Sonntagsblatt 1/1997 | Page 6

Roman Herzog :

Ungarns Minderheitenpolitik ist beispielhaft ______

Bundespräsident Roman Herzog kam nach Ungarn , sah , hörte - und lobte . Seine Anerkennung galt den Grundverträgen des Landes mit nachbarn , insbesondere aber Ungarns Minderheitenpolitik . Die sei seit Jahren mustergültig und erhöhe Ungarns Chance , elegant und mit Erfolg den Anschluß an die EU und die NATO zu schaffen . Ungarns Erfahrungen können auch in Ländern der Union verwertet werden . Das Minderheitengesetz , dessen Nutznißer auch die Ungarndeutschen sind , zeige von der Reige der jungen Demokratie .
Das war klangvolle Musik - Balsam - für madjarische Ohren . Willkommene Worte für fette Schlagzeilen in Zeitungen . Rundfunk und Fernsehen posaunten sie in die Ätherwellen hinaus . Täglich gleich mehrmal .
Er habe erfahren können , daß die Ungarndeutschen in Frieden mit der Mehrheitsbevölkerung Zusammenleben , daß ihre Lage sowohl im Sczulwesen als auch in der Kulturpflege frei ist von Konflikten - konnte man in Zeitungen lesen . Gleich daneben oder darunter scharfe Kritik am Schulwesen der madjarischen Volksgruppe in der Slowakei . Auch in Rundfunk und Fernsehen war dies die Reihenfolge der Berichterstattung .
Fotos zeigten Deutschlands ersten Mann in heiterer , familiärer Runde mit Schaumarer Frauen in Volkstracht . Mit ihnen konnte er sogar deutsch reden . Sie sangen Lieder , “ wie sie auch bei uns gesungen werden ”.
Eine Seite der Münze
Alles einfach mireißend .
Roman Herzog sah während seines dreitägigen Besuches Ende Februar , was man ihm zeigte . Und er hörte , was man ihm sagte . Dementsprechend fiel die Meinungsbildung aus . Er traf mit dem Staatspräsidenten Árpád Göncz , der ihn eingeladen hatte , und mit dem Regierungschef Gyula Horn zusammen , nahm an einem Rundtischgespräch mit Volksgruppenführern teil , stattete in Schaumar einen Besuch ab und summierte seine Eindrücke auf einer Pressekonferenz und in einer Rede im Parlament . Sein Weg führte ihn aber auch in die Synagoge , vor der Holocaust-Überlebende auf Transparenten von Deutschland Entschädigung forderten , auf die Universität Budapest und nach Ostungam . Beim Rundtisch-Gespräch im noblen
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Hotel Kempinski informierten ihn der Staatssekretär und der parlamentarische Beauftragte für Minderheitenfragen , Csaba Tabajdi und Jenő kaltenbach sowie Leiter der Landesselbstverwaltungen der ungarlänmdischen Volksgruppen . Da konnte der Bundespräsident unter anderem erfahren : Ungarn habe seit 1993 ein Minderheitengesetz , das zwar abgeändert werde müsse , das jedoch eine Grundlage des friedlichen Zusammenlebens bilde , einem jeden freie Identität gewähre , das Wirken von Selbstverwaltungen ermögliche und das Recht auf umfassende Beziehungen zu den Mutterländern einräume .
Die parlamentarische Vertretung der Volksgruppen sei im Grund- und auch im Minderheitengesetz verankert . Man sei dabei , demnächst dieses Problem zu lösen , das Schulwesen zu verbessern , die Finanzierung aufzustocken .
Deutschland wurde Dank ausgesprochen “ für die moralische und materielle Unterstützung für die Ungarndeutschen ”.
Das Gehörte beeindruckte offensichtlich .
Das schöne Schaumar
In Schaumar bei Budapest hatte Herzog eine recht angenehme Zeit . Genauso wie Richard von Weizsäcker 1986 und später andere deutsche Politiker . Der damalige Bundespräsident - wie auch schon früher Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher - fanden Ungarns Minderheitenpolitk ebenfalls beispielhaft .
Bürgermeister Ladislaus Enczmann , Mitglied des örtlichen Männerchores , schilderte die Geschichte des ehemals deutschen Ortes , aus dem 1946 über 2.000 menschen wegen ihrer deutschen Herkunft vertrieben wurden , wo aber auch heute noch etwa 2.000 Deutsche leben . ( Insgesamt 7.800 Einwohner ). Davon zeugen auch die deutschen Ortstafeln an den Einfahrten und deutsche Aufschriften an öffentlichen Einrichtungen .
Im Ort wirken eine deutsche Selbstverwaltung , die mit der Siedlungsselbstverwaltung eng zusammenarbeite , und gleich mehrere deutsche Kulturgruppen . Im Kindergarten und an der Grundschule können die Kinder auch Deutsch lernen . Auf Anregung des Heimatvereins und mit deutscher Hilfe wurde eine Begegnungsstätte eingerichtet . In der Kirche gibt es auch deutschsprachige Gottesdienste . Zu Wüstenrot in Baden-Württember , wo
Roman Herzog Kultus- und Innenminister war , bestehen ersprießliche Kontakte .
Fürwahr : Das alles läßt sich hören und sehen . Und kann gelobt werden . Es sollte viele - mehr - Schaumar geben . Die Münze hat freilich auch in Schaumar zwei Seiten ...
LdU-Vorsitzender Lorenz Kerner sprach vom konfliktfreien Zusammenleben der Ungarndeutschen mit dem Mehrheistvolk , würdigte die Unterstützung des Mutterlandes - es handle sich um jährlich rund 2,5 Millionen DM - äußerte den Wunsch der Volksgruppe nach parlamentarischer Vertretung und verwies auf die geringe Zahl der Deutschstunden in mehreren Schulen .
Herzog ermunterte die Ungarndeutschen , weiterhin gute Kontakte zum Mehrheitsvolk , zu Deutschland und zu den Vertriebenen zu pflegen .
An Denkmal zur Erinnerung an die Vertreibung von Schaumarern legte er einen Kranz nieder .
Zum Programm gehörten kulturelle Darbietungen . Jugendliche führten schwungvoll deutsche Tänze vor , der örtliche Frauenchor sang gekonnt althergebrachte deutsche Volkslieder . Die Sängerinnen umringten den hohen Gast und ließen sich mit ihm fotografieren .
Ein unvergeßliches Erlebnis für alle .
Erwartungen und Hoffnungen
Ungarns Minderheitengesetz und - politik zollen eigentlich nur mehr deutsche Politiker uneingeschränkte Anerkennung , gewöhnlich verbunden mit Dank für die Öffnung der Grenze 1989 .
In Ungarn selbst greift eher Kritik um sich . Ähnlich schallt es auch von draußen rein .
Deutsche in Belgien , Dänemark und Südtirol oder Dänen in Deutschland beispielsweise wollen bestimmt nicht in die Lage der Ungarndeutschen versetzt werden und auch nicht Ungarns Minderheitenpolitik erfahren .
Bleibt die Hoffnung : Lob kann auch anspornend wirken . Vielleicht fühlt sich Ungarn auch dadurch verpflichtet , in seiner Minderheitenpolitik tiefgreifende Änderungen vorzunehmen . Um der Anerkannung und auch Europas Erwartungen zu genügen . Auch im Alltag , in Wirklichkeit . Und vielleicht raffen sich auch die Ungarndeutschen zusammen .
G . Hambuch
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