Sonntagsblatt 1/2017 | Page 16

hinunter ins Dorf . Erst am anderen Tag hielt der Zug irgendwo in der Nähe der Tschechoslowakei , wo sie ihre Notdurft verrichten konnten .
Das alles ereignete sich zwei Jahre nach dem Krieg , in den Jah - ren 1945 – 1949 , noch vor der kommunistischen Machtübernah - me . In dieser Zeit sollte Ungarn noch ein Rechtsstaat , eine Demo - kratie gewesen ein – kaum zu glauben ! Vereinzelt wird noch bis zum heutigen Tag versucht glaubhaft zu machen , dass die Ungarndeutschen sich des Landesverrats schuldig gemacht haben , weil sie Mitglieder des Volksbundes der Deutschen in Ungarn und / oder sich bei der Volkszählung 1941 zur deutschen Nationalität und Muttersprache bekannten . Damit wurde die Kollektivschuld und die kollektive Bestrafung gerechtfertigt . In einem Rechtsstaat hätte dies überhaupt nicht für eine Bestrafung , Enteignung und Ausweisung ausgereicht , es sei denn , jemand hätte sich persönlich strafbar gemacht . In den mehrheitlich deutschsprachigen Gebieten Frankreichs , im Elsass und in Lothringen hat es keine Enteignung und Vertreibung gegeben .
Tatsache ist , dass man es in erster Linie auf die Vermögenden abgesehen hat . Die Familie Czirjak war nicht im Volksbund , be - kann te sich 1941 zur ungarischen Nationalität und der Vater , Franz Czirjak , war während der Kriegsjahre ungarischer Soldat . Sie hatte jedoch eine florierende Gastwirtschaft und ein neuerbautes Haus . Es gab Fälle , in denen man sogar Ungarndeutsche auswies oder ausweisen wollte , die Juden versteckt und damit ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben , oder die in der Nazi-Zeit im Kon - zentrationslager litten . Auf der Aussiedlerliste in Bezedek stand auch ein Mann , der im Konzentrationslager Mauthausen war .
Der eigentliche und tiefere Grund für die Ausweisung war , dass man die Deutschen loshaben wollte . Darauf hat man schon Jahr - zehnte früher auf verschiedene Weise hingewirkt und jetzt , durch den verlorenen Krieg hat man einen Vorwand , eine „ einmalige ” Gelegenheit gehabt um sie des Landes zu verweisen . Deutsche wa - ren , deren Muttersprache deutsch war . Ungarn hat den Krieg als treuester und letzter Verbündeter genauso verloren . Nur hat man es verstanden eine politische Atmosphäre zu schaffen , in der für den einfachen Menschen der Eindruck entstand , dass Deutsch - land den Krieg verloren und Ungarn ihn jedoch gewonnen hat .
In den Jahrzehnten des Kommunismus , ab 1950 , bekamen die in Ungarn verbliebenen Deutschen ihre staatsbürgerlichen Rechte zurück , jedoch nicht ihr beschlagnahmtes Vermögen , nicht die geringste Entschädigung . Die Diskriminierung bestand de facto weiter . Erst nach der politischen Wende wurden die Deutschen , auch die nach Deutschland vertriebenen , für die erlittenen Vermö - gensverluste finanziell entschädigt , besser gesagt , teilentschädigt und schließlich rehabilitiert . Das Ungarische Parlament hat sich für das Unrecht entschuldigt . Das sollte anerkannt werden in der Hoffnung , dass die Zerwürfnisse und Feindseligkeiten zwischen den Ungarn und den nationalen Minderheiten Vergangenheit bleiben .
Josef Schwing

Wir Schwaben waren gute Ungarn

( Mi svábok , jó magyarok voltunk )
Erschienen am 19 . 01 . 2016 auf dem Internetportal index . hu . Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung des Autors Ádám Kolozsi . Deutsche Übersetzung : Richard Guth .
Ungarn vertrieb vor 70 Jahren unter dem Einverständnis meh - rerer Parteien , begleitet von den Fanfaren einer Hetzkampagne in der Pres se , größtenteils aus eigenem Entschluss , 250 000 seiner eigenen Bürger . Nach der unmenschlichen Vertreibung der Deutschen „ war es nicht ein mal erlaubt schwäbisch zu atmen ”, über die im Zeichen der Kollek tivschuld durchgeführte Aktion durfte lange nicht gesprochen werden , und auch heute noch werden die Massendeportationen in Viehwaggons von falschen Mythen umweht . Enteignung , die Neuordnung Osteuro - pas und eine zum Vergleich zu heute zehnfach größere Flüchtlings krise : Am 19 . Januar 1946 fuhr der erste „ schwäbische ” Zug los .
Die Hälfte der deutschen Gemeinschaft , 220 – 230 000 Men - schen wurden zwischen 1946 und 1948 gegen ihren Willen und trotz ihrer Proteste aus Ungarn vertrieben , unter der Berufung auf die vermentliche Verantwortug der deutschen Minderheit für den Nationalsozialismus . Laut Anklage wären die Schwaben die „ Fünfte Kolonne ” Hitlers gewesen , es ginge dabei um „ faschistische Überreste ”, die keines Erbarmens würdig wären .
Der Logik der Kollektivschuld entsprechend wurde – wie bei hunderttausenden anderen – aus dem Bogdaner Franzi Stagel ein faschistisches Überbleibsel . „ Es war ein Samstag , als wir von Lkws abgeholt wurden . Niemand wusste , wer und weswegen geholt wur - de . Mein Vater war nicht beim Volksbund . er war im Krieg ungarischer Soldat , stand trotzdem auf der Liste . Vielleicht deshalb , weil er sich zur deutschen Muttersprache bekannte , vielleicht , weil er vermögend im Dorf war . Wir hatten keine Ahnung , wohin die Reise geht .”.
Die Kinder gehörten zu denen , die – wie Über-65-Jährige , werdende Mütter , in volkswirtschaftlicher Hinsicht wertvolle Berg - leute sowie diejenigen , die „ ihre Treue zum Vaterland ” vor 1945 unter Beweis stellten – im Prinzip befreit waren , aber bei der Um - setzung der per se unmenschlichen und unmoralischen Verord - nung waren Missbrauch und Missetaten systematischer Natur .
Die zwanghafte Gegenüberstellung unterschiedlicher Traumata ergibt auch deswegen wenig Sinn , weil sie zeitweise der gleichen Quelle entspringen . Die brutalen Zwangsmaßnahmen gegen die Deutschen nach dem Krieg hatten zum größten Teil den gleichen Motivationshintergrund wie die Judenverfolgung eins-zwei Jahre zuvor : die staatlich geförderte Vermögensaneignung , die Ausplün - derung von Gruppen , die zum Feind erklärt wurden , und auf breiter politischer Ebene die Umsetzung sozialer Zielsetzungen über totale Diskriminierung , zusammen mit dem Hirngespenst der ethnischen Homogenisierung . Die Frage ist , wie man das unmittelbar nach dem Holocaust machen konnte .
Die treuesten Vaterlandsverräter Die Ungarndeutschen brachten die Viehwaggons – anders als die Juden – nicht in den Tod , aber auch sie wurden vom allmächtigen Staat ihrer Existenz , Würde , ihrer Zukunftsträume und oft ihrer Familienangehöriger beraubt , und zwar grundsätzlich auch aufgrund ihrer Herkunft . Auch wenn die ungarischen Politiker aus taktischen Gründen leugneten , dass auch sie nach einem Kollek - tivschuldigen in einer ethnischen Gruppe suchen würden ( am Ran de bemerkt : Die deutsche Gemeinschaft war in Trianon- Ungarn die einzig verbliebene bevölkerungsreiche Nationalität ), aber die Leser der Zeitungsartikel , die gegen die Deutschen hetzten , durften keinen Zweifel darüber haben .
„ In Ödenburg bedeutet die neue Landnahme etwas Anderes als an Grund und Boden zu gelangen . Sie bedeutet den großartigsten Gedanken der letzten Zeit : die Umsiedlung . Es reicht mit der Mi - nenarbeit der Ödenburger deutschen Vaterlandsverräter ! Es reicht mit den erbämlichen Versuchen , die zeigen sollten , dass Ödenburg eine deutsche Stadt ist . Wir wollen Madjaren sehen auf den Straßen von Ödenburg , wir wollen Grund und Boden , Wein- und Obstgärten der Ödenburger Deutschen an sie übertragen und mit
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