gebildet. Sie sprechen Deutsch, die meisten haben promoviert. Sie
erforschen die rumäniendeutsche Minderheit, aber sie sind nicht
die Träger deren Kultur.
1990, nach dem Ende des Kommunismus, öffneten sich die
Grenzen Rumäniens zum Westen. Für den überwiegenden Teil der
deutschen Bewohner Siebenbürgens bedeutete dies, innerhalb von
nur wenigen Wochen alles hinter sich zu lassen und deutscher
Staats bürger zu werden. Fragt man nach den Motiven der Ausrei -
se, heisst es immer wieder, dass man jahrelang auf gepackten Kof -
fern gesessen, auf den Pass gewartet, die Ausreise erhofft habe. Re -
pres salien unter Nicolae Ceausescu waren an der Tagesordnung.
Armut und mangelnde Perspektiven sowie die deutlich spürba-
re Allmacht des rumänischen Geheimdienstes bestimmten in wei-
ten Strecken den Alltag. Dass sich die Bundesrepublik Deutsch -
land für die Rumäniendeutschen verantwortlich fühlte, ermög-
lichte vielen die Ausreise während der Diktatur. Durch den soge-
nannten Freikauf, in dem die Bundesrepublik ein Kopfgeld für
jeden Deutschen aus Rumänien zahlte. Durch die Familienzu sam -
menführung, innerhalb deren Familienmitglieder ihren Ange -
hörigen nachreisen konnten. Nach dem Tod des Diktatoren -
ehepaars blieb bei den Dagebliebenen der Wunsch, die Heimat zu
verlassen. Er mündete im Exodus der Rumäniendeutschen.
»Jeder Fall ist individuell nachvollziehbar«, sagt Eginald
Schlattner, der sich selbst als letzten Pfarrer von Rothberg/Rosia,
einem Dorf bei Hermannstadt, bezeichnet. »Doch zusammenge-
nommen haben sich die Siebenbürger Sachsen zwischen Ostern
und Weihnachten 1990 sang- und klanglos aus der Geschichte
verabschiedet, nach 850 geschlagenen Jahren. Wobei jeder insge-
heim weiss, dass durch sein Weggehen eine unverwechselbare
Ordnung des Zusammenlebens vertilgt worden ist, für immer und
ewig.«
Wahrzeichen des Verfalls
Die äusseren Wahrzeichen des Verfalls finden ab und an den Weg
auch in die bundesdeutsche Presse. Dann, wenn Joachim Gauck
einen Staatsbesuch in Rumänien nutzt, um gemeinsam mit dem
rumänischen Staatsoberhaupt die Schirmherrschaft der Stiftung
Kirchenburgen zu übernehmen, und damit ein deutliches Zeichen
setzt, dass dieses einmalige bauliche Erbe auch Teil der deutschen
Kultur ist. Oder dann, wenn wieder eine von den über 150 Kir -
chenburgen zusammenfällt, Kirchtürme einstürzen oder kostbares
mittelalterliches Abendmahlgeschirr in deutschen Auktionshäu -
sern versteigert wird.
In Burgberg, rumänisch Vurpar, 30 Kilometer von Hermann -
stadt entfernt, fand bis vor einiger Zeit noch alle zwei Wochen ein
evangelischer Gottesdienst in deutscher Sprache statt. Deutsch
sein heisst in Siebenbürgen fast zwangsläufig, der Evangelischen
Kirche A. B. anzugehören. Die letzten Siebenbürger Sachsen des
Ortes gingen langsam und bedächtig, wie sie es jahrhundertelang
getan hatten, die immer schiefer werdenden Stufen zur Kirchen -
burg hinauf. Früher hatte sich die Dorfgemeinschaft regelmässig
zu Arbeitseinsätzen zusammengefunden, waren Dächer geflickt
und fehlende Holzbohlen ersetzt worden. Die junge und die mitt-
lere Generation haben den Ort verlassen. Die Alten blieben zurück
und sitzen nun allein auf den Höfen ihrer Vorfahren. Ihre Kinder
werden sie erben, um sie zu verkaufen. So wie auch die Gärten, die
Obstbaumwiesen, die Ländereien. Die Wurzeln sind, 26 Jahre nach
dem Ende des Kommunismus, der auch das Ende der Siebenbür -
ger Sachsen bedeutete, gekappt.
Das, was über Jahrhunderte den Fortbestand gewährleistet hat,
ist nun obsolet geworden. Die wenigen Jungen heiraten nicht
mehr innerhalb der Gemeinschaft. Wen auch? Auf die deutschen
Schulen gehen überwiegend rumänische Kinder. In der sächsi-
schen Tanzgruppe gibt es noch einen, manchmal zwei Siebenbür -
ger Sachsen in Tracht. Das Deutsche ist weiterhin allgegenwärtig
in Siebenbürgen, man kann hier gut leben, ohne ein Wort Ru mä -
nisch zu sprechen. Und doch, die Gemeinschaft als Kulturträger
gibt es nicht mehr.
»Gut, dass es so ist«, meint der Autor Frieder Schuller. 1978 reis-
te er nach Deutschland aus. 1990 mietete er sein Geburtshaus in
Katzendorf/Cata und baute es zu einer kulturellen Begegnungs -
stätte um. Hier vergibt er jährlich den Dorfschreiberpreis. »Ich wä -
re nicht zurückgekommen, bin ich doch einst nicht nur dem
Kommunismus, sondern auch den engen Strukturen entflohen.«
Prozess der Musealisierung
Und doch, Wehmut schwingt mit, wenn die deutsche Abteilung
des Hermannstädter Theaters, für das Schuller einst als Drama -
turg tätig war, vor allem Klassiker auf dem Spielplan hat. »Der ein-
gebildete Kranke«, »Faust«. Schulstoff für diejenigen, die noch
Deutsch sprechen oder es in der Schule lernen. Experimentelles
Theater? Neue Stücke aus der deutschen Mi nderheit? Selbst rumä-
niendeutsche Schauspieler gibt es nicht mehr, es sind Rumänen,
Bundesdeutsche und Luxemburger, die das deutsche Theater am
Leben erhalten.
Die über 850 Jahre alte Gemeinschaft verschwindet innerhalb
nur weniger Jahre. Sie hinterlässt nicht nur nun ungenutzte
Baudenkmäler, Privathäuser und Kirchenburgen, sondern auch
ein reiches kulturelles Erbe. Einiges wurde im Kommunismus,
aber auch nach 1990 nach Deutschland gebracht. Es findet sich
heute im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim, im Deut -
schen Literaturarchiv in Marbach oder im Archiv des Münchner
Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas.
Vieles aber, ganze Verlagsarchive etwa, wurde seinem Schicksal
überlassen und ging verloren, wenn sich nicht durch glückliche
Fügungen kleinere Reste in privaten Sammlungen erhalten haben.
Wie es ist, der eigenen Minderheit und damit auch der eigenen
Identität bei dem Prozess der Musealisierung zuzusehen, kann
man als Aussenstehender nur erahnen. In Rumänien versuchen
zahlreiche staatliche und öffentlich geförderte Institutionen sowie
private Initiativen, dem Verschwinden entgegenzuwirken, für die
Nachwelt zu bewahren, was hier an deutschem Kulturgut gewach-
sen ist.
Eine dieser Institutionen ist das kirchliche Zentralarchiv, das
nach dem Namen des Begegnungs- und Kulturzentrums Friedrich
Teutsch der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, in dem es
untergebracht ist, meist nur Teutsch-Haus genannt wird. Gegrün -
det 2003, um die Matrikeln und Dokumente der verwaisten Kir -
chengemeinden aufzunehmen, wird es in Zukunft das Gedächtnis
der Siebenbürger Sachsen sein.
Neben dem Archiv, das sein Sammlungsinteresse längst auf alles
ausgeweitet hat, was mit Siebenbürger Sachsen zu tun hat, sind an
das Teutsch-Haus ein Museum sowie eine Bibliothek angeschlos-
sen. Hierhin werden die Bücher aus aufgelassenen Dorfbibliothe -
ken übernommen. Hier geben Siebenbürger Sachsen ihre umfang-
reichen Privatbibliotheken ab, wenn sie aus ihren Stadthäusern in
das Dr.-Carl-Wolff-Alten- und Pflegeheim umziehen, ein Alten -
heim, das von der evangelischen, der deutschen Kirche geführt
wird.
Schmerzliche Verluste
Der Prozess der Auflösung wird unter anderem von dem 80-jähri-
gen Wolfgang Rehner begleitet, dem ehemaligen Stadtpfarrer von
Hermannstadt. Im Ruhestand hat er begonnen, die in ihrem Um -
fang weltweit einmalige Bibliothek mit Büchern mit Bezug zu den
Siebenbürger Sachsen, den sogenannten Transsilvanica, aufzubau-
en. Im Archivraum nebenan sitzt Monica Vlaicu, auch sie jenseits
der 70, zwischen unzähligen Stapeln von Dokumenten, zwischen
Stammbäumen, Briefen, Tagebüchern, Fotografien. Nachlässe von
Pfarrern, Schriftstellern, Malern und Intellektuellen. Von Archi -
(Fortsetzung auf Seite26)
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