der Schwaben aus Ungarn. Zwar kehrte ich am Ende dieser
Ferien in die Schule zurück, zu Ostern jedoch verabschiedete ich
mich aus dem Gym nasium, denn auch meine Familie stand auf der
Liste der Auszuweisenden.
Im Unterschied zu meinen Eltern, die wie alle Auszuweisenden
den Verlust ihres Hab und Gutes beklagten, sah ich der Ver -
treibung mit einem gewissen Optimismus entgegen. Dazu ermun-
terte mich der Bischof von Stuhlweißenburg, in dessen Studien -
seminar ich als Internatsschüler lebte. Bischof Ludwig Shvoy wuss-
te offensichtlich schon, dass wir in die von den Amerikanern ver-
waltete Zone Deutschlands gebracht würden, und vermutlich
ahnte er bereits damals, welch harte Zeiten dem ungarischen Volk
durch die sowjetische Besatzung noch bevorstehen sollten.
Wir hatten also unsere Habseligkeiten am. 2. Mai auf den Wa -
gen meines Onkels Heinrich Gier geladen und verließen das
Vaterhaus im Laufe des Vormittags. Zuvor schrieb ich mit der
Krei de an die Haustür den biblischen Satz aus dem Buch Hiob
Kapitel 1, Vers 21: »Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es ge -
nommen, der Name des Herrn sei gepriesen«.
Lebhaft erinnere ich mich noch an den jeweils letzten Blick auf
die Heimat: zunächst an den auf das Haus mit dem großen Gar -
ten, sodann an den auf die Gasse, in der unser Haus stand, und
schließlich bei der letzten Abbiegung beim Kreuz an der Straße
nach Budapest an den auf das Dorf, am Fuße eines Berges. Da -
zwischen spielten sich herzergreifende Szenen des Abschieds von
den zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten ab: von den
beiden noch lebenden Großmüttern, von den Onkeln und Tanten,
Cousins und Cousinnen und nicht zuletzt von den Freunden.
Am Bahnhof von Schaumar (Solymár) stand der Zug mit etwa
25 Viehwagons für je 30 Personen. Nun galt es, sich so gut es ging,
uns darin einzurichten und uns zu arrangieren. Wir verbrachten
die Nacht noch auf dem Bahnhof. Am frühen Morgen des folgen-
den Tages etwa um 5 Uhr begann dann die Reise ins Ungewisse.
Heute, 60 Jahre nach jenen unvergessenen Ereignissen, bricht
es mir schier das Herz, wenn ich der damals schon erwachsenen
Landsleute, der Väter und Mütter von Familien gedenke und
deren Ängste und Leiden bei der Vertreibung ermesse. Was mag
sich in ihrem Inneren abgespielt haben? Vor rund 250 Jahren hat
man ihre Vorfahren nach Ungarn gerufen, um das wirtschaftlich
darniederliegende Land wieder aufzubauen, wozu sie bekanntlich
nicht wenig beitrugen.
Da ich mich in letzter Zeit mit der Geschichte unserer Vor fahren
intensiv zu beschäftigen gehabt habe, vermag ich das Leid, das man
diesen fleißigen Donauschwaben im Laufe der zweieinhalb
Jahrhunderte ihres Lebens in Ungarn zufügte, das dann mit der
Vertreibung seinen Höhepunkt fand, jetzt erst recht einzuschätzen.
Aber wie so oft in der Geschichte wandte sich auch ihr Ge -
schick, wandelte sich ihr Leid in Freude. Auf sie alle, die seit Ende
des 17. Jahrhunderts nach Ungarn zogen, nunmehr aber wieder in
ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren mussten, passen die
Texte aus dem Psalm 125: »Wende doch, Herr, unser Geschick, wie
du versiegte Bäche wieder füllst im Südland. Die mit Tränen säen,
werden mit Jubel ernten. Sie gehen hin unter Tränen und tragen
den Samen zur Aussaat. Sie kommen aber mit Jubel wieder und
bringen ihre Garben ein« (Verse 4–6).
Unsere Vertreibung – so muss ich mich heute fragen – glich sie
nicht eher der Heimkehr aus einer Gefangenschaft?! Haben wir
nicht gerade durch jene schrecklichen Ereignisse den Verlust
unserer kulturellen Identität wiedererlangt?! Und haben wir im
Nachhinein nicht allen Grund, auch die Verse 2–3 des Psalms auf
uns zu beziehen?! »Damals« (bereits) – so der fromme Beter –
»sprach man unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen
getan. Ja« – so dürfen auch wir heute bekennen: Großes hat der
Herr an uns getan. Da waren wir fröhlich.
Über die Revolution von 1956 ist auch schon viel geschrieben
worden, leider kaum etwas über die Beteiligung von Ungarn -
deutschen an diesem historischen Ereignis Ungarns. Da gibt es
noch viel zu tun, vor allem seitens junger Historiker, die eine ande-
re Sicht der Ereignisse haben.
Nelu B. Ebinger
O
Feierlichkeiten
zum 70. Jahrestag
der Vertreibung
der Deutschen aus Ungarn
17. Januar 2016, Sonntag
Deutschsprachige hl. Messe in der Pfarrkirche zu Budaörs
Ge denktafelenthüllung am Bahnhof von Budaörs
18. Januar 2016, Montag
Vortrag „Briefe der Vertriebenen an Eugen Bonomi” im Jakob
Bleyer Heimatmuseum, Budaörs – verbunden mit einer Aus -
stellung
19. Januar 2016, Dienstag:
Chronik des Gedenktages
der Verschleppung und Vertreibung
der Ungarndeutschen
Konferenz zum 70. Jahrestag der Vertreibung der Ungarn -
deutschen im Rathaus von Wudersch
Integration oder weitere Diskriminierung? Eine Konferenz zum
70. Jahrestag der Vertreibung der Ungarndeutschen über die La -
ge der Deutschen im Karpatenbecken in den 1950er Jahren leite-
te den diesjährigen Gedenktag der Verschleppung und Ver trei -
bung der Ungarndeutschen ein. Gastgeber des Symposiums wa -
ren die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, die
Konrad-Adenauer-Stiftung, das Jakob-Bleyer-Heimatmuseum zu
Wudersch und der Stiftungslehrstuhl für Deutsche Geschichte
und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa an der Universität Pécs.
Austragungsort der ganztägigen Gedenkveranstaltung war die
Stadt Wudersch, die bezüglich der Vertreibung eine besondere
Rolle spielt: von dieser Stadt fuhr vor 70 Jahren der erste Zug mit
aus Ungarn vertriebenen Deutschen nach Deutschland ab.
In seiner feierlichen Konferenzeröffnung erklärte Otto Heinek,
Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen,
dass es eine bewusste Entscheidung gewesen sei, im Rahmen des
internationalen Symposiums nicht die Vertreibung selbst zu the-
matisieren. In den Mittelpunkt wurde nämlich das Jahrzehnt
danach gestellt: wie sich die Vertriebenen in Deutschland integ -
rieren konnten, und welche Unterschiede und Ähnlichkeiten es
im Umgang mit den deutschen Minderheiten in Ungarn und sei-
nen Nachbarländern gegeben hat. Heinek erinnerte daran, dass
man in unserem Land das Thema der Vertreibung der Deutschen
seit den 80ern öffentlich diskutiere. Er hob hervor: solche Kon -
ferenzen seien wichtig, weil sie zur Schaffung eines ehrlichen
Bildes über die Geschichte beitrügen.
Frank Spengler, Leiter des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-
Adenauer-Stiftung brachte in seiner Eröffnungsansprache zum
Ausdruck, dass die Anwesenheit hoher politischer Repräsentan -
ten aus Deutschland und Ungarn bei den Gedenkveranstaltungen
ein wichtiges Zeichen der Verbundenheit mit den Ungarn deut -
(Fortsetzung auf Seite 14)
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