Sonntagsblatt 1/1997 | Page 2

Minderheiten ohne Sprachen ■ Ende der Magyarisierung
Fortsetzung von S . 1
Minderheiten ohne Sprachen ■ Ende der Magyarisierung
regierungsamtlich bestätigt : Der Sprachverlust und der kulturelle Einschmelzungsprozeß der ungarländischen Minderheiten ist - mit Ausnahme der Zigeuner - weit fortgeschritten . Genauer , fast abgeschlossen . Der Assimilationsprozeß der Minderheiten in Ungarn ist in seinem Endstadium . Gründe werden nicht genannt . Das ist das Eine der ministeriellen Offenbarung . An dieser Diagnose gibt es nichts zu monieren . Die zweite Botschaft des Berichts heißt : Keine weitere Magyarisierung mehr ! Die Logik dieser Schlußfolgerung ist umwerfend . Wozu auch , und wen wollte man noch magyarisieren ? Wen sollte - und könnte -man noch aus seiner angestammten Ethnie herauslösen und in die sprachlich-kulturell einheitliche Nation einschmelzen ? Das Reservoir ist ziemlich erschöpft . Die einzig verbliebene , assimilationsresistente Volksgruppe sind die Zigeuner . Wobei die Zigeuner auch nie Zielgruppe der hundert Jahre währenden „ Integrationskraft “ der Staatsnation und deren Minderheitenpolitik waren .
Sind wir nun tatsächlich am Ende , wie aus dem Bericht zu folgern ist ? Sind wir am Ende einer historischen Entwicklung angelangt , die mit dem Aufbruch der Reformzeit und der Revolution 1848 als nationale Emanzipation der Völker Europas so verheißungsvoll begann ? Eine Revolution für die nationale Unabhängigkeit , deren Führer , Lajos Kossuth in einem programmatischen Satz alles zusammenfaßte , was in seiner Auswirkung wenige Jahrzehnte später seinen unheilvollen Lauf nahm : „ En soha , de soha a magyar szent korona alatt más nemzetet és nemzetiséget , mint a magyart , elismerni nem fogok . Tudom , hogy vannak emberek és népfajok , akik más nyelvet beszélnek , de egy nemzetnél több itten nincsen !“ ( Ich werde nie , aber auch niemals unter der ungarischen Krone eine andere Nation oder Nationalität , als die ungarische , anerkennen . Ich weiß , es gibt Menschen und Volksrassen , die eine andere Sprache sprechen , doch mehr als eine Nation gibt es hier nicht !) So sprach Kossuth , der die nationale Emanzipation ausschließlich für sein eigenes Volk aber nicht für die anderen Nationen des Landes proklamierte , im Unterhaus am 11 . Dezember 1847 . Von hieran ging er nur noch bergab mit uns .
Schwebende Identität - Studentische Hoffnung
Sind wir am Ende unserer Geschichte angelangt ? Was können wir noch retten ? Für viele deutschstämmige Ungarn ist nur mehr eine verklärte Reminiszens das Bindemittel zum Deutschtum : der deutsche Familienname , vergilbte deutsche Gebetbücher , die von den Großeltern vermittelten Erzählungen vom deutschen Leben ihrer Jugedzeit . Die meisten haben sicher die ethnische Grenze überschritten . So wie es der Politologe József Bayer ausdrückt , „ nyelvemben , kultúrámban magyarul vagyok programozva .“ Eine Dissimilation wird es nicht geben . Sie wäre töricht ! Aber noch sind wir nicht ausgestorben ! Das Engagement der jüngeren Garde in der neuen Landesselbstverwaltung ist unbestreitbar und darf nicht unerwähnt bleiben . Die Jugend wird organiseiert ( GJU ), Hochschüler formieren sich ( VDSt Fünfkirchen ). Die mit erfreulich guter Sprachkompetenz versehene Studentenschaft gründet gerade einen landesweiten Verein . Neue Gesichter . Neue Hoffnungen . Wenn auch manche im Lande in wechselnden Gewändern in die Geschicke eingreifen wollen , darf man ihnen die gute Absicht nicht absprechen . Selbst jene , als „ neudeutsche Konjunkturritter “ Verspottete , die auf großangelegten Bürgerbällen mit ungarndeutscher Folklore und mit magyar nóta , aber ohne eine deutsche Begrüßung von sich Reden machen , auch jene sind Teil eines Gärungsprozesses , der noch nicht endgültig beurteilt werden kann .
Deutsch als Selbstverwaltungssprache
Entscheidend in dieser Frage ist aber die Haltung der Repräsenationsorgane der Volksgruppe . Wie halten es die Selbstverwaltungen mit ihrem Deutschtum ? Dominieren in den Selbstverwaltungen überzeugte Ungarndeutsche oder sitzen dort zahlreich opportunistische „ Konjunkturdeutsche “? Wie viele Selbstverwaltungen sind dazu übergegangen , als Sitzungs- und Protokollsprache jene Sprache zu bestimmen , für die sie sich nach ihren eigenen Verlautbarungen mit aller Kraft einsetzen wollten : die deutsche Sprache ? Ich fürchte , noch keine . Weder in unseren schwäbischen Gemeinden , noch in den Städten . Weder in Fünfkirchen noch in Budapest . Und wie hält es die Zentrale in Budapest , die Landesselbstverwaltung ? Haben wir überhaupt einen einzigen Verein im Lande , der seine Versammlungen in deutscher Sprache abhält ? Sollte es nicht zur Bedingung gemacht werden , daß Vorstandsposten nur von deutsch sprechenden Kandidaten besetzt werden sollten ? Eine zielorientierte Anregung , die nicht als Ausgrenzung gedeutet werden darf . Wir wollen doch voran kommen . Wir wollen doch den tödlichen Teufelskreis des Sprachverlusts durchbrechen .
Wie soll das je gelingen , wenn nicht die Führungsmannschaften den Anfang machen ? Die N . Z . hat seinerzeit immer die neu entstandenen Selbstverwaltungen vorgestellt . Wäre es nicht möglich in einer Neuauflage , jene Selbstverwaltungen zu präsentieren , die nachgewiesenermaßen die deutsche Sprache als Tagungssprache zwingend einführten .
Sprache ! - nicht bő gatya
Gewiß , es ist nicht leicht , aber nur mit einer konsequenten Sprachdisziplin allier Beteiligten wird es uns gelingen in der alles entscheidenden Sprachenfrage einen Schritt voran zu kommen . Es müßte doch endlich allen aufgehen , daß darin unsere Rettung oder unser Ende liegt . Alles andere ist Selbstbetrug ! Natürlich sind Volkstänze , Volkstrachten und Volkslieder vergangener Zeiten ein Kulturgut . Sie sollen auch gepflegt werden . Sie sind Teil unseres Kulturerbes , unserer Identität . Aber man muß wissen , sie werden nur mehr gepflegt , sie werden nicht mehr gelebt ! Sie sind ein Attribut vergangener Zeiten . Die Substanz eines Volkes ist und bleibt aber die Sprache ! Verlieren wir die Sprache vollends , werden wir auch verloren sein . Sehr trefflich formulierte der ungarische Sprachforscher Apáczay Csere János , als er sagte : „ Egyetlen botunk , batyunk , fegyverünk az anyanyelvűnk .“ Auch für ihn war die Sprache seines Volkes das Entscheidende , nicht die bő gatya . Auch die Jugend von heute träfgt keine donauschwäbische Tracht , sie tanzt in der Diskothek keinen Seppelpolka und singt - wenn überhaupt - nicht „ Es scheint der Mond so hell in dieser Nacht “. Gewiß sind Fortbildungskurse über das alltägliche Verhalten , wie sie jüngst in Fünfkirchen veranstaltet wurden , „ Wie serviere ich ? Wie esse und trinke ich in Gesellschaft ? Wie stelle ich mich vor ?“. Nicht schlecht , wenn , ja wenn sie in deutscher Sprache abgehalten werden . Werden sie ungarisch abgehalten , bewirken wir damit auch nur das , was wir eigentilich verhindern wollten : Die endgültige und vollkommene Assimilierung . Essen und trinken kann man schließlich in allen Sprachen und in jeder Identität gleich .
Johann Till
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