Neue Debatte - Beiheft #005 - 04/2017 Christliches Abendland - Nicht verteidigungswert! | Page 2

1949, also vier Jahre nach dem umfassen- den Kollaps des nationalsozialistischen Dritten Reichs beschwor der erste Bun- deskanzler Adenauer in seiner ersten Re- gierungserklärung den Geist christlich- abendländischer Kultur. Schon drei Jahre vorher, 1946, forderten die inzwischen in der CDU organisierten gewendeten Altnazis: „Rettet die abend- ländische Kultur … wählt Christlich- Demokratische Union“ (Wahlplakat). Ret- ten vor wem? Bis 1945 hielt noch der deutsche Mainstream Millionen Europäer für slawi- sche, bolschewistische, jüdisch- marxistische und westlich-liberalistisch- mittelmeerische Minder- bis Untermen- schen. Kurz vor seiner berüchtigten Sportpalast- rede im Februar 1943 peitschte Goebbels 2 ein, dass der Krieg entweder von Deutsch- land und Europa gewonnen werde oder aber der „älteste Kulturkontinent“ von der „innerasiatisch-bolschewistischen Wel- le“ zerstört und vernichtet werde. Also gegen Asiaten und Bolschewisten. Eine ähnliche Gesinnung offenbarte dann Adenauer 1 , wenn er später wiederholt vor dem „russischen Koloss“ warnte. Und die „gelbe Gefahr“ stand ja auch weiterhin im Raum. Der Feind steht immer woanders und bedroht „uns“ und „unsere“ Werte! Der Kern Europas, des „ältesten Kultur- kontinents“, war für die Nazis Groß- deutschland, das „Germanische Reich“, das das Abendland in Form einer „europä- ische Großraumwirtschaft“ beherrschen sollte. 2 Hinter dem Kampfbegriff des „christlichen Abendlandes“ beziehungsweise „ältesten Kulturkontinents“ verbarg sich historisch immer ein Kerneuropa, dass sich in alle Richtungen gegen seine Nachbarn ab- grenzte: Nach Süden gegen den islamisch gesehenen Orient, das Morgenland; nach Südosten gegen Byzanz und die griechisch- orthodoxe Christenwelt; nach Osten gegen Slawen, Russen und Asiaten und durchge- hend nach innen gegen die Juden. Was jeweils Vorrang hatte, ergab sich aus der geschichtlichen Lage. Im Übergang vom Dritten Reich zum Nachkriegsdeutschland wurde das „christ- liche Abendland“ angepasst. Die Juden- und Islamfeindschaft wurde zurückgestellt und dafür der Kampf gegen die Sowjet- union, bzw. die „asiatischen Horden“ und den „bolschewistischen Koloss“ als Haupt- aufgabe eines nun rein westlichen „EU- und NATO-Abendlandes“ propagiert, denn inzwischen hatten die USA die Ehre, auch zum christlichen Abendland gezählt zu werden. Nach Ende des Kalten Krieges rückte wie- der die Islamfeindschaft beziehungsweise die „Gefahr der Islamisierung des Abend- landes“ (PEGIDA) in den Mittelpunkt. Schon regelrecht kurios mutet das Grund- satzprogramm der SPD von 2007 an, nach dem unsere „geistigen Wurzeln“, also die des christliche Abendlandes, „in jüdisch- christlicher Tradition“ zu suchen sind – und das angesichts der zweitausendjähri- gen Geschichte der Judenverfolgung, die ja schließlich unseren Heiland und Gott gefoltert und umgebracht haben: Millio- nen Kruzifixe auf dieser Welt können da nicht irren!