Diese Zeilen stammen aus einem Brief Bleyers, geschrieben im
Juni des Jahres 1932. Zu einer Zeit, als der von ihm erwähnte
Kampf sich erst so richtig zuspitzte, als seine Volkstumspolitik
mehr und mehr klare, schärfere Konturen annahm. Niemand
konnte ahnen, dass 18 Monate später Bleyer sein deutsches Volk
in Ungarn für immer verlassen wird.
Um diese als „Vermächtnis” eingestuften Zeilen richtig verste-
hen zu können, müssten wir Bleyers Lebensweg gut kennen, was
bei unseren Landsleuten von heute leider nicht zutrifft, da Bleyer
in ungarndeutschen Kreisen allgemein nicht – oder eben kaum –
bekannt ist, nachdem er ja von Selbstverwaltung und Presse totge-
schwiegen wird. Warum? – dafür weiß ich keine Erklärung.
Erziehung in zwei Kulturen
Im Elternhaus wurde Jakob Bleyer so ganz selbstverständlich
„schwäbisch” erzogen, nach alten Sitten und Bräuchen, streng kat -
holisch, die ortsübliche deutsche Mundart sprechend. Doch der
begabte Junge sollte ja „etwas werden”, also brachte man ihn mit
11 Jahren nach Neusatz/Újvidék in das ungarische Gymna sium. In
seinem später verfassten Abschied vom Elternhaus (siehe nachste-
hend) klingt bereits der „große Wechsel im Leben” heraus.
Ich spielt mein letztes Kinderspiel
So froh und sorgenfrei.
Da schlug hinein die Scheidestund,
Und alles war vorbei.
Zwar schweren Herzens zog ich an
Ein neues, feines Kleid.
Das alte schlichte zog ich aus;
Die Kinderseligkeit.
Da küsste ich heiß dem Mütterlein
Die blasse, welke Wang;
Sie weinte, weil mir ward ums Herz
So bang, so sterbensbang.
Die Pferde zogen traurig an,
Das Tor flog stöhnend zu.
Verschlossen hat’s auf ewig mir
Der Kindheit Glück und Ruh.
Hier im Gymnasium versuchte man nun aus dem Schwaben -
jungen einen echten Madjaren zu erziehen. Nicht eben ohne
Erfolg. Ungarische Sprache, ungarische Geschichte, madjarischer
Geist… Die Umerziehung fand im Kalotschaer Jesuitengym -
nasium ihre Fortsetzung. Glücklicherweise gab es hier auch „deut-
sche” Lehrkräfte aus dem Ausland, die das angeborene Volks -
bewußtsein des begabten Schülers stärkten, so dass Bleyer bereits
in der vierten Klasse des Gymnasiums sich den Scherznamen
„Pangermane” zuzog. So kam es, dass er sich wider Erwarten nach
dem Abitur nicht dem Theologiestudium, sondern der Philologie
zuwandte.
In Budapest begann er das Studium der Germanistik, der
deutschen Sprache und Literatur. 1897 wurde er an der Univer -
sität Budapest zum Doktor promoviert. Sehr bald wurde er als
Wissenschaftler – Forscher, Historiker – auch über die Landes -
gren zen hinaus bekannt.
Sein Lebenswerk galt der Erforschung der geistigen und kul-
turhistorischen Zusammenhänge zwischen Madjarentum und
Deutschtum, besonders der Förderung der kulturellen Interessen,
der volklichen Eigenheiten und Traditionen des deutschen Volkes
in Ungarn, um diesem einen neuen Glauben an sich selbst zu ge -
ben, denn die Madjarisierungspolitik des Staates hatte ihn zer-
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stört. Er war fest davon überzeugt, auf Wahrheit eingestellte For -
schung werde allen deutschen Volksgruppen das unverlierbare
Bewusstsein einprägen, dass sie in ihrer Heimat keine Fremden
seien und ihnen die Würde europäischer Kulturträger zukomme.
Seine Arbeiten erstreckten sich bald auf die Erforschung aller
geistes- und kulturhistorischen Zusammenhänge zwischen Madja -
rentum und Deutschtum. Deshalb gründete er 1929 die Deutsch–
Ungarischen Heimatblätter, in denen die ungarländischen Deut -
schen, die Donauschwaben, als Volk das hauptsächliche Ziel sei-
ner und seiner Schüler Untersuchungen wurden. Die vier Jahr -
gänge der von ihm gegründeten Heimatblätter, die bis zu Bleyers
Tod erschienen, sind das Bedeutendste und Vielfältigste, was die
Deutschtumsforschung in Ungarn jemals hervorbrachte; sie be -
wirkten, dass sich die Geschichtserforschung in diesem Land von
der Staats- zur Volksgeschichte hinzuwenden begann.
Der durch Jahrhunderte andauernde tiefgreifende geistige
Einfluss, die während der Türkenkriege „beharrliche, mitleidige
Hilfe” des deutschen Volkes und dessen Anteil an Ungarns Be -
freiung und Wiederaufbau waren offensichtlich zu groß, als dass
der Nationalstolz der Madjaren es ertragen konnte. Graf Stefan
Széchenyi und seit ihm die madjarischen „geistigen Fackeln”
wandten sich zunehmend dem Osten zu; die ungarische Literatur
nahm eine entschieden deutschfeindliche Haltung an; aus dem
Retter und Helfer machte man allmählich den „größten Feind und
ältesten Fluch des Madjaren.”
Stolpersteine auf dem Lebensweg Jakob Bleyers
Diesen deutschfeindlichen Charakter der ungarischen National -
literatur und der gesamten madjarischen Geistigkeit hat Bleyer
nicht durchschaut, obwohl der Betrug mit der leidenschaftlich ver-
breiteten Kurutzenideologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts of -
fen kundig geworden war und der „Turanismus” sich mit bewusst
deutsch- und europagegnerischen Geschichtsfälschungen u