Sonntagsblatt 1/2016 | Page 12

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Kategorie „ Im Familien- , Bekannten- und Freundeskreis ge - sprochene Sprache ”, denn , wie Kapitány am konkreten Bei - spiel zeigt , ein bloßes Wien-Studium und die Angabe von Deutsch als im Freundeskreis gesprochene Sprachen hätte die Aufnahme in die Zugehörigkeitsgemeinschaft der Ungarn - deut schen bedeutet . Die Ergebnisse zeigen ferner , auf die fortschreitende sprachliche Assimilation hindeutetend , dass die Zugehörigkeit zur jeweiligen Nationalität die Kenntnis der jeweiligen Minderheitensprache gar nicht mehr voraussetze . Aber hier gebe es qualitative Unterschiede : So würden Natio - nalität ( an erster Stelle angegeben ) und Muttersprache weiterhin Hand in Hand gehen . Die Wahl einer „ zweiten ” Natio na - lität hätte gerade denjenigen das Tor geöffnet , die die Sprache nicht ( mehr ) beherrschten .
3 ) Die Möglichkeit sich zu einer „ doppelten Identität ” zu bekennen , würde uns heute vielfach zu einer besseren Abbildung ge - sellschaftlicher Realitäten führen , so Kapitány . Er betont aber auch , dass der Zuwachs in der Statistik nicht unbedingt einen Prozess einer Dissimilation , also nationales Erwachen bedeuten würde .
4 ) Wie in Punkt 1 bereits beschrieben sei der Zuwachs der Kate - gorie der „ zweiten ” Nationalität zu verdanken , und sogar noch mehr : Der Anteil derjenigen , die sich zur Minderheitengemein - schaft als „ erste ”, vordergründige Nationalität bekannt haben , bewege sich nach Berechnungen von Kapitány zwischen 20 % ( Slowaken ) und 39 % ( Kroaten ), bei den Ungarndeutschen liegt der Anteil bei 24 %. Also , über Dreiviertel der „ Ungarn - deutschen ” ist über andere Nationalitätenmerkmale mit der deutschen Minderheit verbunden als über die „ erste ” Natio - nalität / Volkszugehörigkeit . Dennoch zieht der Forscher gerade bei den Deutschen eine positive Gesamtbilanz , denn diese Gemeinschaft hätte einen tatsächlichen Zuwachs bei der „ ersten Nationalität ” von knapp 150 % erzielt , während die Zahlen bei den anderen fünf ausgewählten Minderheiten stagnierten . Dies führt er auf mehr Vertrauen der traumatisierten Deut - schen zur Institution „ Volkszählung ” zurück und keinesfalls auf demografische Faktoren . Hinsichtlich der Muttersprachkennt - nisse sind – wie auch die KSH-Statistiken deutlich zeigen – Rückschritte zu beobachten , hier verbüssten die Deutschen einen Rückgang von 15 % ( von denjenigen , die deutsche Volks - zugehörigkeit an erster Stelle angegeben haben ), ähnlich bei den Slowaken .
5 ) Interessant ist der Faktor Zuwanderung . Dies betreffe alle Nationalitäten , bei den Deutschen weniger , bei den Slowaken hingegen mehr : Der Anzahl der Slowaken mit ungarischem Pass , die slowakische Volkszugehörigkeit an erster Stelle angegeben haben , bewege sich mittlerweile in einem Bereich von unter 5000 , die der Deutschen aber immer noch das Sieben - fache .
6 ) Nicht weniger bemerkenswert ist eine andere Zahl : Hier hat man untersucht , wie der Wohnortwechsel auf das Bekenntnis auswirkt . Im Falle der Gemeinde Ohfalla / Ófalu in der Branau würden sich 89 % der Daheimgebliebenen zur deutschen Volks - zu gehörigkeit bekennen , aber nur 42 % der Umgezoge nen . Die ser Intragenerationsassimilationsprozess sei im gesamten Karpatenbecken einzigartig . Denn die madjarischen Gemein - schaften außerhalb der Landesgrenzen würde eher von einer Intergenerationsassimilation betroffen , die deren Existenz be - droht . Dies würde auch die hiesigen Nationalitäten betreffen , denn in ethnisch gemischten Familien sei die Gefahr groß , dass die ethnische Proportion von 50 – 50 % nicht eingehalten wird : Das bedeutet , dass sich die in gemischten Familien aufwachsenden Kinder in großer Mehrheit zum Madjarentum bekennen , der Anteil derer , die sich zur jeweiligen Nationalität be kennen , bewege sich zwischen 3 % ( Slowaken , 2011 , Vater Slo wa ke , Mutter nicht ) und 31 % ( Kroaten , 2011 , Mutter Kroatin , Vater nicht ). Aber selbst in homogenen Familien würden sich 1 – 2 von zehn Kindern bereits im Elternhaus nicht mehr zur Nationalität der Eltern bekennen . Und was aus vielen ungarndeutschen Familien bekannt ist , ist die Tatsache , dass die Chan ce , die Identität zu tradieren größer ist als die Sprache .
So fällt das Urteil von Balázs Kapitány mehr als deutlich aus : Der Zuwachs bei den Zahlen „ sind in praktischer Hinsicht sehr günstig für den ungarischen Staat , für die jeweilige politische Führung , denn es zeugt davon , dass die Lage der ungarländischen Minderheiten augenscheinlich gut ist , die Zahl ihrer Mitglieder wächst . Auf der anderen Seite dienen die Zuwächse als Legitima - tionsgrundlage auch für die Führungspersönlichkeiten der Min - der heitengemeinschaften , zumal seit 2011 mit diesen statistischen Angaben auch Finanzquellen und Steuerungsmöglichkeiten verbunden sind ”.
Während dessen aber wachsen fünf der sechs Minderheiten - gemeinschaften nicht mehr . Das ist an erster Stelle auf den hohen Anteil der Mischehen zurückzuführen , was Tor und Tür für eine vollständige Assimilation öffnet . Die größte Chance besitzt derjenige , der in einer ethnisch homogenen Gemeinde – ob es noch solche gibt ? – sein ganzes Leben verbringt . Die Zahlen deuten auf eine fatale Entwicklung für alle Nationalitäten hin : Die Repro duktion ist nicht gegeben , die wenigen positiven Veränderungen könnten die negativen Assimilierungstrends nicht stoppen . Die internationalen Migrationsströme könnten zwar rein demografisch Abhilfe verschaffen , aber die Zuwanderer würden kaum Be ziehung zu ihrer „ Abstammungsgemeinschaft ” in Ungarn aufbauen .
* Balázs Kapitány : A magyarországi történelmi kisebbségi közösségek demográfiai viszonyai és perspektívái 1990 – 2011 között ( Die demografischen Verhält - nisse und Perspektiven der ungarländischen anerkannten Minderheitengemein - schaften zwischen 1990 und 2011 ). In : Zeitschrift „ Kisebbségkutatás ”, 3 / 2015 , S . 69 – 101

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2016 70 Jahre seit der Vertreibung , 60 Jahre seit der Revolution

Schon wieder erinnern wir uns an Schicksalsjahre unserer Geschichte : Vor 70 Jahren begann am 19 . Januar 1946 die verhängnisvolle Vertreibung der Ungarndeutschen , vor 60 Jahren fand der Volksaufstand und die Revolution von 1956 gegen das kommunistische Regime und gegen die sowjetische Besatzung Ungarns statt .
Über die Vertreibung wurde in den vergangenen Jahren seit der Wende auch in unseren Reihen viel berichtet und es wird auch in diesem Erinne rungs jahr so manches zu verkünden sein . Deshalb begnügen wir uns diesmal mit einem Bericht von Lands mann Cornelius Mayer über sei - ne persönlichen Er leb nisse während der Aussiedlung aus Weindorf ( Pilisborosjenô ) am 2 . Mai 1946 :
„ Im Schuljahr 1945 / 46 besuchte ich die 6 . Klasse des Gymna siums in Stuhlweißenburg ( Székesfehérvár ). Schon in den Weih nachtsferien verbreitete sich in den deutschsprachigen Dörfern die Nachricht von der baldigen Vertreibung
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