ihrer Hilfe das Madjarentum dieser westlichen Grenzstadt vervoll-
ständigen”, schrieb März 1945 ein Ödenburger Blatt. Und dieser
Tonfall entsprach der Regel. Es ist äußerst pikant, dass die zum
Vaterlandsverräter erklärte Ödenburger Bürgerschaft (und min-
destens die Hälfte der Deutschen) 24 Jahre zuvor anstelle von
Österreich für den Verbleib in Ungarn stimmte – der Titel „die
treueste Stadt” zählte 1945 kaum etwas, so versuchte man es in
Ödenburg vergeblich, sie vor der Vertreibung zu retten.
Bereits der Titel der Verordnung („Die Umsiedlung der ungar-
ländischen deutschen Bevölkerung nach Deutschland”) machte es
klar, dass es hier um eine Kollektivstrafe geht, jeder sollte anstelle
der Unschuldsvermutung unter Beweis stellen, dass man nichts
getan hat – aber wenn er Grundbesitz, Weingut, was man ihm
wegnehmen konnte, hatte oder ein Haus, das jemand beanspruch-
te, konnte er damit kaum Erfolg haben. Laut Gesetz wurde jeder
vertrieben („umgesiedelt”), der sich in der Volkszählung von 1941
zum Deutschtum oder zur deutschen Muttersprache bekannte,
seinen Namen wieder germanisieren ließ oder Mitglied des
Volksbundes oder der SS war.
Letzteres klingt vielleicht etwas hart, so müssen wir festhalten:
Die Mehrzahl der Ungarndeutschen diente im Weltkrieg nicht in
der ungarischen Armee, sondern in der Waffen-SS – entgegen
lang läufiger Meinungen aber meldeten sich Zweidrittel der
Rekruten nicht freiwillig, sondern wurden 1944 zwangseingezo-
gen. Dafür konnten sie genauso wenig wie die kleinen Soldaten
anderswo. Die Volksbund-Mitgliedschaft (der Volksbund war eine
Nationalitätenorganisation nationalsozialistischer Orientierung,
die 1938 gegründet wurde) bedeutete an sich auch nicht viel:
Obwohl Hitler bis 1943, der Wende im Krieg, vielen Volksdeut -
schen zu imponieren vermochte, aber die Mehrheit der Schwaben
trat nicht deswegen dem Volksbund bei, weil sie so große Nazis
gewesen wären, sondern weil dieser ihre staatlich anerkannte
Organisation war und weil sie so nebenbei den Dorfball organi-
sierte – das reichte 1946 aus, um vertrieben zu werden.
Verschiebpuzzle deluxe
Die Deutschen wollte man vor allem unter dem Hinweis darauf
loswerden, dass sie im Krieg die „Fünfte Kolonne” Hitlers gewesen
seien. Deutschland instrumentalisierte in seiner Außenpolitik die
deutschen Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa in der Tat auf
eine unwürdige Art und Weise, die es gar in die Lebensraum ideo -
logie einbezog. Es ist eine andere Frage, dass Hitler widersprüchli-
che Strategien verfolgte vom Baltikum bis zur Batschka, von den
siebenbürgisch-sächsischen Städten bis hin zu der Diaspora an
der Wolga: Er unterstützte auch deren „Heimholung” – Zeuge der
massenhaften Umsiedlung der Bessarabiendeutschen auf der
Donau war 1940 beispielsweise auch Budapest (vergleiche hierzu
den Beitrag „Die bepackten Völkerschaften schwimmen dahin”
von Ádám Kolozsi, SB 05–2015, S. 7ff., R. G.).
Der Meister der willkürlichen Umsiedlung von ethnischen
Grup pen war zweifelsohne Stalin, der ab den 1930er Jahren ganze
Völker hin- und herschieben ließ – aber vor allem in den kasachi -
schen Hungertod schickte –, als wären sie entsorgbare oder aus-
tauschbare Lego-Steine. Es gehört zur Wahrheit, dass selbst die
angelsächsischen Großmächte nicht so wirklich gegen Massenum -
siedlungen waren. Sie haben aus der Revisionspolitik, die zum
Zweiten Weltkrieg führte, die Lehre gezogen, indem sie den grie-
chisch–türkischen Bevölkerungstransfer vor Augen hielten, dass
die Gebiete mit gemischter Bevölkerung bzw. umstrittenen Status’
eine tickende Zeitbombe darstellten, die man früh genug entschär-
fen sollte. Von daher rührt der lebensgefährliche politische
Mythos, dass die massenhafte Zwangsmigration das kleinere Übel
sei – ohne Zweifel, aber nur wenn wir sie mit dem Genozid ver-
gleichen, aber dieses falsche Dilemma haben sich die Großmächte
nach 1945 auf tragische Weise zu Eigen gemacht.
In der Folge wurden in den Jahren nach dem Weltkrieg 12–14
Millionen Deutsche aus ihrer osteuropäischen Heimat vertrieben.
Die meisten, an die sieben Millionen Menschen, aus Polen und
dem Baltikum, drei Millionen aus der Tschechoslowakei – die im
Vergleich dazu aus Ungarn vertriebenen 200 000 Deutschen
könn ten eine kleine Zahl darstellen, und im Vergleich zu Polen
und dem Sudetenland blieben bei uns auch Deutsche: Nur die
Hälfte der Gemeinschaft wurde deportiert. Das ist der internatio-
nale Kontext, ohne den die Vertreibung aus Ungarn auch nicht zu
verstehen ist. Auch mit Hilfe dessen ist dies schwierig, denn es
handelt sich um eine komplexe Geschichte, in der sich außen- und
innenpolitische Faktoren auf komplexe und nicht immer enträt-
selbare Weise verzahnen, wobei die Grundfrage bleibt: Wer und
warum entschied sich dafür, aus dem deutschen Bürger, dem
schwäbischen Bauer einen Sündenbock zu machen?
Die Potsdam-Falle in Aktion
Es ist eine alte Legende, dass die Großmächte Ungarn zur Ver -
treibung zwangen, weil die Potsdamer Konferenz darüber befun-
den hätte. Bereits Rákosi und Kohorten haben sich damit vertei-
digt, aber in der Realität geht es aus den Dokumenten hervor, dass
entgegen der ungarischen Behauptung in Potsdam die Vertrei -
bung nicht vorgeschrieben, sondern abgesegnet wurde. Damit
wollte der Westen die „wilden Vertreibungsaktionen”, die als unor-
ganisiert vorkommen sollten, aber in der Wahrheit staatlich orga-
nisiert waren, normalisieren, in deren Folge auf brutale Weise aus
Polen, Galizien und der Tschechoslowakei Deutsche in Richtung
Westen getrieben wurden. Dabei kamen mehrere tausend Men -
schen um. Infolge der Westverschiebung Polens musste man den
polnischen Flüchtlingen aus Galizien und Wolhynien unbedingt
„Platz machen” – um die in der Folge begangenen Grausamkeiten
bat Polen nie um Entschuldigung.
Das ist fast genauso ein politisches Tabu wie die Frage der Be -
neš-Dekrete bei den Tschechen – das ist ja bereits die Linie, die für
die ungarische Geschichte eine unmittelbare Bedeutung hat.
Beneš’ Hauptziel war es, dass in seinem Land drei Millionen Sude -
tendeutsche weniger leben, und dazu gewann er die Unterstützung
der Sowjets: Auch Stalin wollte keine großen deutschen Minder -
heiten im Ostblock. Die Tschechoslowakei wollte im Übrigen auch
die Madjaren loswerden – was in Potsdam nicht abgesegnet wur -
de, wobei sich das Schicksal der Slowakeimadjaren mit dem der
Ungarndeutschen verband.
Die gravierenden Retorsionen gegen die Deutschen begannen
bereits, als die Russen eintrafen. Aus der Karpatoukraine und aus
Saboltsch wurden 60 000 Deutsche verschleppt, und viele musste
jahrelang „kleine Arbeit” (malenkij robot) leisten – eine andere
Fra ge, dass sich in dieser Gruppe viele Madjaren und Menschen
mit deutschem Familiennamen wiederfanden, so dass in Moskau
auch Rákosi protestierte. Die nächste Entrechtungsaktion ging be -
reits von ungarischen Parteien aus. Bei der 1945er Bodenver -
teilung ließ man die schwäbischen Landwirte raus, und vielfach
wurde ihr Grundbesitz verteilt – das zeigt, dass die deutschfeind-
lichen Maßnahmen zum Teil sozial motiviert waren: So wollte
man die Kleinbauern und Bodenlosen zum Bodenbesitz verhel-
fen, während man gleichzeitig eine eigene Wählerbasis schuf.
Eine einmalige Gelegenheit
Die deutschfeindliche Hysterie gewann nach dem Potsdamer Be -
schluss im August richtig an Schwung, und dies fiel in die gleiche
Zeit mit der Wahlkampagne rund um die Parlamentswahlen. Zu
dieser Zeit sprach man bereits von der Vertreibung von 400–450 000
Deutschen – ein kleiner Rechenfehler, denn so viele Deutsche gab
(Fortsetzung auf Seite 18)
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