Sonntagsblatt 1/2018 | Page 12

Grußwort zum Gedenktag am 20 . Januar 2018 in Stuttgart
Anlässlich des Gedenktages der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen sprach Dr . Kathi Gajdos-Frank , Vorstandsmitglied der LdU und Leiterin des Jakob-Bleyer-Heimatmuseums Wudersch , auf einer Gedenkveranstaltung des Ungarischen Instituts am 20 . Januar in Stuttgart das Grußwort .
Von Dr . Kathi Gajdos-Frank
Meine sehr verehrten Damen und Herren ! Im Namen der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen begrüße ich Sie , Euch alle recht herzlich an diesem Gedenktag . Ich begrüße Herrn Botschafter József Czukor sowie Herrn Ministerialdirektor Julian Würtenberger . Ein herzliches Willkommen auch an Herrn Generalkonsul Berényi und an Herrn Bundesvorsitzenden Ament . Herzlich begrüße ich Frau Sandra Fuchs mit der Kulturgruppe aus Schambek / Zsámbék und Herrn Szabó vom Ungarischen Kulturinstitut . Mit alter Verbundenheit begrüße ich unsere Landsleute aus Bretzfeld und Gerlingen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren ! Die Vertreibung der Ungarndeutschen war in meiner Kindheit ein Tabuthema . Die Ungarndeutschen konnten offiziell zuerst auf der im März 1987 in Budapest veranstalteten Historikerkonferenz über die Vertreibung und über die Frage der Verantwortung hören . Wir wissen , im Potsdamer Abkommen wurden die betroffenen Länder zur Aussiedlung der Deutschen nicht gezwungen , es bot sich jedoch zur Individualbestrafung oder zur kollektiven Beurteilung die Möglichkeit . Ungarn entschied sich im Dezember 1945 für die Kollektivbestrafung .
Und die Vertreibung und Enteignung der Ungarndeutschen dienten auch der Sowjetisierung Ungarns in dem Sinn , dass dem Land ein kollektives System aufgezwungen wurde . Dabei vernichtete man alles , was individuell , was wirtschaftlich oder geistig selbständig war : das Bürgertum , die privaten Unternehmer und die wohlhabenden Bauern . Die ungarndeutschen Landwirte gehörten zu einem großen Teil zu dieser letztgenannten Kategorie , sie standen damit der Durchsetzung kommunistischer Vorstellungen besonders störend im Weg .
Viele Ungarndeutsche , die nach der Vertreibung zurückflüchteten , wurden verhaftet und interniert . Die „ Schwabenfrage ” war also nach der Vertreibung eine Frage der damals schon kommunistischen Staatssicherheit .
Die Erlebnisgeneration versuchte aus Angst die Nachkriegsjahre zu verdrängen . Meine beiden Opas gehörten zu dieser Erlebnisgeneration , sie haben nur zu Hause über die Vertreibung gesprochen . Das Beharren auf die Potsdam-Legende während des Sozialismus hat die Meinung der Menschen stark beeinflusst . Erst die dritte Generation – die der Enkelkinder - kann die Geschichte der Ungarndeutschen ohne Angst und ohne Vorurteile fortsetzen .
2012 legte das Parlament den 19 . Januar als Nationalen Gedenktag für die Vertreibung der Ungarndeutschen fest . Hier muss die Rolle von Herrn Michl erwähnt werden . József Michl , Bürgermeister der Stadt Totis / Tata ( Partnerstadt von Gerlingen ) und Parlamentsabgeordneter , brachte – nachdem er uns im Jakob-Bleyer-Heimatmuseum um fachlichen Meinungsaustausch gebeten hatte – einen entsprechenden Antrag in das Parlament ein . Und bei der Formulierung , Einrichtung des Gedenktages spielte die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen mit Herrn Otto Heinek an der Spitze eine wichtige Rolle .
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Wer jedoch – wie mein Opa – die Heimat zwangsweise verlassen muss , spürt häufig eine lebenslange Wunde . Wie das der 91-jährige , von mir hochgeschätzte Herr Georg Richter geschrieben hat : „ Für uns Ungarndeutsche ist Heimat der Geburtsort mit der prägenden Kraft für die Entwicklung der Persönlichkeit . Wo man zu Hause im eigenen Haus ist , wo man die heimatliche Tradition pflegt , den Dialekt , die Gebräuche , die freie Ausübung der Religion . (…) Viele Menschen haben längst mehrere „ Heimate “. Das hatten wir Ungarndeutsche nicht .”
Mit dem Herbst 1944 endete das bisherige Leben der Ungarndeutschen . Familien wurden enteignet und voneinander getrennt , Menschen verschleppt oder ermordet . Dies alles waren Erlebnisse , auf die niemand vorbereitet gewesen war . Und die Vertriebenen erlebten als Flüchtlinge in Deutschland zunächst Unsicherheit und Ausgrenzung : „ Gefühlt haben wir immer , dass wir hier nicht willkommen sind . Meine Eltern und Großeltern haben das besonders schmerzlich empfunden , bis an ihr Lebensende waren sie in ihrer Seele zutiefst betrübt “, schrieb eine Bauernfrau aus Großturwall / Törökbálint . Die Vertriebenen passten sich jedoch durch ihre fleißige Arbeit schnell an und fanden hier ein neues Zuhause .
Nicht nur mein Opa , sondern hunderttausende Vertriebene – und ihre Kinder , Enkelkinder – haben seit der Wende vor ihren ehemaligen Elternhäusern gestanden . Die geschichtlichen Leistungen unserer Vorfahren , ihre Kulturarbeit für Volk und Ungarn , sollen uns alle , besonders aber die Jugend anspornen , wie Herr Matthias Schmidt in dem Budaörser Heimatbuch Herrn Dr . Franz Riedl zitiert . Es ist jetzt unser Ziel . Und 2018 wird ein besonderes Jahr für unsere Zukunft , denn wir werden wählen und wollen mit einem Abgeordnetenmandat ins Parlament kommen , damit wir mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Erziehung der Jugend haben . Denn Jugend ist Zukunft .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag !
Rundtischgespräch über die Vertreibung der Ungarndeutschen
Von Wendelin Pettinger-Szalma
Am 07 . Dezember 2017 fand an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der ELTE ( Lóránd-Eötvös-Universität ) das erste Rundtischgespräch mit dem Thema „ Vertreibung der Ungarndeutschen ”. Teilnehmer des Gesprächs waren Univ . -Doz . Dr . habil . Koloman Brenner , Prof . emeritus Dr . Karl Manherz vom Forschungs- und Lehrerbildungszentrum der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der ELTE , Dr . Réka Marchut , Mitarbeiterin des Minderheitenforschungsinstituts der MTA ( Ungarische Akademie der Wissenschaften ), und Dr . Krisztina Schlachta , Doktorandenreferentin der AUB ( Andrássy-Universität Budapest ).
Es begann mit einer kurzen , allgemeinen Einführung seitens eines jungen Geschichtsstudenten . Gleich danach kam es zu einer terminologischen Diskussion . Laut Professor Manherz ist der in der ungarischen Fachliteratur gebräuchliche Ausdruck „ Aussiedlung ” wesentlich weicher , sanfter als der in der deutschsprachigen Fachliteratur benutzte Begriff „ Vertreibung ”, was aber – seiner Meinung nach – die Geschehnisse viel authentischer beschreibt . Réka Marchut meint , dass hier zwar über eine Zwangsmigration die Rede ist , dennoch benutzt sie den Ausdruck „ Aussiedlung ” lieber , weil das dem Historiker eine gewisse Distanz zum Thema gewährt . sonntagsblatt