Sonntagsblatt 1/2017 | Page 25

gebildet. Sie sprechen Deutsch, die meisten haben promoviert. Sie erforschen die rumäniendeutsche Minderheit, aber sie sind nicht die Träger deren Kultur. 1990, nach dem Ende des Kommunismus, öffneten sich die Grenzen Rumäniens zum Westen. Für den überwiegenden Teil der deutschen Bewohner Siebenbürgens bedeutete dies, innerhalb von nur wenigen Wochen alles hinter sich zu lassen und deutscher Staats bürger zu werden. Fragt man nach den Motiven der Ausrei - se, heisst es immer wieder, dass man jahrelang auf gepackten Kof - fern gesessen, auf den Pass gewartet, die Ausreise erhofft habe. Re - pres salien unter Nicolae Ceausescu waren an der Tagesordnung. Armut und mangelnde Perspektiven sowie die deutlich spürba- re Allmacht des rumänischen Geheimdienstes bestimmten in wei- ten Strecken den Alltag. Dass sich die Bundesrepublik Deutsch - land für die Rumäniendeutschen verantwortlich fühlte, ermög- lichte vielen die Ausreise während der Diktatur. Durch den soge- nannten Freikauf, in dem die Bundesrepublik ein Kopfgeld für jeden Deutschen aus Rumänien zahlte. Durch die Familienzu sam - menführung, innerhalb deren Familienmitglieder ihren Ange - hörigen nachreisen konnten. Nach dem Tod des Diktatoren - ehepaars blieb bei den Dagebliebenen der Wunsch, die Heimat zu verlassen. Er mündete im Exodus der Rumäniendeutschen. »Jeder Fall ist individuell nachvollziehbar«, sagt Eginald Schlattner, der sich selbst als letzten Pfarrer von Rothberg/Rosia, einem Dorf bei Hermannstadt, bezeichnet. »Doch zusammenge- nommen haben sich die Siebenbürger Sachsen zwischen Ostern und Weihnachten 1990 sang- und klanglos aus der Geschichte verabschiedet, nach 850 geschlagenen Jahren. Wobei jeder insge- heim weiss, dass durch sein Weggehen eine unverwechselbare Ordnung des Zusammenlebens vertilgt worden ist, für immer und ewig.« Wahrzeichen des Verfalls Die äusseren Wahrzeichen des Verfalls finden ab und an den Weg auch in die bundesdeutsche Presse. Dann, wenn Joachim Gauck einen Staatsbesuch in Rumänien nutzt, um gemeinsam mit dem rumänischen Staatsoberhaupt die Schirmherrschaft der Stiftung Kirchenburgen zu übernehmen, und damit ein deutliches Zeichen setzt, dass dieses einmalige bauliche Erbe auch Teil der deutschen Kultur ist. Oder dann, wenn wieder eine von den über 150 Kir - chenburgen zusammenfällt, Kirchtürme einstürzen oder kostbares mittelalterliches Abendmahlgeschirr in deutschen Auktionshäu - sern versteigert wird. In Burgberg, rumänisch Vurpar, 30 Kilometer von Hermann - stadt entfernt, fand bis vor einiger Zeit noch alle zwei Wochen ein evangelischer Gottesdienst in deutscher Sprache statt. Deutsch sein heisst in Siebenbürgen fast zwangsläufig, der Evangelischen Kirche A. B. anzugehören. Die letzten Siebenbürger Sachsen des Ortes gingen langsam und bedächtig, wie sie es jahrhundertelang getan hatten, die immer schiefer werdenden Stufen zur Kirchen - burg hinauf. Früher hatte sich die Dorfgemeinschaft regelmässig zu Arbeitseinsätzen zusammengefunden, waren Dächer geflickt und fehlende Holzbohlen ersetzt worden. Die junge und die mitt- lere Generation haben den Ort verlassen. Die Alten blieben zurück und sitzen nun allein auf den Höfen ihrer Vorfahren. Ihre Kinder werden sie erben, um sie zu verkaufen. So wie auch die Gärten, die Obstbaumwiesen, die Ländereien. Die Wurzeln sind, 26 Jahre nach dem Ende des Kommunismus, der auch das Ende der Siebenbür - ger Sachsen bedeutete, gekappt. Das, was über Jahrhunderte den Fortbestand gewährleistet hat, ist nun obsolet geworden. Die wenigen Jungen heiraten nicht mehr innerhalb der Gemeinschaft. Wen auch? Auf die deutschen Schulen gehen überwiegend rumänische Kinder. In der sächsi- schen Tanzgruppe gibt es noch einen, manchmal zwei Siebenbür - ger Sachsen in Tracht. Das Deutsche ist weiterhin allgegenwärtig in Siebenbürgen, man kann hier gut leben, ohne ein Wort Ru mä - nisch zu sprechen. Und doch, die Gemeinschaft als Kulturträger gibt es nicht mehr. »Gut, dass es so ist«, meint der Autor Frieder Schuller. 1978 reis- te er nach Deutschland aus. 1990 mietete er sein Geburtshaus in Katzendorf/Cata und baute es zu einer kulturellen Begegnungs - stätte um. Hier vergibt er jährlich den Dorfschreiberpreis. »Ich wä - re nicht zurückgekommen, bin ich doch einst nicht nur dem Kommunismus, sondern auch den engen Strukturen entflohen.« Prozess der Musealisierung Und doch, Wehmut schwingt mit, wenn die deutsche Abteilung des Hermannstädter Theaters, für das Schuller einst als Drama - turg tätig war, vor allem Klassiker auf dem Spielplan hat. »Der ein- gebildete Kranke«, »Faust«. Schulstoff für diejenigen, die noch Deutsch sprechen oder es in der Schule lernen. Experimentelles Theater? Neue Stücke aus der deutschen Mi nderheit? Selbst rumä- niendeutsche Schauspieler gibt es nicht mehr, es sind Rumänen, Bundesdeutsche und Luxemburger, die das deutsche Theater am Leben erhalten. Die über 850 Jahre alte Gemeinschaft verschwindet innerhalb nur weniger Jahre. Sie hinterlässt nicht nur nun ungenutzte Baudenkmäler, Privathäuser und Kirchenburgen, sondern auch ein reiches kulturelles Erbe. Einiges wurde im Kommunismus, aber auch nach 1990 nach Deutschland gebracht. Es findet sich heute im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim, im Deut - schen Literaturarchiv in Marbach oder im Archiv des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. Vieles aber, ganze Verlagsarchive etwa, wurde seinem Schicksal überlassen und ging verloren, wenn sich nicht durch glückliche Fügungen kleinere Reste in privaten Sammlungen erhalten haben. Wie es ist, der eigenen Minderheit und damit auch der eigenen Identität bei dem Prozess der Musealisierung zuzusehen, kann man als Aussenstehender nur erahnen. In Rumänien versuchen zahlreiche staatliche und öffentlich geförderte Institutionen sowie private Initiativen, dem Verschwinden entgegenzuwirken, für die Nachwelt zu bewahren, was hier an deutschem Kulturgut gewach- sen ist. Eine dieser Institutionen ist das kirchliche Zentralarchiv, das nach dem Namen des Begegnungs- und Kulturzentrums Friedrich Teutsch der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, in dem es untergebracht ist, meist nur Teutsch-Haus genannt wird. Gegrün - det 2003, um die Matrikeln und Dokumente der verwaisten Kir - chengemeinden aufzunehmen, wird es in Zukunft das Gedächtnis der Siebenbürger Sachsen sein. Neben dem Archiv, das sein Sammlungsinteresse längst auf alles ausgeweitet hat, was mit Siebenbürger Sachsen zu tun hat, sind an das Teutsch-Haus ein Museum sowie eine Bibliothek angeschlos- sen. Hierhin werden die Bücher aus aufgelassenen Dorfbibliothe - ken übernommen. Hier geben Siebenbürger Sachsen ihre umfang- reichen Privatbibliotheken ab, wenn sie aus ihren Stadthäusern in das Dr.-Carl-Wolff-Alten- und Pflegeheim umziehen, ein Alten - heim, das von der evangelischen, der deutschen Kirche geführt wird. Schmerzliche Verluste Der Prozess der Auflösung wird unter anderem von dem 80-jähri- gen Wolfgang Rehner begleitet, dem ehemaligen Stadtpfarrer von Hermannstadt. Im Ruhestand hat er begonnen, die in ihrem Um - fang weltweit einmalige Bibliothek mit Büchern mit Bezug zu den Siebenbürger Sachsen, den sogenannten Transsilvanica, aufzubau- en. Im Archivraum nebenan sitzt Monica Vlaicu, auch sie jenseits der 70, zwischen unzähligen Stapeln von Dokumenten, zwischen Stammbäumen, Briefen, Tagebüchern, Fotografien. Nachlässe von Pfarrern, Schriftstellern, Malern und Intellektuellen. Von Archi - (Fortsetzung auf Seite26) 25