hinunter ins Dorf. Erst am anderen Tag hielt der Zug irgendwo in der Nähe der Tschechoslowakei, wo sie ihre Notdurft verrichten konnten.
Das alles ereignete sich zwei Jahre nach dem Krieg, in den Jah- ren 1945 – 1949, noch vor der kommunistischen Machtübernah- me. In dieser Zeit sollte Ungarn noch ein Rechtsstaat, eine Demo- kratie gewesen ein – kaum zu glauben! Vereinzelt wird noch bis zum heutigen Tag versucht glaubhaft zu machen, dass die Ungarndeutschen sich des Landesverrats schuldig gemacht haben, weil sie Mitglieder des Volksbundes der Deutschen in Ungarn und / oder sich bei der Volkszählung 1941 zur deutschen Nationalität und Muttersprache bekannten. Damit wurde die Kollektivschuld und die kollektive Bestrafung gerechtfertigt. In einem Rechtsstaat hätte dies überhaupt nicht für eine Bestrafung, Enteignung und Ausweisung ausgereicht, es sei denn, jemand hätte sich persönlich strafbar gemacht. In den mehrheitlich deutschsprachigen Gebieten Frankreichs, im Elsass und in Lothringen hat es keine Enteignung und Vertreibung gegeben.
Tatsache ist, dass man es in erster Linie auf die Vermögenden abgesehen hat. Die Familie Czirjak war nicht im Volksbund, be- kann te sich 1941 zur ungarischen Nationalität und der Vater, Franz Czirjak, war während der Kriegsjahre ungarischer Soldat. Sie hatte jedoch eine florierende Gastwirtschaft und ein neuerbautes Haus. Es gab Fälle, in denen man sogar Ungarndeutsche auswies oder ausweisen wollte, die Juden versteckt und damit ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, oder die in der Nazi-Zeit im Kon- zentrationslager litten. Auf der Aussiedlerliste in Bezedek stand auch ein Mann, der im Konzentrationslager Mauthausen war.
Der eigentliche und tiefere Grund für die Ausweisung war, dass man die Deutschen loshaben wollte. Darauf hat man schon Jahr- zehnte früher auf verschiedene Weise hingewirkt und jetzt, durch den verlorenen Krieg hat man einen Vorwand, eine „ einmalige” Gelegenheit gehabt um sie des Landes zu verweisen. Deutsche wa- ren, deren Muttersprache deutsch war. Ungarn hat den Krieg als treuester und letzter Verbündeter genauso verloren. Nur hat man es verstanden eine politische Atmosphäre zu schaffen, in der für den einfachen Menschen der Eindruck entstand, dass Deutsch- land den Krieg verloren und Ungarn ihn jedoch gewonnen hat.
In den Jahrzehnten des Kommunismus, ab 1950, bekamen die in Ungarn verbliebenen Deutschen ihre staatsbürgerlichen Rechte zurück, jedoch nicht ihr beschlagnahmtes Vermögen, nicht die geringste Entschädigung. Die Diskriminierung bestand de facto weiter. Erst nach der politischen Wende wurden die Deutschen, auch die nach Deutschland vertriebenen, für die erlittenen Vermö- gensverluste finanziell entschädigt, besser gesagt, teilentschädigt und schließlich rehabilitiert. Das Ungarische Parlament hat sich für das Unrecht entschuldigt. Das sollte anerkannt werden in der Hoffnung, dass die Zerwürfnisse und Feindseligkeiten zwischen den Ungarn und den nationalen Minderheiten Vergangenheit bleiben.
Josef Schwing
Wir Schwaben waren gute Ungarn
( Mi svábok, jó magyarok voltunk)
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Erschienen am 19. 01. 2016 auf dem Internetportal index. hu. Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung des Autors Ádám Kolozsi. Deutsche Übersetzung: Richard Guth.
Ungarn vertrieb vor 70 Jahren unter dem Einverständnis meh- rerer Parteien, begleitet von den Fanfaren einer Hetzkampagne in der Pres se, größtenteils aus eigenem Entschluss, 250 000 seiner eigenen Bürger. Nach der unmenschlichen Vertreibung der Deutschen „ war es nicht ein mal erlaubt schwäbisch zu atmen”, über die im Zeichen der Kollek tivschuld durchgeführte Aktion durfte lange nicht gesprochen werden, und auch heute noch werden die Massendeportationen in Viehwaggons von falschen Mythen umweht. Enteignung, die Neuordnung Osteuro- pas und eine zum Vergleich zu heute zehnfach größere Flüchtlings krise: Am 19. Januar 1946 fuhr der erste „ schwäbische” Zug los.
Die Hälfte der deutschen Gemeinschaft, 220 – 230 000 Men- schen wurden zwischen 1946 und 1948 gegen ihren Willen und trotz ihrer Proteste aus Ungarn vertrieben, unter der Berufung auf die vermentliche Verantwortug der deutschen Minderheit für den Nationalsozialismus. Laut Anklage wären die Schwaben die „ Fünfte Kolonne” Hitlers gewesen, es ginge dabei um „ faschistische Überreste”, die keines Erbarmens würdig wären.
Der Logik der Kollektivschuld entsprechend wurde – wie bei hunderttausenden anderen – aus dem Bogdaner Franzi Stagel ein faschistisches Überbleibsel. „ Es war ein Samstag, als wir von Lkws abgeholt wurden. Niemand wusste, wer und weswegen geholt wur- de. Mein Vater war nicht beim Volksbund. er war im Krieg ungarischer Soldat, stand trotzdem auf der Liste. Vielleicht deshalb, weil er sich zur deutschen Muttersprache bekannte, vielleicht, weil er vermögend im Dorf war. Wir hatten keine Ahnung, wohin die Reise geht.”.
Die Kinder gehörten zu denen, die – wie Über-65-Jährige, werdende Mütter, in volkswirtschaftlicher Hinsicht wertvolle Berg- leute sowie diejenigen, die „ ihre Treue zum Vaterland” vor 1945 unter Beweis stellten – im Prinzip befreit waren, aber bei der Um- setzung der per se unmenschlichen und unmoralischen Verord- nung waren Missbrauch und Missetaten systematischer Natur.
Die zwanghafte Gegenüberstellung unterschiedlicher Traumata ergibt auch deswegen wenig Sinn, weil sie zeitweise der gleichen Quelle entspringen. Die brutalen Zwangsmaßnahmen gegen die Deutschen nach dem Krieg hatten zum größten Teil den gleichen Motivationshintergrund wie die Judenverfolgung eins-zwei Jahre zuvor: die staatlich geförderte Vermögensaneignung, die Ausplün- derung von Gruppen, die zum Feind erklärt wurden, und auf breiter politischer Ebene die Umsetzung sozialer Zielsetzungen über totale Diskriminierung, zusammen mit dem Hirngespenst der ethnischen Homogenisierung. Die Frage ist, wie man das unmittelbar nach dem Holocaust machen konnte.
Die treuesten Vaterlandsverräter Die Ungarndeutschen brachten die Viehwaggons – anders als die Juden – nicht in den Tod, aber auch sie wurden vom allmächtigen Staat ihrer Existenz, Würde, ihrer Zukunftsträume und oft ihrer Familienangehöriger beraubt, und zwar grundsätzlich auch aufgrund ihrer Herkunft. Auch wenn die ungarischen Politiker aus taktischen Gründen leugneten, dass auch sie nach einem Kollek- tivschuldigen in einer ethnischen Gruppe suchen würden( am Ran de bemerkt: Die deutsche Gemeinschaft war in Trianon- Ungarn die einzig verbliebene bevölkerungsreiche Nationalität), aber die Leser der Zeitungsartikel, die gegen die Deutschen hetzten, durften keinen Zweifel darüber haben.
„ In Ödenburg bedeutet die neue Landnahme etwas Anderes als an Grund und Boden zu gelangen. Sie bedeutet den großartigsten Gedanken der letzten Zeit: die Umsiedlung. Es reicht mit der Mi- nenarbeit der Ödenburger deutschen Vaterlandsverräter! Es reicht mit den erbämlichen Versuchen, die zeigen sollten, dass Ödenburg eine deutsche Stadt ist. Wir wollen Madjaren sehen auf den Straßen von Ödenburg, wir wollen Grund und Boden, Wein- und Obstgärten der Ödenburger Deutschen an sie übertragen und mit
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