SchollZ 7/2021 Nr. 26 | Page 58

Bulgarien angestellt sind . Da hat die EU gesagt : Das geht so nicht . Die Menschen sollen den Lohn dort bekommen , wo sie arbeiten . Das wurde dann auch beschlossen mit ein paar kleinen Einschränkungen . Wir hatten z . B . das Problem mit den LKW-Fahrern . Das war ein Riesenproblem , weil wir in Deutschland gesagt haben , dass wir wollen , dass die anständig bezahlt werden . Das ist einfach unser Menschenbild . Wir haben gesehen , unter welchen Bedingungen die Fahrer sich dann mit Schlaf und Essen nur versorgen können . Diese ungesund bedingte Lebensweise ist dann natürlich auch eine Gefahr , weil sich die Fahrer konzentrieren müssen . Viele Länder , vor allem Deutschland , hatten einfach ein Interesse daran , die Regelung auch auf die LKW-Fahrer auszudehnen . Die Länder Bulgarien und Rumänien haben vehement dagegen gestimmt . Ich hatte damals die Aufgabe , da einen Kompromiss zu finden (…). Wir profitieren im Grunde genommen davon , dass die

" Das ist einfach unser Menschenbild ."

Produkte so billig angeboten werden und das eben deswegen , weil so billige Löhne gezahlt werden . Daher wäre ein ganzer Wirtschaftszweig zusammengebrochen , wenn die Regelung auf EU-Ebene so zustande gekommen wäre . Dann muss man eben schauen : Es ging quasi unser egoistisches Interesse gegen deren egoistisches Interesse . Und das ist das Wesen der EU : am Ende muss man Kompromisse finden . Deswegen ist die EU oft so langsam , so träge und manche Leute sind sauer auf sie , aber deswegen funktioniert die Zusammenarbeit und der Respekt zwischen den Ländern .
So ähnlich ist es ja vielleicht im Moment mit den Impfstoffen und Masken . Was haben Sie dort für Erfahrungen ?
Am Anfang war das totaler Egoismus und ich glaube , die meisten Menschen hat das hier total angewidert , dass wir gesagt haben , „ Ach komm ! Behalten wir die doch , vielleicht brauchen wir sie noch “ und in Italien sind die Menschen , ja verreckt muss man sagen , weil sie einfach keine Beatmungsgeräte hatten und nichts . Die EU hat
daraus gelernt . Manchmal braucht man vielleicht Krisen , um etwas zu lernen . Ich habe anfangs gesagt , die EU hatte eigentlich keine Zuständigkeit , aber die Staaten haben sich dann geeinigt , gemeinsam das zu organisieren . Und beim Impfstoff hat die EU wirklich einen großen Fehler gemacht und zwar , sich zu sehr mit der Frage zu beschäftigen , wie der Impfstoff verteilt werden soll . Zu wenig wurde sich dann mit der Frage beschäftigt , „ Wie schaffen wir es , dass mehr Impfstoff hergestellt wird ?“. Die EU hat 3 Milliarden Euro in den Aufbau von Produktionskapazitäten gesteckt , die USA über 20 Milliarden und das merkt man . Man hätte viel früher sagen sollen , „ Okay wir ziehen jetzt nicht alle am zu kurzen Tischtuch . Wer kriegt mehr und wer weniger ?“, sondern man hätte gucken müssen , wie wir es hinkriegen , dass mehr Impfstoff produziert wird . Auch , dass man die in dieser Ausnahmesituation den Patentschutz lockert , ist viel zu spät passiert . Deswegen hat es so lange dieses Gerangel gegeben , das der EU nicht gutgetan hat . Aber inzwischen sind wir ja zum Glück ein bisschen weiter .
Was sagen Sie zu der Impfreihenfolge ?
Am Anfang fand ich das absolut richtig , denn bei den richtig Alten und chronisch Kranken geht es ja nicht um soziale Kontakte , sondern um Leben können oder nicht . Ich habe Verständnis dafür , dass manche sagen , „ Jetzt können die wieder was machen und ich nicht “, aber die Vorstellung , dass Leute , die 90 Jahre alt sind , jetzt warten müssen , bis auch der allerletzte geimpft ist , um wieder vor die Tür gehen zu können , finde ich schwer zu rechtfertigen . Ich finde das absolut richtig , dass für diejenigen , für die das eine richtige Lebensgefahr darstellt , als erstes dran sind .

" Die EU hat daraus gelernt . Manchmal braucht man vielleicht Krisen , um etewas zu lernen ."

Außerdem finde ich auch richtig , dass man als Kriterium dazu nimmt , wer einer großen Ansteckungsgefahr ausgesetzt ist . Und das sind eben Menschen , die sich das nicht aussuchen können , also Pflegekräfte . Ich hätte noch viel früher da den Einzelhandel mitreingenommen , Menschen , die sich nicht aussuchen können , dass sie da einem Risiko ausgesetzt sind . Das finde ich auch wichtiger , als zu sagen , dass man jetzt gerne wieder Menschen sehen will . Das geht allen so , ich verstehe das total , dass es ein ganz schwerer Einschnitt ist für beispielsweise die Abiturienten , aber ich finde , dass richtig priorisiert wurde .
In der Phase , wo wir jetzt sind , würde ich die Impfreihenfolge aufheben (...). Meiner Meinung nach sollten alleinerziehende Eltern jetzt sehr bald geimpft werden , weil die total am Rad drehen und das , glaube ich , auf lange Zeit nicht mehr auszuhalten ist mit schulpflichtigen oder Kindergartenkindern , vielleicht noch in einer kleinen Wohnung . Da sind sehr viele , sehr gute Gründe für jeden Einzelnen , wieso man jetzt dran sein sollte . Ich glaube , jetzt haben wir wirklich alle abgearbeitet , die dran sein mussten und dass man es jetzt für alle öffnen kann .
Was sagen Sie denn zu möglichen Impfvorteilen und was ist mit den Genesenen ?
Ich bin Juristin und die juristische Antwort ist sehr einfach : Es sind keine Privilegien , sondern einfach Rechte , die man zurückgeben muss ,
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