Neue Debatte - Beiheft #006 - 04/2017 Über die Korruption in Frankreich | Page 5
Nestlé und Total verstaatlichen würden …
Sie belieben zu scherzen, das ist nicht
möglich!
Nein, die konservative Bourgeoisie
braucht eine politische Vertretung im Par-
lament und im Senat. Sie braucht Herrn
Fillon, Herrn Dassault [7] , einen weiteren
notorischen Betrüger. Ich würde sogar
noch weiter gehen und sagen, dass die
großen französischen und ausländischen
Unternehmen auch auf François Fillon als
Abgeordneten angewiesen sind.
Die AXA Assurances, die Kunde von
François Fillons Beratungsfirma war (die
geschickterweise gegründet wurde, kurz
bevor er zum Abgeordneten gewählt wur-
de), ist auf ihn als Abgeordneten angewie-
sen, um unser Sozialversicherungssystem
abzubauen.
Ich würde sogar noch weiter gehen: Die
Großunternehmen bedürfen eines Herrn
Fillon als Abgeordneten genauso wie sie
der Herren Niel, Bergé und Pigasse als Be-
sitzer der Tageszeitung Le Monde bedür-
fen oder eines Herrn Drahi als Besitzer von
Libération, L’Express, RMC, BFMTV …
Die kapitalistischen Großunternehmen
und die Großen der Finanzwelt sind darauf
angewiesen, das Parlament, den Senat
und die Presse zu kontrollieren. Und daher
ist auch die französische Presse strukturell
korrumpiert, genauso wie das Parlament.
Das bedeutet nicht, dass die Abgeordne-
ten oder Journalisten, jeder für sich, Geld
unterschlagen oder absichtlich falsch in-
formieren. Aber über ihnen gibt es ein Re-
daktionskomitee oder einen Parteivorsit-
zenden der Sozialisten oder einen Kon-
zernchef, der ihnen zu verstehen gibt, dass
sie die bittere Pille schlucken müssen,
nicht gegen dieses und jenes ungerechte
Gesetz zu stimmen und sich unterordnen,
wenn sie ihren Job, ihren Presseausweis,
ihren Sitz im Parlament, ihre Parteispen-
den für die Finanzierung ihrer Wahlkam-
pagne behalten wollen.
Die meisten Journalisten und Abgeordne-
ten arbeiten heute wahrscheinlich in ei-
nem Rahmen, der die Unehrlichkeit orga-
nisiert: entweder unterwerfen sie sich der
Selbstzensur oder sie werden zensiert.
Manchmal kommt das ans Licht: Man er-
innere sich an den Fall des Senators Mi-
chel Raison, der im vergangenen Jahr von
einer Journalistin von Cash Investigation
auf einem Parlamentskorridor zu Fragen
der Ernährung interviewt wurde. Da schal-
tet sich plötzlich seine Mitarbeiterin ein;
er erhebt sich, vergisst dabei, dass er ein
Mikrofon an seiner Krawatte trägt, und
unterhält sich mit ihr. Sie schlägt ihm vor
die Lobbyorganisation ANIA (Association
Nationale des Industries alimentaires) an-
zurufen. Auch das ist Korruption.
Schon 2011 wurden drei Europaabgeord-
nete von Journalisten in die Falle gelockt,
weil sie bereit waren Gesetzesanträge ge-
gen Geld einzubringen. Das sieht man
auch, wenn Vincent Bolloré die Berichte
über Firmen zensiert, deren Aktionär oder
Eigentümer er ist.
Eine geknebelte Presse
Im Programm des Nationalen Widerstand-
rats von 1945 gab es zahlreiche Maßnah-
men, die eine Rückkehr zu Faschismus und
Unterdrückung verhindern sollten: darun-
ter auch die Sozialversicherungsgesetze
(vom 26. April 1946), genau die also, die
Herr Fillon auflösen und den Privatinteres-
sen der großen Versicherungsunterneh-
men anvertrauen will.
Es wurde auch die Notwendigkeit einer
freien Presse angemahnt, die frei sein soll-
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