nebst anderer umstrittener Gesetze
wie die über die Gründung von Verwaltungsgerichten und der
Ausweitung der Mehrarbeit auf 400 Stunden im Jahr, was lan-
desweit zu einer seit langem nicht erlebten Protestwelle führte
– das Gesetz 101/2018 über die Durchführung der kommenden
Volkszählung im Jahre 2021, das am 18. Dezember auch in Kraft
getreten ist. Zwei Tage vor der Abstimmung erschien auf zent-
rum.hu eine Pressemitteilung der LdU, in der auf die Beschlüsse
in der Dezember-Sitzung der LdU-Vollversammlung Bezug ge-
nommen wird: „Die Vollversammlung knüpfte auch an die, von
der Regierung bereits diskutierte und gebilligte Gesetzesvorlage
an: Laut dieser müsse man bei der Volkszählung 2021 Vor- und
Familiennamen angeben. Die LdU sei besorgt, weil diese Infor-
mationen anschließend mit weiteren Datenbanken verglichen
werden können und weil man dadurch theoretisch auch an be-
stimmte sensible Angaben herankommen kann.“ - „Wir halten
das für überaus problematisch! Wenn wir davon ausgehen, dass
die Volkszählung immer noch das herkömmliche Ziel des Erstel-
lens von Statistiken verfolgt, darf es keine Interessen geben, die
wichtiger sind als die Anonymität“, räumte Olivia Schubert, die
Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen,
ein. „Wir dürfen die bei den Ungarndeutschen immer noch vor-
handene Angst, die die ominöse Volkszählung im Jahre 1941
verursachte, nicht vergessen: Das Resultat jener Erhebung war
nämlich im Falle von Hunderttausenden die Enteignung und die
Vertreibung. Wenn diese Gesetzesvorlage nicht schleunigst mo-
difiziert wird, müssen wir uns darum Sorgen machen, dass es
sehr viele Ungarndeutsche geben wird, die davon nicht über-
zeugt werden können, sich zu unserer Nationalität zu bekennen.
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