Sonntagsblatt 1/2016 | Page 13

der Schwaben aus Ungarn. Zwar kehrte ich am Ende dieser Ferien in die Schule zurück, zu Ostern jedoch verabschiedete ich mich aus dem Gym nasium, denn auch meine Familie stand auf der Liste der Auszuweisenden. Im Unterschied zu meinen Eltern, die wie alle Auszuweisenden den Verlust ihres Hab und Gutes beklagten, sah ich der Ver - treibung mit einem gewissen Optimismus entgegen. Dazu ermun- terte mich der Bischof von Stuhlweißenburg, in dessen Studien - seminar ich als Internatsschüler lebte. Bischof Ludwig Shvoy wuss- te offensichtlich schon, dass wir in die von den Amerikanern ver- waltete Zone Deutschlands gebracht würden, und vermutlich ahnte er bereits damals, welch harte Zeiten dem ungarischen Volk durch die sowjetische Besatzung noch bevorstehen sollten. Wir hatten also unsere Habseligkeiten am. 2. Mai auf den Wa - gen meines Onkels Heinrich Gier geladen und verließen das Vaterhaus im Laufe des Vormittags. Zuvor schrieb ich mit der Krei de an die Haustür den biblischen Satz aus dem Buch Hiob Kapitel 1, Vers 21: »Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es ge - nommen, der Name des Herrn sei gepriesen«. Lebhaft erinnere ich mich noch an den jeweils letzten Blick auf die Heimat: zunächst an den auf das Haus mit dem großen Gar - ten, sodann an den auf die Gasse, in der unser Haus stand, und schließlich bei der letzten Abbiegung beim Kreuz an der Straße nach Budapest an den auf das Dorf, am Fuße eines Berges. Da - zwischen spielten sich herzergreifende Szenen des Abschieds von den zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten ab: von den beiden noch lebenden Großmüttern, von den Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinnen und nicht zuletzt von den Freunden. Am Bahnhof von Schaumar (Solymár) stand der Zug mit etwa 25 Viehwagons für je 30 Personen. Nun galt es, sich so gut es ging, uns darin einzurichten und uns zu arrangieren. Wir verbrachten die Nacht noch auf dem Bahnhof. Am frühen Morgen des folgen- den Tages etwa um 5 Uhr begann dann die Reise ins Ungewisse. Heute, 60 Jahre nach jenen unvergessenen Ereignissen, bricht es mir schier das Herz, wenn ich der damals schon erwachsenen Landsleute, der Väter und Mütter von Familien gedenke und deren Ängste und Leiden bei der Vertreibung ermesse. Was mag sich in ihrem Inneren abgespielt haben? Vor rund 250 Jahren hat man ihre Vorfahren nach Ungarn gerufen, um das wirtschaftlich darniederliegende Land wieder aufzubauen, wozu sie bekanntlich nicht wenig beitrugen. Da ich mich in letzter Zeit mit der Geschichte unserer Vor fahren intensiv zu beschäftigen gehabt habe, vermag ich das Leid, das man diesen fleißigen Donauschwaben im Laufe der zweieinhalb Jahrhunderte ihres Lebens in Ungarn zufügte, das dann mit der Vertreibung seinen Höhepunkt fand, jetzt erst recht einzuschätzen. Aber wie so oft in der Geschichte wandte sich auch ihr Ge - schick, wandelte sich ihr Leid in Freude. Auf sie alle, die seit Ende des 17. Jahrhunderts nach Ungarn zogen, nunmehr aber wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren mussten, passen die Texte aus dem Psalm 125: »Wende doch, Herr, unser Geschick, wie du versiegte Bäche wieder füllst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Sie gehen hin unter Tränen und tragen den Samen zur Aussaat. Sie kommen aber mit Jubel wieder und bringen ihre Garben ein« (Verse 4–6). Unsere Vertreibung – so muss ich mich heute fragen – glich sie nicht eher der Heimkehr aus einer Gefangenschaft?! Haben wir nicht gerade durch jene schrecklichen Ereignisse den Verlust unserer kulturellen Identität wiedererlangt?! Und haben wir im Nachhinein nicht allen Grund, auch die Verse 2–3 des Psalms auf uns zu beziehen?! »Damals« (bereits) – so der fromme Beter – »sprach man unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan. Ja« – so dürfen auch wir heute bekennen: Großes hat der Herr an uns getan. Da waren wir fröhlich. Über die Revolution von 1956 ist auch schon viel geschrieben worden, leider kaum etwas über die Beteiligung von Ungarn - deutschen an diesem historischen Ereignis Ungarns. Da gibt es noch viel zu tun, vor allem seitens junger Historiker, die eine ande- re Sicht der Ereignisse haben. Nelu B. Ebinger O Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Vertreibung der Deutschen aus Ungarn 17. Januar 2016, Sonntag Deutschsprachige hl. Messe in der Pfarrkirche zu Budaörs Ge denktafelenthüllung am Bahnhof von Budaörs 18. Januar 2016, Montag Vortrag „Briefe der Vertriebenen an Eugen Bonomi” im Jakob Bleyer Heimatmuseum, Budaörs – verbunden mit einer Aus - stellung 19. Januar 2016, Dienstag: Chronik des Gedenktages der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen Konferenz zum 70. Jahrestag der Vertreibung der Ungarn - deutschen im Rathaus von Wudersch Integration oder weitere Diskriminierung? Eine Konferenz zum 70. Jahrestag der Vertreibung der Ungarndeutschen über die La - ge der Deutschen im Karpatenbecken in den 1950er Jahren leite- te den diesjährigen Gedenktag der Verschleppung und Ver trei - bung der Ungarndeutschen ein. Gastgeber des Symposiums wa - ren die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, die Konrad-Adenauer-Stiftung, das Jakob-Bleyer-Heimatmuseum zu Wudersch und der Stiftungslehrstuhl für Deutsche Geschichte und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa an der Universität Pécs. Austragungsort der ganztägigen Gedenkveranstaltung war die Stadt Wudersch, die bezüglich der Vertreibung eine besondere Rolle spielt: von dieser Stadt fuhr vor 70 Jahren der erste Zug mit aus Ungarn vertriebenen Deutschen nach Deutschland ab. In seiner feierlichen Konferenzeröffnung erklärte Otto Heinek, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, dass es eine bewusste Entscheidung gewesen sei, im Rahmen des internationalen Symposiums nicht die Vertreibung selbst zu the- matisieren. In den Mittelpunkt wurde nämlich das Jahrzehnt danach gestellt: wie sich die Vertriebenen in Deutschland integ - rieren konnten, und welche Unterschiede und Ähnlichkeiten es im Umgang mit den deutschen Minderheiten in Ungarn und sei- nen Nachbarländern gegeben hat. Heinek erinnerte daran, dass man in unserem Land das Thema der Vertreibung der Deutschen seit den 80ern öffentlich diskutiere. Er hob hervor: solche Kon - ferenzen seien wichtig, weil sie zur Schaffung eines ehrlichen Bildes über die Geschichte beitrügen. Frank Spengler, Leiter des Auslandsbüros Ungarn der Konrad- Adenauer-Stiftung brachte in seiner Eröffnungsansprache zum Ausdruck, dass die Anwesenheit hoher politischer Repräsentan - ten aus Deutschland und Ungarn bei den Gedenkveranstaltungen ein wichtiges Zeichen der Verbundenheit mit den Ungarn deut - (Fortsetzung auf Seite 14) 13