Neue Debatte - Beiheft #005 - 04/2017 Christliches Abendland - Nicht verteidigungswert! | Page 9
gemäße Existenz ermöglichten, mussten
entsprechend der damaligen Produktivität
der Arbeit über eine bestimmte Landgröße
und Menge an Arbeitskräften verfügen.
Der englische Historiker Robert Bartlett
ermittelte für 7500 englische Rittersitze
durchschnittlich pro Lehen 16 bis 17 km 2 .
In der Normandie kamen 1172 auf jedes
der ungefähr 2500 Rittergüter durch-
schnittlich 13 oder 14 km 2 [Robert Bartlett,
Die Geburt Europas aus dem Geist der
Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kul-
tureller Wandel von 950 bis 1350, Mün-
chen 1996].
Der Größe des herrschenden Adels waren
also objektive quantitative Grenzen ge-
setzt. Land und Lehen waren begehrt. In
den Kernländern war der Kuchen bald ver-
teilt und eine Ausdehnung von Besitz und
Macht war in der Regel nur durch Landop-
timierung per Rodung oder Trockenlegung
möglich oder ging direkt auf Kosten von
Standesgenossen.
Erstgeburtsrecht und männliche Erblinien
waren geeignet, das System zu stabilisie-
ren und in machtmäßiger Balance zu hal-
ten. Sie produzierten aber in großer Zahl
nachgeborene Söhne und Töchter auf der
Suche nach standesgemäßem Auskommen.
Das erklärt zu großem Teil die ewigen
Fehden und Kämpfe untereinander. Nach
jedem Tod eines Fürsten setzten immer
wieder Kämpfe der Nachfahren um das
Erbe und verschiedener Adelshäuser um
die Umbesetzung von Machtpositionen
ein.
Ein weiteres Problem ergab sich aus der
Struktur der Militärorganisation. Die Füh-
rer benötigten Land für ihre militärischen
Gefolgsleute, sowohl als Abgeltung für de-
ren Dienste als auch, um sie über Lehen zu
weiterer Heerfolge zu verpflichten.
Entsprechendes gilt für die kirchlichen
Hierarchien und Institutionen, auch wenn
sich durch den Zölibat die Fragen etwas
anders stellten. Die römische Prälatenkir-
che war von der päpstlichen Kurie bis hin-
unter zu den regionalen Bistümern und
den Klöstern ausschließlich mit Angehöri-
gen des Adels bestückt, die auf diesem
Wege zu einem standesgemäßen Leben
mit entsprechender Karriere fanden.
Aber auch diese Institutionen waren von
der Größe ihrer Besitzungen abhängig und
brachten missionierende Kandidaten für
die Erschließung von eroberten Territorien
und dem Aufbau von Herrschaften in der
Fremde hervor.
Die sich aus all diesen Aspekten ergeben-
de chronische Knappheit von Land und
Lehen war mit Sicherheit einer der An-
triebskräfte für die brutale Ausbeutung
der hörigen Landbevölkerung im europäi-
schen „christlichen Abendland“ und seine
gefährliche Eroberungs- und Expansions-
dynamik.
Zurück zum Anfang
Zurück zum Anfang, zu den PEGIDA-
Verteidigern des „christlichen Abendlan-
des“, zu dem konservativ-deutschnatio-
nalen Selbstverständnis von „CDU- und
CSUlern“, zu unserer „westlichen Wert-
gemeinschaft“ und zu dem schweren
Problem, ob nun der Islam – oder laut
SPD auch das Judentum – zum „christli-
chen Abendland“ gehört oder ob wir es
vor solchen „Überfremdungen“ verteidi-
gen müssen.
Ich hoffe, dass klar geworden ist, dass die-
ses christliche Abendland die Sache von
Ausbeutern und Eroberern war. Das
„christliche Abendland“ war in unserer
Weltgegend der Einstieg in die allgemeine
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