von der Ingroup und der Outgroup zeigten sich auf der ethnisch-
nationalen Ebene in den Kontexten religiöser Symbolen der natio-
nalen Gesamtkenntnisse. Die Übernahme der ungarischen Narra -
tive, so ein mit der Mehrheit geteiltes Interaktionsfeld, worauf sich
die Selbstdefinition des Schwabentums aufbauen konnte. Ein wei-
teres Beispiel sind dafür die Gedanken von Pater Paul Schrotty:
„Der hl. römisch-katholische Glaube, der Marianische Charakter
unseres Vaterlandes, die heilige Krone […] In diesen Zeichen wer-
den wir fliegen!” In dieser Interpretation wurde die Offe nheit der
Grenze zwischen „uns” und „sie” auch betont, die aus den Werten
vom christlichen Universalismus folgte. Unter diesem Aspekt
bezeichnend ist eine Abfassung von Hufnagel: „Wie ein offenes
Buch liegt mein Leben vor jenen, mit denen ich während meiner
Tätigkeit in Berührung kam. Und niemand kann mich der Untreue
gegen mein Vaterland und mein Volkstum beschuldigen. Ich liebe
mein ungarisches Vaterland und ich bin stolz auf mein schwäbisches
Volkstum. Wollte mir deshalb jemand nahetreten, so sind Herz und
Sinn, Mund und Faust zur Verteidigung bereit. Aber vor allem bin ich,
wie alle Schwaben, ein Christ.”
Dessen ungeachtet, das Deutsche als Element der ungarischen
nationalen Identität zu etablieren, wurde das, was Deutsche, Dif -
fe renzierende ausmacht sorgfältig ausgearbeitet. In diesem
Zusammenhang erschienen die synchron-diachronen Dimensio -
nen der deutschen ethnischen Kultur. Einerseits mit dem Be -
streben, dass die deutsche Minderheit sich je als soziale Gruppe
für sich selbst und für die anderen äußert und darlegt. An -
dererseits betonte das Blatt die Offenheit der deutschen-ethni-
schen Kultur, die es der Mehrheit zeigen wollte und zur An -
nährung dieser anregte. Den Grundton lieferte das Büchlein Die
neue Heimat vom Chefredakteur der Zeitung, Johann Faul-Farkas.
Der zum Bestseller gewordene 1922 in der Bücherreihe des
Sonntagsblattes erschienene Roman erzählt die Ansiedlung der
Deutschen in Ungarn. Im Mittelpunkt steht die wohlgemutete,
allwissende Figur von Pfarrer Wolf, der nicht nur als Seelsorger
wirkte, sondern er war Vertrauens- und Gewährsperson der deut-
schen Gemeinschaft in der neue Heimat. „Bleibt deutsch in Art und
Wesen, in Brauch und Sitte, mit Herz und mit der Zunge!” – lautet
die Mahnung des Pfarrers. Unter diesem Aspekt veröffentlichten
die Pfarrerautoren religiöse historische Erzählungen aus der
Ansiedlungszeit der deutschen Dörfer. Als Beispiel hierfür kann
von Alfonz Pillmann die Geschichte des Maria-Gnadenortes in
Csobánka angeführt werden. Hier bekam der lokale Marienkult
einen multikulturellen Charakter – mit der Denkart des Regnum
Marianum. Dabei ging es um ein zweifaches Anliegen: die Bewah -
rung der eigenen Gebräuche und das „Zuhause” Gefühl in der
neue Heimat. Auf diesen Richtlinien begann auf den Appell von
Pater Elmar Schwartz hin eine systematische Sammlung der deut-
schen kulturellen Traditionen im Sonntagsblatt, die sich an die
Wellen der ungarischen ethnografischen Sammlungen anschloss.
Auf der anderen Seite der Funktionalität der deutschen ethni-
schen Kultur stellte das Blatt das Problem der Durchsetzung der
Minderheitenrechte vor. Im Mittelpunk stand die Schulfrage, die
von Bleyer als „das Fundament aller Volksbildung” betrachtet
wurde. Die Lesebriefe konfrontierten ihn mit dem schweren Man -
gel an Deutschsprachkenntnissen. Einer dieser Briefe aus dem
Komitat Branau macht es deutlich: „[…] Sowi zum pezschbil sint
die plut leise tikift ráupben unt noh ántere schathaftes unkeziver
sówiti schriftleitunk ám 14 april im sontáksblát uns mitketeilt hát,
aber ich kann niht alles klár fer schten darum wente ich mih nohmals
anter schriftleitunk däs sontaksblates um tise mitel was ih niht fer
schtánten hábe mir tán áuf meine vrake antwort keben.”
Eine deutlich mit dem Ungarischen vermischte Rechtschrei -
bung. Aus diesem Aspekt konzentrierten sich die Pfarrer auch auf
die Abbildungen der von der Kirche gepflegten Wertkanons. Die
Schriften von Domherrn Huber konfrontierten das Verhalten des
Klerus mit den Anforderungen, damit sie die Rechte zur Mut -
tersprache durchsetzten.
Mit den kulturellen Richtungen eng im Zusammenhang setzte
das Blatt als gegenwärtige Basis der Identifikationselemente des
Zusammengehörigkeitsgefühls die Abbildungen der sozioökono-
mischen Thematisierung in die Sichtweite. Darin definierten sich
die sozialen Klüfte des Dorfes und die darauf gegebenen eigene
Antworten als die Erscheinung der Akkulturation. Bleyer schrieb
1922 darüber: „Ganz anders als früher, vor etwa einer Generation,
sieht es heute in den meisten deutschen Gemeinden aus! Eine Gehäs -
sigkeit und nackte Selbstflucht, eine Zerrissenheit hat, wie dies früher
nie zu sehen nie zu spüren war. Ein Teil der Bauernschaft, der wohl -
ha bendere Teil, strebt in Äußerlichkeiten, in Kleidung, in der Einrich -
tung seiner Wohnung, der „Herrenleute” nach. Die Folge davon ist,
dass sie sich ihres Bauerntums, und was noch lächerlicher und
würdeloser ist, ihres Schwabentums und ihres positiven Christentums
schämen… Den Gegenpol dieser Kategorie bilden der kleine Land -
wirt und der Taglöhner, die „Arbeiter”. Sie haben zumeist die Luft der
zunächst gelegenen Stadt eingesogen. […] Sie können nicht viel ge -
nug verdienen und nicht wenig genug arbeiten. […] Die Folge davon
sind Armut, Unzufriedenheit, Proletarisierung. Man kennt in diesen
Kreisen keine Autorität, aber auch keine Treue und Liebe; man schei-
det ebenfalls aus der Volksgemeinschaft und entwurzelt sich aus
seinem Boden.” Diese Interpretation brachte der zur Identifi ka -
tion gehörende Zuschreibungen mit der Erweiterung der schwä -
bischen wirtschaftlichen Dimensionen. Im Mittelpunkt stand die
Bodenfrage. Pfarrer Franz Bräutigam aus Szakadát brachte in die
Diskussion die kulturelle Entwicklung der Bauernschaft, als
Beispiel führte er die westlichen Bauernstaaten, die Niederlande,
Belgien und Dänemark an. Bräutigam mobilisierte auch die
Dörfer. Im Jahr 1923 rief er die Bauern auf den Christlich-So -
zialisten Kongress: „[…] aus dem Nichts und durch Nichts kann
nur Gott schaffen. Wenn die Menschen schaffen wollen, müssen sie
zusammenhalten.” Für die anderen Segmente waren die Publika -
tionen von Pfarrer Heißenberger aus Budaörs und Hufnagel be -
zeichnend.
Fortsetzung folgt
O
Gedanken zum politischen
Vermächtnis J. Bleyers
von Georg Krix
Unser Leitartikel im letzten Sonntagsblatt endete mit einem Ble -
yer-Zitat, das man als sein politisches Vermächtnis deuten kann,
obwohl dieses von ihm selbst nicht als solches gedacht war. Zu r
besseren Erinnerung soll es nochmal hier stehen:
„Auch mich beschleichen oft Zweifel, ob der Kampf, der für mich
Lebenskampf geworden ist, zum Sieg führen wird oder nicht. Soweit
sein Ausgang von den ungarischen Chauvinisten abhängt, ist er na -
tür lich hoffnungslos. Diese haben sich seit dem Weltkrieg gar nicht
geändert, sie sind höchstens noch unduldsamer geworden, als es vor
dem Weltkrieg der Fall war. Der Kampf wird aber schließlich von der
Stellungnahme des Deutschtums entschieden. Natürlich nicht des
ungarländischen Deutschtums, das machtlos und eingeschüchtert ist,
sondern des großen Deutschtums. Verhält sich dieses dem bedrohten
Auslandsdeutschtum gegenüber so teilnahmslos und gleichgültig wie
vor dem Weltkrieg, dann ist das ungarländische Deutschtum unent -
rinnbar dem Untergang geweiht, und dann war mein Leben ein
großer Irrtum. Ist es aber entschlossen, sich für die Volksgenossen
außerhalb des großen deutschen Sprachgebiets unbeirrbar bis zum
Ende einzusetzen, so wird sein Wille unbedingt und endgültig durch-
dringen.”
(Fortsetzung auf Seite 8)
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